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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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die Wachsamkeit dortiger Bürger gestört zu werden, wie denn über¬
haupt in allen ähnlichen Geschichten jener Zeit die Jaunerherrlichkeit
immer erst da ein Ende hat, wo muthige und aufopfernde Bürger,
oft schmählich im Stich gelassen, der Obrigkeit zu Hilfe kommen. Dem
Räuber gelang es in eine Kapelle zu entspringen, seine beiden Terz¬
rohre, wie der Sprachgebrauch der Zeit sie nannte, unter dem Hoch¬
altar zu verbergen, und seine Baarschaft von drei Carolins dem Chor¬
rector, der mit mehreren Geistlichen sogleich herbeieilte, in die Hand
zu drücken. Der Chorrector versprach ihn nicht eher auszuliefern, als
bis er vom Magistrat einen Salvusconduct in so bündiger Form aus¬
gewirkt habe, daß man ihm weder an das Leben gehen noch ein Glied verletzen,
sondern, wenn er je eine Todesstrafe verwirkt, ihn wieder hierher in die
Kirche stellen müsse; für Schläge könne er ihm freilich nicht stehen. Der
Stadtmeister der katholischen Reichsstadt lag nebst einigen anderen Per¬
sonen so eben in der gleichen Kirche seiner Andacht ob und sah die
Unterhandlung zwischen dem Geistlichen und dem verdächtigen Flüchtling
mit an. Als nun die Kirche denselben mit dem weiteren Versprechen, daß
er das anvertraute Geld nach seiner Freigebung bei dem Pfarrer
eines benachbarten Ortes wieder abholen könne, der weltlichen Obrig¬
keit übergeben hatte, so wollte diese mit aller Gewalt wissen, was er
dem Geistlichen zugestellt habe. Drei Tage hinter einander erhielt er
jedesmal vierzig Streiche, bekannte aber nichts, ungeachtet er nach
seiner Erzählung unleidliche Schmerzen auszustehen hatte, und in der
Nacht des vierten Tages gelang es ihm, die Riegelwand von Backstein
durchzubrechen und sich am Leintuche herabzulassen, worauf er bei dem
bezeichneten Pfarrer seine drei Carolins wieder abholte. Die Kirche
hatte im Kampfe mit dem Staat ihr Recht um jeden Preis behauptet
und eher einem Räuber, dessen Eigenschaft sie kaum bezweifeln konnte,
durchgeholfen, als sich ihr Asylrecht verletzen lassen. Nach diesem Her¬
gang darf man sich jedoch nicht wundern, wenn Christine über die Ge¬
schichte der dreitägigen Buße vor einem mit Speiß gemalten Crucifix,
welche ihm jeden Tag durch die Aussicht, morgen wieder vierzig Schläge
zu erhalten, geschärft worden war, den vierten Tag aber mit einem Aus¬
bruch geendigt hatte, in ein höhnisches Gelächter ausbrach und die lutheri¬
schen Anwandlungen um so unpassender fand, als ihre eigene Kirche
ihn so eben zu nicht geringem Danke verpflichtet hatte.

die Wachſamkeit dortiger Bürger geſtört zu werden, wie denn über¬
haupt in allen ähnlichen Geſchichten jener Zeit die Jaunerherrlichkeit
immer erſt da ein Ende hat, wo muthige und aufopfernde Bürger,
oft ſchmählich im Stich gelaſſen, der Obrigkeit zu Hilfe kommen. Dem
Räuber gelang es in eine Kapelle zu entſpringen, ſeine beiden Terz¬
rohre, wie der Sprachgebrauch der Zeit ſie nannte, unter dem Hoch¬
altar zu verbergen, und ſeine Baarſchaft von drei Carolins dem Chor¬
rector, der mit mehreren Geiſtlichen ſogleich herbeieilte, in die Hand
zu drücken. Der Chorrector verſprach ihn nicht eher auszuliefern, als
bis er vom Magiſtrat einen Salvusconduct in ſo bündiger Form aus¬
gewirkt habe, daß man ihm weder an das Leben gehen noch ein Glied verletzen,
ſondern, wenn er je eine Todesſtrafe verwirkt, ihn wieder hierher in die
Kirche ſtellen müſſe; für Schläge könne er ihm freilich nicht ſtehen. Der
Stadtmeiſter der katholiſchen Reichsſtadt lag nebſt einigen anderen Per¬
ſonen ſo eben in der gleichen Kirche ſeiner Andacht ob und ſah die
Unterhandlung zwiſchen dem Geiſtlichen und dem verdächtigen Flüchtling
mit an. Als nun die Kirche denſelben mit dem weiteren Verſprechen, daß
er das anvertraute Geld nach ſeiner Freigebung bei dem Pfarrer
eines benachbarten Ortes wieder abholen könne, der weltlichen Obrig¬
keit übergeben hatte, ſo wollte dieſe mit aller Gewalt wiſſen, was er
dem Geiſtlichen zugeſtellt habe. Drei Tage hinter einander erhielt er
jedesmal vierzig Streiche, bekannte aber nichts, ungeachtet er nach
ſeiner Erzählung unleidliche Schmerzen auszuſtehen hatte, und in der
Nacht des vierten Tages gelang es ihm, die Riegelwand von Backſtein
durchzubrechen und ſich am Leintuche herabzulaſſen, worauf er bei dem
bezeichneten Pfarrer ſeine drei Carolins wieder abholte. Die Kirche
hatte im Kampfe mit dem Staat ihr Recht um jeden Preis behauptet
und eher einem Räuber, deſſen Eigenſchaft ſie kaum bezweifeln konnte,
durchgeholfen, als ſich ihr Aſylrecht verletzen laſſen. Nach dieſem Her¬
gang darf man ſich jedoch nicht wundern, wenn Chriſtine über die Ge¬
ſchichte der dreitägigen Buße vor einem mit Speiß gemalten Crucifix,
welche ihm jeden Tag durch die Ausſicht, morgen wieder vierzig Schläge
zu erhalten, geſchärft worden war, den vierten Tag aber mit einem Aus¬
bruch geendigt hatte, in ein höhniſches Gelächter ausbrach und die lutheri¬
ſchen Anwandlungen um ſo unpaſſender fand, als ihre eigene Kirche
ihn ſo eben zu nicht geringem Danke verpflichtet hatte.

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[463/0479] die Wachſamkeit dortiger Bürger geſtört zu werden, wie denn über¬ haupt in allen ähnlichen Geſchichten jener Zeit die Jaunerherrlichkeit immer erſt da ein Ende hat, wo muthige und aufopfernde Bürger, oft ſchmählich im Stich gelaſſen, der Obrigkeit zu Hilfe kommen. Dem Räuber gelang es in eine Kapelle zu entſpringen, ſeine beiden Terz¬ rohre, wie der Sprachgebrauch der Zeit ſie nannte, unter dem Hoch¬ altar zu verbergen, und ſeine Baarſchaft von drei Carolins dem Chor¬ rector, der mit mehreren Geiſtlichen ſogleich herbeieilte, in die Hand zu drücken. Der Chorrector verſprach ihn nicht eher auszuliefern, als bis er vom Magiſtrat einen Salvusconduct in ſo bündiger Form aus¬ gewirkt habe, daß man ihm weder an das Leben gehen noch ein Glied verletzen, ſondern, wenn er je eine Todesſtrafe verwirkt, ihn wieder hierher in die Kirche ſtellen müſſe; für Schläge könne er ihm freilich nicht ſtehen. Der Stadtmeiſter der katholiſchen Reichsſtadt lag nebſt einigen anderen Per¬ ſonen ſo eben in der gleichen Kirche ſeiner Andacht ob und ſah die Unterhandlung zwiſchen dem Geiſtlichen und dem verdächtigen Flüchtling mit an. Als nun die Kirche denſelben mit dem weiteren Verſprechen, daß er das anvertraute Geld nach ſeiner Freigebung bei dem Pfarrer eines benachbarten Ortes wieder abholen könne, der weltlichen Obrig¬ keit übergeben hatte, ſo wollte dieſe mit aller Gewalt wiſſen, was er dem Geiſtlichen zugeſtellt habe. Drei Tage hinter einander erhielt er jedesmal vierzig Streiche, bekannte aber nichts, ungeachtet er nach ſeiner Erzählung unleidliche Schmerzen auszuſtehen hatte, und in der Nacht des vierten Tages gelang es ihm, die Riegelwand von Backſtein durchzubrechen und ſich am Leintuche herabzulaſſen, worauf er bei dem bezeichneten Pfarrer ſeine drei Carolins wieder abholte. Die Kirche hatte im Kampfe mit dem Staat ihr Recht um jeden Preis behauptet und eher einem Räuber, deſſen Eigenſchaft ſie kaum bezweifeln konnte, durchgeholfen, als ſich ihr Aſylrecht verletzen laſſen. Nach dieſem Her¬ gang darf man ſich jedoch nicht wundern, wenn Chriſtine über die Ge¬ ſchichte der dreitägigen Buße vor einem mit Speiß gemalten Crucifix, welche ihm jeden Tag durch die Ausſicht, morgen wieder vierzig Schläge zu erhalten, geſchärft worden war, den vierten Tag aber mit einem Aus¬ bruch geendigt hatte, in ein höhniſches Gelächter ausbrach und die lutheri¬ ſchen Anwandlungen um ſo unpaſſender fand, als ihre eigene Kirche ihn ſo eben zu nicht geringem Danke verpflichtet hatte.

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 463. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/479>, abgerufen am 25.11.2024.