Unwillen seine Zärtlichkeit und beschwerte sich über die Vertraulichkeiten eines Unbekannten, da er noch überdies allem Anschein nach ein großer Bösewicht sei und sie selbst in diesen Verdacht bringen wolle. Noch ließ er nicht nach. Er erklärte ihr, daß das Leugnen ihrer Verbrechen nun zu spät sei, daß er längst Alles gestanden, und daß sie selbst auch durch viele Umstände sich schon verrathen habe. Er versicherte sie, daß nun das Ende ihrer Frevelthaten gewiß gekommen, daß er aber seinen gegenwärtigen Zustand, wo er in Ketten und Banden schmachte und keine weitere Aussicht als den Tod habe, dennoch für viel glücklicher halte, als jenen, da er in der höchsten Freiheit Gottes und der Menschen gespottet. Nichts rührte das boshafte und ver¬ härtete Weib; sie antwortete ihm nur mit Unwillen und Verachtung. Nun konnte sich Schwan nimmer halten. Seine beiden großen Leiden¬ schaften, Zorn und Rachsucht, brachen plötzlich hervor, er tobte, raste, fluchte, und wünschte nichts mehr als die Verruchte mit eigener Hand ermorden zu können. Doch auf diesen Ausbruch erfolgte sogleich wieder Ergießung sanfter Liebe und Zärtlichkeit; er bat, flehte, weinte; aber auch seiner Bitten und seiner Thränen spottete sie, bis er auf's neue in Wuth ausbrach und so wechselsweise jetzt der Wuth, jetzt der Zärtlichkeit sich überließ."
So erzählt der Sohn des Oberamtmanns, der jenen Vorgängen nahe stand. Der spätere Sammler der Vaihinger Ueberlieferungen fügt aus unbekannter Quelle hinzu, die wirtembergische Behörde habe es für zweckdienlich gefunden, ihr den neunwöchigen Säug¬ ling wegzunehmen, den sie im badischen Gefängnisse geboren und gestillt, worüber sie in eine solche Raserei gerathen sei, daß sie sich das Gesicht zerfleischt, das Holz des Fußbodens mit den Nägeln auf¬ gerissen und Tage und Nächte lang mit gräßlichem Geheul nach ihrem Kinde verlangt habe, bis ihre Stimme in einem heisern Stöh¬ nen untergegangen sei; hierauf sei sie in eine bedenkliche Krankheit verfallen, von der sie sich erst nach fünf Wochen wieder erholt habe.
Freilich hatte ihr Mitschuldiger seinem Richter vorausgesagt, daß er einen schweren Stand mit ihrem verstockten Herzen haben werde, da sie oft erklärt habe, daß sie sich lieber auf den Tod foltern, als zum Spektakel der Welt durch den Henker hinrichten lassen wolle. Auch ließ er sie durch die Wächter bitten, zu gestehen und nicht sich
Unwillen ſeine Zärtlichkeit und beſchwerte ſich über die Vertraulichkeiten eines Unbekannten, da er noch überdies allem Anſchein nach ein großer Böſewicht ſei und ſie ſelbſt in dieſen Verdacht bringen wolle. Noch ließ er nicht nach. Er erklärte ihr, daß das Leugnen ihrer Verbrechen nun zu ſpät ſei, daß er längſt Alles geſtanden, und daß ſie ſelbſt auch durch viele Umſtände ſich ſchon verrathen habe. Er verſicherte ſie, daß nun das Ende ihrer Frevelthaten gewiß gekommen, daß er aber ſeinen gegenwärtigen Zuſtand, wo er in Ketten und Banden ſchmachte und keine weitere Ausſicht als den Tod habe, dennoch für viel glücklicher halte, als jenen, da er in der höchſten Freiheit Gottes und der Menſchen geſpottet. Nichts rührte das boshafte und ver¬ härtete Weib; ſie antwortete ihm nur mit Unwillen und Verachtung. Nun konnte ſich Schwan nimmer halten. Seine beiden großen Leiden¬ ſchaften, Zorn und Rachſucht, brachen plötzlich hervor, er tobte, raste, fluchte, und wünſchte nichts mehr als die Verruchte mit eigener Hand ermorden zu können. Doch auf dieſen Ausbruch erfolgte ſogleich wieder Ergießung ſanfter Liebe und Zärtlichkeit; er bat, flehte, weinte; aber auch ſeiner Bitten und ſeiner Thränen ſpottete ſie, bis er auf's neue in Wuth ausbrach und ſo wechſelsweiſe jetzt der Wuth, jetzt der Zärtlichkeit ſich überließ.“
So erzählt der Sohn des Oberamtmanns, der jenen Vorgängen nahe ſtand. Der ſpätere Sammler der Vaihinger Ueberlieferungen fügt aus unbekannter Quelle hinzu, die wirtembergiſche Behörde habe es für zweckdienlich gefunden, ihr den neunwöchigen Säug¬ ling wegzunehmen, den ſie im badiſchen Gefängniſſe geboren und geſtillt, worüber ſie in eine ſolche Raſerei gerathen ſei, daß ſie ſich das Geſicht zerfleiſcht, das Holz des Fußbodens mit den Nägeln auf¬ geriſſen und Tage und Nächte lang mit gräßlichem Geheul nach ihrem Kinde verlangt habe, bis ihre Stimme in einem heiſern Stöh¬ nen untergegangen ſei; hierauf ſei ſie in eine bedenkliche Krankheit verfallen, von der ſie ſich erſt nach fünf Wochen wieder erholt habe.
Freilich hatte ihr Mitſchuldiger ſeinem Richter vorausgeſagt, daß er einen ſchweren Stand mit ihrem verſtockten Herzen haben werde, da ſie oft erklärt habe, daß ſie ſich lieber auf den Tod foltern, als zum Spektakel der Welt durch den Henker hinrichten laſſen wolle. Auch ließ er ſie durch die Wächter bitten, zu geſtehen und nicht ſich
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Unwillen ſeine Zärtlichkeit und beſchwerte ſich über die Vertraulichkeiten
eines Unbekannten, da er noch überdies allem Anſchein nach ein großer
Böſewicht ſei und ſie ſelbſt in dieſen Verdacht bringen wolle. Noch
ließ er nicht nach. Er erklärte ihr, daß das Leugnen ihrer Verbrechen
nun zu ſpät ſei, daß er längſt Alles geſtanden, und daß ſie ſelbſt
auch durch viele Umſtände ſich ſchon verrathen habe. Er verſicherte
ſie, daß nun das Ende ihrer Frevelthaten gewiß gekommen, daß er
aber ſeinen gegenwärtigen Zuſtand, wo er in Ketten und Banden
ſchmachte und keine weitere Ausſicht als den Tod habe, dennoch für
viel glücklicher halte, als jenen, da er in der höchſten Freiheit Gottes
und der Menſchen geſpottet. Nichts rührte das boshafte und ver¬
härtete Weib; ſie antwortete ihm nur mit Unwillen und Verachtung.
Nun konnte ſich Schwan nimmer halten. Seine beiden großen Leiden¬
ſchaften, Zorn und Rachſucht, brachen plötzlich hervor, er tobte, raste,
fluchte, und wünſchte nichts mehr als die Verruchte mit eigener Hand
ermorden zu können. Doch auf dieſen Ausbruch erfolgte ſogleich
wieder Ergießung ſanfter Liebe und Zärtlichkeit; er bat, flehte, weinte;
aber auch ſeiner Bitten und ſeiner Thränen ſpottete ſie, bis er auf's
neue in Wuth ausbrach und ſo wechſelsweiſe jetzt der Wuth, jetzt der
Zärtlichkeit ſich überließ.“
So erzählt der Sohn des Oberamtmanns, der jenen Vorgängen
nahe ſtand. Der ſpätere Sammler der Vaihinger Ueberlieferungen
fügt aus unbekannter Quelle hinzu, die wirtembergiſche Behörde
habe es für zweckdienlich gefunden, ihr den neunwöchigen Säug¬
ling wegzunehmen, den ſie im badiſchen Gefängniſſe geboren und
geſtillt, worüber ſie in eine ſolche Raſerei gerathen ſei, daß ſie ſich
das Geſicht zerfleiſcht, das Holz des Fußbodens mit den Nägeln auf¬
geriſſen und Tage und Nächte lang mit gräßlichem Geheul nach
ihrem Kinde verlangt habe, bis ihre Stimme in einem heiſern Stöh¬
nen untergegangen ſei; hierauf ſei ſie in eine bedenkliche Krankheit
verfallen, von der ſie ſich erſt nach fünf Wochen wieder erholt habe.
Freilich hatte ihr Mitſchuldiger ſeinem Richter vorausgeſagt, daß
er einen ſchweren Stand mit ihrem verſtockten Herzen haben werde,
da ſie oft erklärt habe, daß ſie ſich lieber auf den Tod foltern, als
zum Spektakel der Welt durch den Henker hinrichten laſſen wolle.
Auch ließ er ſie durch die Wächter bitten, zu geſtehen und nicht ſich
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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 472. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/488>, abgerufen am 25.11.2024.
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