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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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Christine war, hingewiesen. Nur fand er bald, daß die Ausführung
eines Entschlusses nicht so leicht ist, wie der Entschluß selbst, und in
den nächsten Verhören begann er zu Gunsten seiner beiden Weiber zu
lügen, so sehr, daß er in der Erzählung von der Zusammenkunft im
Walde bei Wäschenbeuren eine Katharina statt der schwarzen Christine
nannte. Er hatte Beide mit der ganzen Kraft seines Herzens geliebt.
Wenn er sie aber liebte, so mußte er ihnen ja die gleiche bittersüße
Arznei reichen, der er seine Genesung zu verdanken bekannte. Er
entschloß sich dazu, und daß dieser Entschluß der äußersten Selbst¬
überwindung aus redlicher Ueberzeugung floß, das haben ihm nicht
bloß seine weltlichen Richter und geistlichen Tröster bezeugt, das bezeugt
ihm nicht bloß sein Geschichtschreiber, welcher versichert, daß er mit
der unabänderlich gleichen Gesinnung auf der Lippe gestorben sei, son¬
dern die menschliche Natur selbst bezeugt es ihm, welche weiß, daß
ein Mensch wie dieser nicht mit einer Lüge aus dem Leben gehen kann.

Die Folge seiner Geständnisse war, daß beide Christinen an den
Sitz des Gerichts geholt wurden, die eine aus ihrer Gefangenschaft,
die andere aus der Dunkelheit ihres Dienstes, in welchem sie sich, wie
ihr Geschichtschreiber sagt, ordentlich aufgeführt hatte.

Die schwarze Christine, die ihn durch und durch kannte und sich
ohne Zweifel sagte, daß sie verloren sei, wenn es der Oberamtmann
verstanden habe, ihn an seiner schwachen Seite zu fassen, leugnete
hartnäckig, schalt über Ungerechtigkeit und drohte -- aber der Ober¬
amtmann hatte sein gezähmtes Wild bei der Hand und wußte es
zum Fang des ungezähmten zu gebrauchen. Er hatte seinen Gefan¬
genen hinter einer spanischen Wand verborgen und ließ ihn, da sie
einen Sonnenwirthle jemals gesehen zu haben leugnete, plötzlich auf
ein gegebenes Zeichen hervortreten. "Seine ganze Seele," erzählt der
Geschichtschreiber, "ward bei ihrem Anblick bewegt, er zerfloß in Thrä¬
nen der Liebe und des Schmerzes. Auch sie war bei seinem uner¬
warteten Anblick erschüttert, doch faßte sie sich plötzlich wieder und
nahm die gleichgiltigste Miene, wie gegen einen unbekannten oder kaum
einmal gesehenen Menschen an. Schwan ließ sich nicht abschrecken. Er
näherte sich ihr mit den zärtlichsten Liebkosungen, die um so rührender
waren, da sie sich zum erstenmal in einer so traurigen Lage und unter
noch traurigeren Aussichten wiedersahen. Aber sie verschmähte mit

Chriſtine war, hingewieſen. Nur fand er bald, daß die Ausführung
eines Entſchluſſes nicht ſo leicht iſt, wie der Entſchluß ſelbſt, und in
den nächſten Verhören begann er zu Gunſten ſeiner beiden Weiber zu
lügen, ſo ſehr, daß er in der Erzählung von der Zuſammenkunft im
Walde bei Wäſchenbeuren eine Katharina ſtatt der ſchwarzen Chriſtine
nannte. Er hatte Beide mit der ganzen Kraft ſeines Herzens geliebt.
Wenn er ſie aber liebte, ſo mußte er ihnen ja die gleiche bitterſüße
Arznei reichen, der er ſeine Geneſung zu verdanken bekannte. Er
entſchloß ſich dazu, und daß dieſer Entſchluß der äußerſten Selbſt¬
überwindung aus redlicher Ueberzeugung floß, das haben ihm nicht
bloß ſeine weltlichen Richter und geiſtlichen Tröſter bezeugt, das bezeugt
ihm nicht bloß ſein Geſchichtſchreiber, welcher verſichert, daß er mit
der unabänderlich gleichen Geſinnung auf der Lippe geſtorben ſei, ſon¬
dern die menſchliche Natur ſelbſt bezeugt es ihm, welche weiß, daß
ein Menſch wie dieſer nicht mit einer Lüge aus dem Leben gehen kann.

Die Folge ſeiner Geſtändniſſe war, daß beide Chriſtinen an den
Sitz des Gerichts geholt wurden, die eine aus ihrer Gefangenſchaft,
die andere aus der Dunkelheit ihres Dienſtes, in welchem ſie ſich, wie
ihr Geſchichtſchreiber ſagt, ordentlich aufgeführt hatte.

Die ſchwarze Chriſtine, die ihn durch und durch kannte und ſich
ohne Zweifel ſagte, daß ſie verloren ſei, wenn es der Oberamtmann
verſtanden habe, ihn an ſeiner ſchwachen Seite zu faſſen, leugnete
hartnäckig, ſchalt über Ungerechtigkeit und drohte — aber der Ober¬
amtmann hatte ſein gezähmtes Wild bei der Hand und wußte es
zum Fang des ungezähmten zu gebrauchen. Er hatte ſeinen Gefan¬
genen hinter einer ſpaniſchen Wand verborgen und ließ ihn, da ſie
einen Sonnenwirthle jemals geſehen zu haben leugnete, plötzlich auf
ein gegebenes Zeichen hervortreten. „Seine ganze Seele,“ erzählt der
Geſchichtſchreiber, „ward bei ihrem Anblick bewegt, er zerfloß in Thrä¬
nen der Liebe und des Schmerzes. Auch ſie war bei ſeinem uner¬
warteten Anblick erſchüttert, doch faßte ſie ſich plötzlich wieder und
nahm die gleichgiltigſte Miene, wie gegen einen unbekannten oder kaum
einmal geſehenen Menſchen an. Schwan ließ ſich nicht abſchrecken. Er
näherte ſich ihr mit den zärtlichſten Liebkoſungen, die um ſo rührender
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[471/0487] Chriſtine war, hingewieſen. Nur fand er bald, daß die Ausführung eines Entſchluſſes nicht ſo leicht iſt, wie der Entſchluß ſelbſt, und in den nächſten Verhören begann er zu Gunſten ſeiner beiden Weiber zu lügen, ſo ſehr, daß er in der Erzählung von der Zuſammenkunft im Walde bei Wäſchenbeuren eine Katharina ſtatt der ſchwarzen Chriſtine nannte. Er hatte Beide mit der ganzen Kraft ſeines Herzens geliebt. Wenn er ſie aber liebte, ſo mußte er ihnen ja die gleiche bitterſüße Arznei reichen, der er ſeine Geneſung zu verdanken bekannte. Er entſchloß ſich dazu, und daß dieſer Entſchluß der äußerſten Selbſt¬ überwindung aus redlicher Ueberzeugung floß, das haben ihm nicht bloß ſeine weltlichen Richter und geiſtlichen Tröſter bezeugt, das bezeugt ihm nicht bloß ſein Geſchichtſchreiber, welcher verſichert, daß er mit der unabänderlich gleichen Geſinnung auf der Lippe geſtorben ſei, ſon¬ dern die menſchliche Natur ſelbſt bezeugt es ihm, welche weiß, daß ein Menſch wie dieſer nicht mit einer Lüge aus dem Leben gehen kann. Die Folge ſeiner Geſtändniſſe war, daß beide Chriſtinen an den Sitz des Gerichts geholt wurden, die eine aus ihrer Gefangenſchaft, die andere aus der Dunkelheit ihres Dienſtes, in welchem ſie ſich, wie ihr Geſchichtſchreiber ſagt, ordentlich aufgeführt hatte. Die ſchwarze Chriſtine, die ihn durch und durch kannte und ſich ohne Zweifel ſagte, daß ſie verloren ſei, wenn es der Oberamtmann verſtanden habe, ihn an ſeiner ſchwachen Seite zu faſſen, leugnete hartnäckig, ſchalt über Ungerechtigkeit und drohte — aber der Ober¬ amtmann hatte ſein gezähmtes Wild bei der Hand und wußte es zum Fang des ungezähmten zu gebrauchen. Er hatte ſeinen Gefan¬ genen hinter einer ſpaniſchen Wand verborgen und ließ ihn, da ſie einen Sonnenwirthle jemals geſehen zu haben leugnete, plötzlich auf ein gegebenes Zeichen hervortreten. „Seine ganze Seele,“ erzählt der Geſchichtſchreiber, „ward bei ihrem Anblick bewegt, er zerfloß in Thrä¬ nen der Liebe und des Schmerzes. Auch ſie war bei ſeinem uner¬ warteten Anblick erſchüttert, doch faßte ſie ſich plötzlich wieder und nahm die gleichgiltigſte Miene, wie gegen einen unbekannten oder kaum einmal geſehenen Menſchen an. Schwan ließ ſich nicht abſchrecken. Er näherte ſich ihr mit den zärtlichſten Liebkoſungen, die um ſo rührender waren, da ſie ſich zum erſtenmal in einer ſo traurigen Lage und unter noch traurigeren Ausſichten wiederſahen. Aber ſie verſchmähte mit

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 471. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/487>, abgerufen am 22.11.2024.