in der Gemüthsverfassung, die wir kennen, nicht länger auszuweichen vermochte. Nun begann er unumwunden und rücksichtslos zu gestehen, und die Arbeit der Ueberwindung, die er auf seine Weiber ausdehnte, wiederholte sich in jedem gemeinschaftlichen Verhör. "Er redete ihnen zuerst sehr sanft und freundlich zu, gerieth dann in Wuth, tobte und drohte, klagte, daß er nie ein Wort um seinet- sondern nur um ihretwillen gelogen und daß die Verruchten es ihm so vergelten, bat sie dann wieder um Verzeihung und flehte sie liebreich an, ihre und seine Schuld vor Gott und den Menschen nicht noch schwerer zu machen." Die blonde Christine ließ sich endlich erweichen, erklärte aber gleich nachher wieder, daß sie, durch sein schmeichelhaftes Zureden, wie sie sich ausdrückte, bewogen, viel zu viel eingestanden habe. Auch sagte sie, nicht aus Bußfertigkeit, son¬ dern aus kleinlicher Rache auf ihn aus, er habe einmal, wie sie wisse, ein paar Sägen gestohlen. Bei dieser Gelegenheit konnte der Inquirent das Wesen seines Inquisiten an einem neuen Zuge kennenlernen. Derselbe Mann, der seine todbringenden Geständnisse so willig und todesfreudig gemacht hatte, leugnete den kleinen Diebstahl auf's hartnäckigste, so daß der Richter an ihm irre wurde. Als er endlich überwiesen war und keinen Ausweg mehr finden konnte, so gestand er das Vergehen und zugleich die Ursache seines Leugnens: er habe, sagte er, die Sägen an einen ehrlichen, gewissenhaften Mann verkauft, der sich lange nicht dazu bequemen wollen, bis er ihn versichert, sie seien nicht gestohlen, und sich auf Seel' und Seligkeit vermessen habe, daß ihm sein Lebtag nichts über den Handel aus seinem Munde kommen solle, weswegen er auch so gewiß als etwas von der Welt wisse, daß er seiner Chri¬ stine nichts davon gesagt habe. Nun fand sich der Richter wieder in ihm zurecht, und schenkte ihm nach und nach so vollen Glauben, daß, wie sich aus dem Protokoll ergibt, der Unschuldsbeweis hinsichtlich des an dem Schützen zu Ebersbach begangenen Mordes lediglich auf seine eigene Aussage gegründet ist. Das Urtheil wurde hiedurch freilich in nichts abgeändert, doch blieb dieser angebliche Meuchelmord, den ihm die Ebersbacher aufbürdeten, aus der im Urtheil aufgestellten Reihe seiner Verbrechen weg. Der kleinliche Groll, dem die blonde Christine in ihrem der Schwachheit ausgesetzten Gemüthe Zugang ver¬ stattet hatte, schwand wieder, denn sie kannte sein Herz und glaubte an die Aufrichtigkeit seiner Zerknirschung, die ihm nicht anders zu
in der Gemüthsverfaſſung, die wir kennen, nicht länger auszuweichen vermochte. Nun begann er unumwunden und rückſichtslos zu geſtehen, und die Arbeit der Ueberwindung, die er auf ſeine Weiber ausdehnte, wiederholte ſich in jedem gemeinſchaftlichen Verhör. „Er redete ihnen zuerſt ſehr ſanft und freundlich zu, gerieth dann in Wuth, tobte und drohte, klagte, daß er nie ein Wort um ſeinet- ſondern nur um ihretwillen gelogen und daß die Verruchten es ihm ſo vergelten, bat ſie dann wieder um Verzeihung und flehte ſie liebreich an, ihre und ſeine Schuld vor Gott und den Menſchen nicht noch ſchwerer zu machen.“ Die blonde Chriſtine ließ ſich endlich erweichen, erklärte aber gleich nachher wieder, daß ſie, durch ſein ſchmeichelhaftes Zureden, wie ſie ſich ausdrückte, bewogen, viel zu viel eingeſtanden habe. Auch ſagte ſie, nicht aus Bußfertigkeit, ſon¬ dern aus kleinlicher Rache auf ihn aus, er habe einmal, wie ſie wiſſe, ein paar Sägen geſtohlen. Bei dieſer Gelegenheit konnte der Inquirent das Weſen ſeines Inquiſiten an einem neuen Zuge kennenlernen. Derſelbe Mann, der ſeine todbringenden Geſtändniſſe ſo willig und todesfreudig gemacht hatte, leugnete den kleinen Diebſtahl auf's hartnäckigſte, ſo daß der Richter an ihm irre wurde. Als er endlich überwieſen war und keinen Ausweg mehr finden konnte, ſo geſtand er das Vergehen und zugleich die Urſache ſeines Leugnens: er habe, ſagte er, die Sägen an einen ehrlichen, gewiſſenhaften Mann verkauft, der ſich lange nicht dazu bequemen wollen, bis er ihn verſichert, ſie ſeien nicht geſtohlen, und ſich auf Seel' und Seligkeit vermeſſen habe, daß ihm ſein Lebtag nichts über den Handel aus ſeinem Munde kommen ſolle, weswegen er auch ſo gewiß als etwas von der Welt wiſſe, daß er ſeiner Chri¬ ſtine nichts davon geſagt habe. Nun fand ſich der Richter wieder in ihm zurecht, und ſchenkte ihm nach und nach ſo vollen Glauben, daß, wie ſich aus dem Protokoll ergibt, der Unſchuldsbeweis hinſichtlich des an dem Schützen zu Ebersbach begangenen Mordes lediglich auf ſeine eigene Ausſage gegründet iſt. Das Urtheil wurde hiedurch freilich in nichts abgeändert, doch blieb dieſer angebliche Meuchelmord, den ihm die Ebersbacher aufbürdeten, aus der im Urtheil aufgeſtellten Reihe ſeiner Verbrechen weg. Der kleinliche Groll, dem die blonde Chriſtine in ihrem der Schwachheit ausgeſetzten Gemüthe Zugang ver¬ ſtattet hatte, ſchwand wieder, denn ſie kannte ſein Herz und glaubte an die Aufrichtigkeit ſeiner Zerknirſchung, die ihm nicht anders zu
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in der Gemüthsverfaſſung, die wir kennen, nicht länger auszuweichen
vermochte. Nun begann er unumwunden und rückſichtslos zu geſtehen, und
die Arbeit der Ueberwindung, die er auf ſeine Weiber ausdehnte, wiederholte
ſich in jedem gemeinſchaftlichen Verhör. „Er redete ihnen zuerſt ſehr ſanft
und freundlich zu, gerieth dann in Wuth, tobte und drohte, klagte, daß er
nie ein Wort um ſeinet- ſondern nur um ihretwillen gelogen und daß
die Verruchten es ihm ſo vergelten, bat ſie dann wieder um Verzeihung
und flehte ſie liebreich an, ihre und ſeine Schuld vor Gott und den
Menſchen nicht noch ſchwerer zu machen.“ Die blonde Chriſtine ließ
ſich endlich erweichen, erklärte aber gleich nachher wieder, daß ſie, durch
ſein ſchmeichelhaftes Zureden, wie ſie ſich ausdrückte, bewogen, viel zu
viel eingeſtanden habe. Auch ſagte ſie, nicht aus Bußfertigkeit, ſon¬
dern aus kleinlicher Rache auf ihn aus, er habe einmal, wie ſie wiſſe,
ein paar Sägen geſtohlen. Bei dieſer Gelegenheit konnte der Inquirent
das Weſen ſeines Inquiſiten an einem neuen Zuge kennenlernen. Derſelbe
Mann, der ſeine todbringenden Geſtändniſſe ſo willig und todesfreudig
gemacht hatte, leugnete den kleinen Diebſtahl auf's hartnäckigſte, ſo
daß der Richter an ihm irre wurde. Als er endlich überwieſen war
und keinen Ausweg mehr finden konnte, ſo geſtand er das Vergehen
und zugleich die Urſache ſeines Leugnens: er habe, ſagte er, die Sägen
an einen ehrlichen, gewiſſenhaften Mann verkauft, der ſich lange nicht
dazu bequemen wollen, bis er ihn verſichert, ſie ſeien nicht geſtohlen,
und ſich auf Seel' und Seligkeit vermeſſen habe, daß ihm ſein Lebtag
nichts über den Handel aus ſeinem Munde kommen ſolle, weswegen
er auch ſo gewiß als etwas von der Welt wiſſe, daß er ſeiner Chri¬
ſtine nichts davon geſagt habe. Nun fand ſich der Richter wieder in
ihm zurecht, und ſchenkte ihm nach und nach ſo vollen Glauben, daß,
wie ſich aus dem Protokoll ergibt, der Unſchuldsbeweis hinſichtlich des
an dem Schützen zu Ebersbach begangenen Mordes lediglich auf ſeine
eigene Ausſage gegründet iſt. Das Urtheil wurde hiedurch freilich
in nichts abgeändert, doch blieb dieſer angebliche Meuchelmord, den
ihm die Ebersbacher aufbürdeten, aus der im Urtheil aufgeſtellten
Reihe ſeiner Verbrechen weg. Der kleinliche Groll, dem die blonde
Chriſtine in ihrem der Schwachheit ausgeſetzten Gemüthe Zugang ver¬
ſtattet hatte, ſchwand wieder, denn ſie kannte ſein Herz und glaubte
an die Aufrichtigkeit ſeiner Zerknirſchung, die ihm nicht anders zu
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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 474. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/490>, abgerufen am 25.11.2024.
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