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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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etwas von der Ruhe eines Gerechten an sich, und glich in keiner
Weise jenem hündischen Trotze verhärteter Bösewichte, die, niederge¬
drückt vom Gewicht gegründeter Beschuldigungen, den kleinsten Bezicht,
der sie unverschuldet trifft, willkommen heißen, um darüber in die
Klagen beleidigter Unschuld auszubrausen."

Er hat aber außer diesen mündlichen Angaben noch ein schrift¬
liches Denkmal hinterlassen, wozu er selbst die Feder oder vielmehr
den Bleistift in die Hand nahm und, unabhängig von dem Styl des
Oberamtmanns, sich in seiner eigenen Weise gehen ließ. Er hatte
schonungslos die Genossen seiner Uebelthaten an's Messer geliefert, als
es ihm in der Einsamkeit seines Gefängnisses einfiel, daß das Werk
nur halb gethan sei, wenn er nicht auch die Hehler angebe, die das
Bestehen einer so weithin gegliederten Kette von Feinden der Gesellschaft
möglich machten und immer wieder ergänzten.

"Es treiben mich die Bewegungen meines Herzens" -- mit diesen
Worten begann er in carcere, wie der Oberamtmann in seinem Pro¬
tokoll bemerkt, mit den ihm vergönnten Schreibmaterialien einen
mehrere Bogen langen Aufsatz, mit kräftiger klarer Handschrift, nach
der Schreibweise seiner Zeit, in welcher sich die Ungebildeten von den
Gebildeten darin unterschieden, daß jene den ererbten Sprachschatz der
Luther'schen Bibelübersetzung mit mehrerem oder minderem Geschick
handhabten, während diese ihrer nicht bei Luther erlernten Satzbildung
mit lateinischen Einschwärzungen je nach dem dritten deutschen Worte
auf die Beine zu helfen suchten. Diese Enthüllungen eines Jauners
und Jaunergenossen aus der Zeit, die man als die gute, alte, sittliche,
fromme rühmen hört, stellen alle angenommenen Vorstellungen von
jener Zeit auf den Kopf, lassen es höchstens begreiflich erscheinen, daß
einzelne Enkel einzelner Familien, die inmitten der allgemeinen Ver¬
derbnis; sich unter günstigen Lebensumständen rein erhielten, auf ihre
Vorfahren stolz sein können, zeigen aber die große Mehrheit des
Volkes, trotzdem, daß es sehr fleißig in die Kirche ging, in einer
Fäulniß, die einen Lieutenant Mockel, wenn er sich mit Seinesgleichen
zu dem Streiche, der ihm aufgedämmert war, erhoben hätte, auf
einige Wochen oder Monate -- schwerlich viel länger -- zum Herrn
von Süddeutschland hätte machen können. Diese Enthüllungen sagen
nicht bloß von Wirthen, Bauern, Hofbesitzern, ja von ganzen Dörfern

etwas von der Ruhe eines Gerechten an ſich, und glich in keiner
Weiſe jenem hündiſchen Trotze verhärteter Böſewichte, die, niederge¬
drückt vom Gewicht gegründeter Beſchuldigungen, den kleinſten Bezicht,
der ſie unverſchuldet trifft, willkommen heißen, um darüber in die
Klagen beleidigter Unſchuld auszubrauſen.“

Er hat aber außer dieſen mündlichen Angaben noch ein ſchrift¬
liches Denkmal hinterlaſſen, wozu er ſelbſt die Feder oder vielmehr
den Bleiſtift in die Hand nahm und, unabhängig von dem Styl des
Oberamtmanns, ſich in ſeiner eigenen Weiſe gehen ließ. Er hatte
ſchonungslos die Genoſſen ſeiner Uebelthaten an's Meſſer geliefert, als
es ihm in der Einſamkeit ſeines Gefängniſſes einfiel, daß das Werk
nur halb gethan ſei, wenn er nicht auch die Hehler angebe, die das
Beſtehen einer ſo weithin gegliederten Kette von Feinden der Geſellſchaft
möglich machten und immer wieder ergänzten.

„Es treiben mich die Bewegungen meines Herzens“ — mit dieſen
Worten begann er in carcere, wie der Oberamtmann in ſeinem Pro¬
tokoll bemerkt, mit den ihm vergönnten Schreibmaterialien einen
mehrere Bogen langen Aufſatz, mit kräftiger klarer Handſchrift, nach
der Schreibweiſe ſeiner Zeit, in welcher ſich die Ungebildeten von den
Gebildeten darin unterſchieden, daß jene den ererbten Sprachſchatz der
Luther'ſchen Bibelüberſetzung mit mehrerem oder minderem Geſchick
handhabten, während dieſe ihrer nicht bei Luther erlernten Satzbildung
mit lateiniſchen Einſchwärzungen je nach dem dritten deutſchen Worte
auf die Beine zu helfen ſuchten. Dieſe Enthüllungen eines Jauners
und Jaunergenoſſen aus der Zeit, die man als die gute, alte, ſittliche,
fromme rühmen hört, ſtellen alle angenommenen Vorſtellungen von
jener Zeit auf den Kopf, laſſen es höchſtens begreiflich erſcheinen, daß
einzelne Enkel einzelner Familien, die inmitten der allgemeinen Ver¬
derbnis; ſich unter günſtigen Lebensumſtänden rein erhielten, auf ihre
Vorfahren ſtolz ſein können, zeigen aber die große Mehrheit des
Volkes, trotzdem, daß es ſehr fleißig in die Kirche ging, in einer
Fäulniß, die einen Lieutenant Mockel, wenn er ſich mit Seinesgleichen
zu dem Streiche, der ihm aufgedämmert war, erhoben hätte, auf
einige Wochen oder Monate — ſchwerlich viel länger — zum Herrn
von Süddeutſchland hätte machen können. Dieſe Enthüllungen ſagen
nicht bloß von Wirthen, Bauern, Hofbeſitzern, ja von ganzen Dörfern

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[478/0494] etwas von der Ruhe eines Gerechten an ſich, und glich in keiner Weiſe jenem hündiſchen Trotze verhärteter Böſewichte, die, niederge¬ drückt vom Gewicht gegründeter Beſchuldigungen, den kleinſten Bezicht, der ſie unverſchuldet trifft, willkommen heißen, um darüber in die Klagen beleidigter Unſchuld auszubrauſen.“ Er hat aber außer dieſen mündlichen Angaben noch ein ſchrift¬ liches Denkmal hinterlaſſen, wozu er ſelbſt die Feder oder vielmehr den Bleiſtift in die Hand nahm und, unabhängig von dem Styl des Oberamtmanns, ſich in ſeiner eigenen Weiſe gehen ließ. Er hatte ſchonungslos die Genoſſen ſeiner Uebelthaten an's Meſſer geliefert, als es ihm in der Einſamkeit ſeines Gefängniſſes einfiel, daß das Werk nur halb gethan ſei, wenn er nicht auch die Hehler angebe, die das Beſtehen einer ſo weithin gegliederten Kette von Feinden der Geſellſchaft möglich machten und immer wieder ergänzten. „Es treiben mich die Bewegungen meines Herzens“ — mit dieſen Worten begann er in carcere, wie der Oberamtmann in ſeinem Pro¬ tokoll bemerkt, mit den ihm vergönnten Schreibmaterialien einen mehrere Bogen langen Aufſatz, mit kräftiger klarer Handſchrift, nach der Schreibweiſe ſeiner Zeit, in welcher ſich die Ungebildeten von den Gebildeten darin unterſchieden, daß jene den ererbten Sprachſchatz der Luther'ſchen Bibelüberſetzung mit mehrerem oder minderem Geſchick handhabten, während dieſe ihrer nicht bei Luther erlernten Satzbildung mit lateiniſchen Einſchwärzungen je nach dem dritten deutſchen Worte auf die Beine zu helfen ſuchten. Dieſe Enthüllungen eines Jauners und Jaunergenoſſen aus der Zeit, die man als die gute, alte, ſittliche, fromme rühmen hört, ſtellen alle angenommenen Vorſtellungen von jener Zeit auf den Kopf, laſſen es höchſtens begreiflich erſcheinen, daß einzelne Enkel einzelner Familien, die inmitten der allgemeinen Ver¬ derbnis; ſich unter günſtigen Lebensumſtänden rein erhielten, auf ihre Vorfahren ſtolz ſein können, zeigen aber die große Mehrheit des Volkes, trotzdem, daß es ſehr fleißig in die Kirche ging, in einer Fäulniß, die einen Lieutenant Mockel, wenn er ſich mit Seinesgleichen zu dem Streiche, der ihm aufgedämmert war, erhoben hätte, auf einige Wochen oder Monate — ſchwerlich viel länger — zum Herrn von Süddeutſchland hätte machen können. Dieſe Enthüllungen ſagen nicht bloß von Wirthen, Bauern, Hofbeſitzern, ja von ganzen Dörfern

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 478. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/494>, abgerufen am 22.11.2024.