machen. Aber wir sind eben nicht weit her, wir sind ja bloß seine Mitbürger.
Seht nur die Alte, Vetter! sagte der Aeltere, und stieß ihn an. Seht, wie sie ihren Leuten auf die Mäuler guckt, wie sie ihnen die Bissen zählt, wie sie dem Löffel, der aus der Schüssel kommt, mit den Augen nachfolgt. Was sie für ein Gesicht macht, wenn sie meint, es hab' eins zu voll geladen oder komm' zu oft angefahren.
Halt, jetzt ist die Sippschaft erst vollständig, jetzt kommt der Freier! unterbrach ihn der Jüngere, verstohlen mit dem Finger auf einen Mann mit spitzem, knochigem Gesichte deutend, der, mit einem hell¬ grünen Leibrock angethan, in's Zimmer trat und sich nach einer statt¬ lichen Begrüßung an einen Tisch zunächst dem Speisetische setzte.
Schau, schau! der grüne Chirurg! erwiderte der Andere. Der macht Kratzfüß'! Was die Alte ihr Spinnengesicht umwandelt, als ob sie Honig und Marzipan gefressen hätt'. Sogar der Sonnenwirth nickt ihm freundlich zu, die Sache muß richtig sein. Aufgepaßt, Vetter! Seht Ihr, wie ihm die Alte ein Tellerlein füllt und zwar von des Sonnenwirths eigenem Essen. Ja, ja, mit Speck fängt man Mäuse. Was er Complimente macht! Er will's nicht annehmen, aber die Essensstunde hat er sich wohl gemerkt, der Schmarotzer.
Er will eben von der Gelegenheit profitiren, so lang sie da ist. Er weiß wohl, daß nicht alle Tag' Kirchweih' ist. Wenn er einmal ernstlich angebissen hat, so wird man ihm das Gasthütlein schon her¬ unterziehen und dann kann er die Finger darnach lecken.
Ihr könnt die Leute recht heruntermachen, sagte der Fischer. B'hüt' Gott bei einander, ich will nur heimgehen, sonst werd' ich noch an¬ gesteckt.
Gut' Nacht, Fischerhanne, und halt' reinen Mund.
Wess' Brod ich ess', dess' Lied ich sing'! versetzte der Fischer etwas zweideutig, und wandte sich mit einem "G'segn' Gott", das er dem Speisetische zurief, nach der Thüre.
In diesem Augenblick ging die Thüre auf und herein trat der Sohn des Hauses. Aus seinem von der Wanderung gerötheten Ge¬ sichte leuchtete das verklärende Gefühl einer guten That, einer That, welche dem Himmel die erste Genugthuung für bisher begangene tritte darbieten sollte. Dieser Ausdruck gab seinem Gesicht eine auf¬
machen. Aber wir ſind eben nicht weit her, wir ſind ja bloß ſeine Mitbürger.
Seht nur die Alte, Vetter! ſagte der Aeltere, und ſtieß ihn an. Seht, wie ſie ihren Leuten auf die Mäuler guckt, wie ſie ihnen die Biſſen zählt, wie ſie dem Löffel, der aus der Schüſſel kommt, mit den Augen nachfolgt. Was ſie für ein Geſicht macht, wenn ſie meint, es hab' eins zu voll geladen oder komm' zu oft angefahren.
Halt, jetzt iſt die Sippſchaft erſt vollſtändig, jetzt kommt der Freier! unterbrach ihn der Jüngere, verſtohlen mit dem Finger auf einen Mann mit ſpitzem, knochigem Geſichte deutend, der, mit einem hell¬ grünen Leibrock angethan, in's Zimmer trat und ſich nach einer ſtatt¬ lichen Begrüßung an einen Tiſch zunächſt dem Speiſetiſche ſetzte.
Schau, ſchau! der grüne Chirurg! erwiderte der Andere. Der macht Kratzfüß'! Was die Alte ihr Spinnengeſicht umwandelt, als ob ſie Honig und Marzipan gefreſſen hätt'. Sogar der Sonnenwirth nickt ihm freundlich zu, die Sache muß richtig ſein. Aufgepaßt, Vetter! Seht Ihr, wie ihm die Alte ein Tellerlein füllt und zwar von des Sonnenwirths eigenem Eſſen. Ja, ja, mit Speck fängt man Mäuſe. Was er Complimente macht! Er will's nicht annehmen, aber die Eſſensſtunde hat er ſich wohl gemerkt, der Schmarotzer.
Er will eben von der Gelegenheit profitiren, ſo lang ſie da iſt. Er weiß wohl, daß nicht alle Tag' Kirchweih' iſt. Wenn er einmal ernſtlich angebiſſen hat, ſo wird man ihm das Gaſthütlein ſchon her¬ unterziehen und dann kann er die Finger darnach lecken.
Ihr könnt die Leute recht heruntermachen, ſagte der Fiſcher. B'hüt' Gott bei einander, ich will nur heimgehen, ſonſt werd' ich noch an¬ geſteckt.
Gut' Nacht, Fiſcherhanne, und halt' reinen Mund.
Weſſ' Brod ich eſſ', deſſ' Lied ich ſing'! verſetzte der Fiſcher etwas zweideutig, und wandte ſich mit einem „G'ſegn' Gott“, das er dem Speiſetiſche zurief, nach der Thüre.
In dieſem Augenblick ging die Thüre auf und herein trat der Sohn des Hauſes. Aus ſeinem von der Wanderung gerötheten Ge¬ ſichte leuchtete das verklärende Gefühl einer guten That, einer That, welche dem Himmel die erſte Genugthuung für bisher begangene tritte darbieten ſollte. Dieſer Ausdruck gab ſeinem Geſicht eine auf¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0050"n="34"/>
machen. Aber wir ſind eben nicht weit her, wir ſind ja bloß ſeine<lb/>
Mitbürger.</p><lb/><p>Seht nur die Alte, Vetter! ſagte der Aeltere, und ſtieß ihn an.<lb/>
Seht, wie ſie ihren Leuten auf die Mäuler guckt, wie ſie ihnen die<lb/>
Biſſen zählt, wie ſie dem Löffel, der aus der Schüſſel kommt, mit<lb/>
den Augen nachfolgt. Was ſie für ein Geſicht macht, wenn ſie meint,<lb/>
es hab' eins zu voll geladen oder komm' zu oft angefahren.</p><lb/><p>Halt, jetzt iſt die Sippſchaft erſt vollſtändig, jetzt kommt der Freier!<lb/>
unterbrach ihn der Jüngere, verſtohlen mit dem Finger auf einen<lb/>
Mann mit ſpitzem, knochigem Geſichte deutend, der, mit einem hell¬<lb/>
grünen Leibrock angethan, in's Zimmer trat und ſich nach einer ſtatt¬<lb/>
lichen Begrüßung an einen Tiſch zunächſt dem Speiſetiſche ſetzte.</p><lb/><p>Schau, ſchau! der grüne Chirurg! erwiderte der Andere. Der<lb/>
macht Kratzfüß'! Was die Alte ihr Spinnengeſicht umwandelt, als ob<lb/>ſie Honig und Marzipan gefreſſen hätt'. Sogar der Sonnenwirth<lb/>
nickt ihm freundlich zu, die Sache muß richtig ſein. Aufgepaßt, Vetter!<lb/>
Seht Ihr, wie ihm die Alte ein Tellerlein füllt und zwar von des<lb/>
Sonnenwirths eigenem Eſſen. Ja, ja, mit Speck fängt man Mäuſe.<lb/>
Was er Complimente macht! Er will's nicht annehmen, aber die<lb/>
Eſſensſtunde hat er ſich wohl gemerkt, der Schmarotzer.</p><lb/><p>Er will eben von der Gelegenheit profitiren, ſo lang ſie da iſt.<lb/>
Er weiß wohl, daß nicht alle Tag' Kirchweih' iſt. Wenn er einmal<lb/>
ernſtlich angebiſſen hat, ſo wird man ihm das Gaſthütlein ſchon her¬<lb/>
unterziehen und dann kann er die Finger darnach lecken.</p><lb/><p>Ihr könnt die Leute recht heruntermachen, ſagte der Fiſcher. B'hüt'<lb/>
Gott bei einander, ich will nur heimgehen, ſonſt werd' ich noch an¬<lb/>
geſteckt.</p><lb/><p>Gut' Nacht, Fiſcherhanne, und halt' reinen Mund.</p><lb/><p>Weſſ' Brod ich eſſ', deſſ' Lied ich ſing'! verſetzte der Fiſcher etwas<lb/>
zweideutig, und wandte ſich mit einem „G'ſegn' Gott“, das er dem<lb/>
Speiſetiſche zurief, nach der Thüre.</p><lb/><p>In dieſem Augenblick ging die Thüre auf und herein trat der<lb/>
Sohn des Hauſes. Aus ſeinem von der Wanderung gerötheten Ge¬<lb/>ſichte leuchtete das verklärende Gefühl einer guten That, einer That,<lb/>
welche dem Himmel die erſte Genugthuung für bisher begangene<lb/>
tritte darbieten ſollte. Dieſer Ausdruck gab ſeinem Geſicht eine auf¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[34/0050]
machen. Aber wir ſind eben nicht weit her, wir ſind ja bloß ſeine
Mitbürger.
Seht nur die Alte, Vetter! ſagte der Aeltere, und ſtieß ihn an.
Seht, wie ſie ihren Leuten auf die Mäuler guckt, wie ſie ihnen die
Biſſen zählt, wie ſie dem Löffel, der aus der Schüſſel kommt, mit
den Augen nachfolgt. Was ſie für ein Geſicht macht, wenn ſie meint,
es hab' eins zu voll geladen oder komm' zu oft angefahren.
Halt, jetzt iſt die Sippſchaft erſt vollſtändig, jetzt kommt der Freier!
unterbrach ihn der Jüngere, verſtohlen mit dem Finger auf einen
Mann mit ſpitzem, knochigem Geſichte deutend, der, mit einem hell¬
grünen Leibrock angethan, in's Zimmer trat und ſich nach einer ſtatt¬
lichen Begrüßung an einen Tiſch zunächſt dem Speiſetiſche ſetzte.
Schau, ſchau! der grüne Chirurg! erwiderte der Andere. Der
macht Kratzfüß'! Was die Alte ihr Spinnengeſicht umwandelt, als ob
ſie Honig und Marzipan gefreſſen hätt'. Sogar der Sonnenwirth
nickt ihm freundlich zu, die Sache muß richtig ſein. Aufgepaßt, Vetter!
Seht Ihr, wie ihm die Alte ein Tellerlein füllt und zwar von des
Sonnenwirths eigenem Eſſen. Ja, ja, mit Speck fängt man Mäuſe.
Was er Complimente macht! Er will's nicht annehmen, aber die
Eſſensſtunde hat er ſich wohl gemerkt, der Schmarotzer.
Er will eben von der Gelegenheit profitiren, ſo lang ſie da iſt.
Er weiß wohl, daß nicht alle Tag' Kirchweih' iſt. Wenn er einmal
ernſtlich angebiſſen hat, ſo wird man ihm das Gaſthütlein ſchon her¬
unterziehen und dann kann er die Finger darnach lecken.
Ihr könnt die Leute recht heruntermachen, ſagte der Fiſcher. B'hüt'
Gott bei einander, ich will nur heimgehen, ſonſt werd' ich noch an¬
geſteckt.
Gut' Nacht, Fiſcherhanne, und halt' reinen Mund.
Weſſ' Brod ich eſſ', deſſ' Lied ich ſing'! verſetzte der Fiſcher etwas
zweideutig, und wandte ſich mit einem „G'ſegn' Gott“, das er dem
Speiſetiſche zurief, nach der Thüre.
In dieſem Augenblick ging die Thüre auf und herein trat der
Sohn des Hauſes. Aus ſeinem von der Wanderung gerötheten Ge¬
ſichte leuchtete das verklärende Gefühl einer guten That, einer That,
welche dem Himmel die erſte Genugthuung für bisher begangene
tritte darbieten ſollte. Dieſer Ausdruck gab ſeinem Geſicht eine auf¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/50>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.