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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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Hahn mehr darnach krähen, daß er in seinen jungen Jahren hat das
Wollkardätschen erlernen müssen.

Ein rascher Hufschlag unterbrach das Gespräch. Der jüngere
Müller trat ans Fenster. Was der Sonnenwirth noch stet auf dem
Gaul sitzt, bemerkte er. Er muß einen guten Handel gemacht haben;
er sitzt so aufrecht und trägt die Nase so hoch.

Nun kam die Hausfrau herein mit einem weißen Tuch auf dem
Arm. Ihr folgte Magdalene mit dampfenden Schüsseln. Ein Tisch
in der andern Ecke des Zimmers wurde gedeckt und das Essen auf¬
getragen. Das Gesinde erschien, Knechte und Mägde. Draußen
hörte man die befehlende Stimme des Hausherrn. Endlich trat er
selber ein, untersetzt und etwas beleibt, in Gestalt und Angesicht sei¬
nem Sohne ähnlich. Aus seinen Gesichtszügen sprach derselbe Trotz,
derselbe Eigensinn, nur daß dieser Ausdruck bei ihm, dem gebietenden
Herrn des Hauses, mehr das Bewußtsein der anerkannten Rechtmäßig¬
keit und eben darum auch mehr herrische Strenge hatte. Wenn man
jedoch sein Gesicht näher prüfte, so fand man, daß die innere Natur¬
kraft nicht so groß war als das Ansehen, das er sich geben zu müssen
glaubte. Er grüßte die Gäste kurz und setzte sich ohne viele Um¬
stände mit seinen Hausgenossen zu Tische. Für ihn wurde besonders
aufgetragen und ein Teller mit Besteck lag vor ihm, während die
andern alle, die Hausfrau nicht ausgenommen, gemeinsam aus der
Schüssel speisten.

Unter dem Geklirr der Löffel flüsterten die Gäste zusammen, und
manche bittere Bemerkung, manche boshafte Spottrede wurde den
Essenden, ohne daß sie es hörten, als Tischsegen zugeworfen.

Der Sonnenwirth meint, man müsse es für eine Gnad' halten,
wenn man nur in seinem Haus noch trinken dürfe, sagte der ältere
Müller.

Wenigstens ein anderer Wirth, erwiderte der Jüngere -- wenn
er auch noch so hungrig und durstig ist, setzt er sich ein Vaterunser¬
lang zu den Leuten hin, und wenn er auch weiter nichts sagt als
"Auch hiesig?" und "Thut's so bei einander?" und "Wohl bekomm's!"
so sieht man doch, daß er Lebensart hat, und dann kann er ja wieder
aufsteh'n und seinem Geschäft nachgehen. Aber der! Ja, wenn wir
Pfarrer wären oder Schreiber, so würd' er sich eine Ehr' d'raus

D. B. IV. Kurz, Sonnenwirth. 3

Hahn mehr darnach krähen, daß er in ſeinen jungen Jahren hat das
Wollkardätſchen erlernen müſſen.

Ein raſcher Hufſchlag unterbrach das Geſpräch. Der jüngere
Müller trat ans Fenſter. Was der Sonnenwirth noch ſtet auf dem
Gaul ſitzt, bemerkte er. Er muß einen guten Handel gemacht haben;
er ſitzt ſo aufrecht und trägt die Naſe ſo hoch.

Nun kam die Hausfrau herein mit einem weißen Tuch auf dem
Arm. Ihr folgte Magdalene mit dampfenden Schüſſeln. Ein Tiſch
in der andern Ecke des Zimmers wurde gedeckt und das Eſſen auf¬
getragen. Das Geſinde erſchien, Knechte und Mägde. Draußen
hörte man die befehlende Stimme des Hausherrn. Endlich trat er
ſelber ein, unterſetzt und etwas beleibt, in Geſtalt und Angeſicht ſei¬
nem Sohne ähnlich. Aus ſeinen Geſichtszügen ſprach derſelbe Trotz,
derſelbe Eigenſinn, nur daß dieſer Ausdruck bei ihm, dem gebietenden
Herrn des Hauſes, mehr das Bewußtſein der anerkannten Rechtmäßig¬
keit und eben darum auch mehr herriſche Strenge hatte. Wenn man
jedoch ſein Geſicht näher prüfte, ſo fand man, daß die innere Natur¬
kraft nicht ſo groß war als das Anſehen, das er ſich geben zu müſſen
glaubte. Er grüßte die Gäſte kurz und ſetzte ſich ohne viele Um¬
ſtände mit ſeinen Hausgenoſſen zu Tiſche. Für ihn wurde beſonders
aufgetragen und ein Teller mit Beſteck lag vor ihm, während die
andern alle, die Hausfrau nicht ausgenommen, gemeinſam aus der
Schüſſel ſpeisten.

Unter dem Geklirr der Löffel flüſterten die Gäſte zuſammen, und
manche bittere Bemerkung, manche boshafte Spottrede wurde den
Eſſenden, ohne daß ſie es hörten, als Tiſchſegen zugeworfen.

Der Sonnenwirth meint, man müſſe es für eine Gnad' halten,
wenn man nur in ſeinem Haus noch trinken dürfe, ſagte der ältere
Müller.

Wenigſtens ein anderer Wirth, erwiderte der Jüngere — wenn
er auch noch ſo hungrig und durſtig iſt, ſetzt er ſich ein Vaterunſer¬
lang zu den Leuten hin, und wenn er auch weiter nichts ſagt als
„Auch hieſig?“ und „Thut's ſo bei einander?“ und „Wohl bekomm's!“
ſo ſieht man doch, daß er Lebensart hat, und dann kann er ja wieder
aufſteh'n und ſeinem Geſchäft nachgehen. Aber der! Ja, wenn wir
Pfarrer wären oder Schreiber, ſo würd' er ſich eine Ehr' d'raus

D. B. IV. Kurz, Sonnenwirth. 3
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[33/0049] Hahn mehr darnach krähen, daß er in ſeinen jungen Jahren hat das Wollkardätſchen erlernen müſſen. Ein raſcher Hufſchlag unterbrach das Geſpräch. Der jüngere Müller trat ans Fenſter. Was der Sonnenwirth noch ſtet auf dem Gaul ſitzt, bemerkte er. Er muß einen guten Handel gemacht haben; er ſitzt ſo aufrecht und trägt die Naſe ſo hoch. Nun kam die Hausfrau herein mit einem weißen Tuch auf dem Arm. Ihr folgte Magdalene mit dampfenden Schüſſeln. Ein Tiſch in der andern Ecke des Zimmers wurde gedeckt und das Eſſen auf¬ getragen. Das Geſinde erſchien, Knechte und Mägde. Draußen hörte man die befehlende Stimme des Hausherrn. Endlich trat er ſelber ein, unterſetzt und etwas beleibt, in Geſtalt und Angeſicht ſei¬ nem Sohne ähnlich. Aus ſeinen Geſichtszügen ſprach derſelbe Trotz, derſelbe Eigenſinn, nur daß dieſer Ausdruck bei ihm, dem gebietenden Herrn des Hauſes, mehr das Bewußtſein der anerkannten Rechtmäßig¬ keit und eben darum auch mehr herriſche Strenge hatte. Wenn man jedoch ſein Geſicht näher prüfte, ſo fand man, daß die innere Natur¬ kraft nicht ſo groß war als das Anſehen, das er ſich geben zu müſſen glaubte. Er grüßte die Gäſte kurz und ſetzte ſich ohne viele Um¬ ſtände mit ſeinen Hausgenoſſen zu Tiſche. Für ihn wurde beſonders aufgetragen und ein Teller mit Beſteck lag vor ihm, während die andern alle, die Hausfrau nicht ausgenommen, gemeinſam aus der Schüſſel ſpeisten. Unter dem Geklirr der Löffel flüſterten die Gäſte zuſammen, und manche bittere Bemerkung, manche boshafte Spottrede wurde den Eſſenden, ohne daß ſie es hörten, als Tiſchſegen zugeworfen. Der Sonnenwirth meint, man müſſe es für eine Gnad' halten, wenn man nur in ſeinem Haus noch trinken dürfe, ſagte der ältere Müller. Wenigſtens ein anderer Wirth, erwiderte der Jüngere — wenn er auch noch ſo hungrig und durſtig iſt, ſetzt er ſich ein Vaterunſer¬ lang zu den Leuten hin, und wenn er auch weiter nichts ſagt als „Auch hieſig?“ und „Thut's ſo bei einander?“ und „Wohl bekomm's!“ ſo ſieht man doch, daß er Lebensart hat, und dann kann er ja wieder aufſteh'n und ſeinem Geſchäft nachgehen. Aber der! Ja, wenn wir Pfarrer wären oder Schreiber, ſo würd' er ſich eine Ehr' d'raus D. B. IV. Kurz, Sonnenwirth. 3

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 33. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/49>, abgerufen am 24.11.2024.