ein Halt geboten hat. Selbst im Kriege, besonders wenn der Einzelne dem Einzelnen gegenüber steht, wird es oft der mordgewohnten Hand schwer, einen neuen Mord zu begehen. Nur die Henker sind von jener inneren Macht so fürchterlich verlassen, daß sie mit kaltem Blute die Rache der Gesellschaft an einem rohen Verletzer einer rohen Ordnung vollziehen können. Und oft selbst diese nicht!
Kampf und Wuth und Schrecken umnebelten den Geist des aus¬ gestoßenen Sohnes der Gesellschaft, der sich vergebens beredete, daß er mit kaltem Blute in dem Kriege, welcher gegen ihn geführt wurde, seinen Feind niederschießen könne. Seine Rachegedanken waren ihm wüst und unklar durch die Seele gegangen; sie schwanden hin und gänzliche Verwir¬ rung seiner Sinne blieb zurück, in welcher nichts von Haß und Rache, nichts von Bewußtsein mehr war, in welcher nur jene dunkle Stimme fort und fort flüsterte: Thu's! thu's! du mußt es thun!
Der Schuß krachte über das Thal hinüber, der Hirsch war mit einem Satze verschwunden, und der Rauch, der von dem Gewehr auf¬ stieg, verhüllte den friedlich blauen Himmel einen Augenblick. Obgleich von oben nach unten versendet, hatte der Schuß nicht gefehlt. Der Mörder hörte und sah, während der Rauch sich verzog, wie sein Opfer aus der gebückten Stellung sich aufrichtete, die Hand auf den Unter¬ leib drückte und ausrief: O du verfluchter Hund -- er hat mich ge¬ troffen! Der Gefährte des Fischers eilte hinzu und riß ihn, noch er¬ schrockener als der Getroffene, mit sich an den Weg hinab, auf welchem er, beständig den Kopf geduckt haltend, mit ihm fortrannte. Der Mörder schritt an seiner Bergsette weiter vor gegen das Thal hinaus und sah mit stumpfer Theilnahme, mit einer seltsamen Art von Neu¬ gier aus der Höhe zu, wie die Beiden gegen das offene Thal hinaus¬ liefen, wie der Fischer, den seine Eingeweide zu brennen schienen, von seinem Genossen unterstützt aus dem Bache trank, und wie den Zusammen¬ sinkenden ein draußen vorbeikommender Wagen aufnahm. Die Leute liefen im Thale von den Feldern zusammen und er hörte in seiner waldigen Höhe das Geschrei: Meuchelmord!
Es wurde still in dem engen Thal des Todes, so still, daß alle Hirsche des Waldes sich darin hätten versammeln können. Nach einiger Zeit kam eine Kuh langsam aus dem Walde den Weg daher. Sie mochte sich von einer nahen, im Walde gelegenen Weide hierher verloren
ein Halt geboten hat. Selbſt im Kriege, beſonders wenn der Einzelne dem Einzelnen gegenüber ſteht, wird es oft der mordgewohnten Hand ſchwer, einen neuen Mord zu begehen. Nur die Henker ſind von jener inneren Macht ſo fürchterlich verlaſſen, daß ſie mit kaltem Blute die Rache der Geſellſchaft an einem rohen Verletzer einer rohen Ordnung vollziehen können. Und oft ſelbſt dieſe nicht!
Kampf und Wuth und Schrecken umnebelten den Geiſt des aus¬ geſtoßenen Sohnes der Geſellſchaft, der ſich vergebens beredete, daß er mit kaltem Blute in dem Kriege, welcher gegen ihn geführt wurde, ſeinen Feind niederſchießen könne. Seine Rachegedanken waren ihm wüſt und unklar durch die Seele gegangen; ſie ſchwanden hin und gänzliche Verwir¬ rung ſeiner Sinne blieb zurück, in welcher nichts von Haß und Rache, nichts von Bewußtſein mehr war, in welcher nur jene dunkle Stimme fort und fort flüſterte: Thu's! thu's! du mußt es thun!
Der Schuß krachte über das Thal hinüber, der Hirſch war mit einem Satze verſchwunden, und der Rauch, der von dem Gewehr auf¬ ſtieg, verhüllte den friedlich blauen Himmel einen Augenblick. Obgleich von oben nach unten verſendet, hatte der Schuß nicht gefehlt. Der Mörder hörte und ſah, während der Rauch ſich verzog, wie ſein Opfer aus der gebückten Stellung ſich aufrichtete, die Hand auf den Unter¬ leib drückte und ausrief: O du verfluchter Hund — er hat mich ge¬ troffen! Der Gefährte des Fiſchers eilte hinzu und riß ihn, noch er¬ ſchrockener als der Getroffene, mit ſich an den Weg hinab, auf welchem er, beſtändig den Kopf geduckt haltend, mit ihm fortrannte. Der Mörder ſchritt an ſeiner Bergſette weiter vor gegen das Thal hinaus und ſah mit ſtumpfer Theilnahme, mit einer ſeltſamen Art von Neu¬ gier aus der Höhe zu, wie die Beiden gegen das offene Thal hinaus¬ liefen, wie der Fiſcher, den ſeine Eingeweide zu brennen ſchienen, von ſeinem Genoſſen unterſtützt aus dem Bache trank, und wie den Zuſammen¬ ſinkenden ein draußen vorbeikommender Wagen aufnahm. Die Leute liefen im Thale von den Feldern zuſammen und er hörte in ſeiner waldigen Höhe das Geſchrei: Meuchelmord!
Es wurde ſtill in dem engen Thal des Todes, ſo ſtill, daß alle Hirſche des Waldes ſich darin hätten verſammeln können. Nach einiger Zeit kam eine Kuh langſam aus dem Walde den Weg daher. Sie mochte ſich von einer nahen, im Walde gelegenen Weide hierher verloren
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0454"n="438"/>
ein Halt geboten hat. Selbſt im Kriege, beſonders wenn der Einzelne<lb/>
dem Einzelnen gegenüber ſteht, wird es oft der mordgewohnten Hand<lb/>ſchwer, einen neuen Mord zu begehen. Nur die Henker ſind von jener<lb/>
inneren Macht ſo fürchterlich verlaſſen, daß ſie mit kaltem Blute die<lb/>
Rache der Geſellſchaft an einem rohen Verletzer einer rohen Ordnung<lb/>
vollziehen können. Und oft ſelbſt dieſe nicht!</p><lb/><p>Kampf und Wuth und Schrecken umnebelten den Geiſt des aus¬<lb/>
geſtoßenen Sohnes der Geſellſchaft, der ſich vergebens beredete, daß er mit<lb/>
kaltem Blute in dem Kriege, welcher gegen ihn geführt wurde, ſeinen<lb/>
Feind niederſchießen könne. Seine Rachegedanken waren ihm wüſt und<lb/>
unklar durch die Seele gegangen; ſie ſchwanden hin und gänzliche Verwir¬<lb/>
rung ſeiner Sinne blieb zurück, in welcher nichts von Haß und Rache,<lb/>
nichts von Bewußtſein mehr war, in welcher nur jene dunkle Stimme<lb/>
fort und fort flüſterte: Thu's! thu's! du mußt es thun!</p><lb/><p>Der Schuß krachte über das Thal hinüber, der Hirſch war mit<lb/>
einem Satze verſchwunden, und der Rauch, der von dem Gewehr auf¬<lb/>ſtieg, verhüllte den friedlich blauen Himmel einen Augenblick. Obgleich<lb/>
von oben nach unten verſendet, hatte der Schuß nicht gefehlt. Der<lb/>
Mörder hörte und ſah, während der Rauch ſich verzog, wie ſein Opfer<lb/>
aus der gebückten Stellung ſich aufrichtete, die Hand auf den Unter¬<lb/>
leib drückte und ausrief: O du verfluchter Hund — er hat mich ge¬<lb/>
troffen! Der Gefährte des Fiſchers eilte hinzu und riß ihn, noch er¬<lb/>ſchrockener als der Getroffene, mit ſich an den Weg hinab, auf welchem<lb/>
er, beſtändig den Kopf geduckt haltend, mit ihm fortrannte. Der<lb/>
Mörder ſchritt an ſeiner Bergſette weiter vor gegen das Thal hinaus<lb/>
und ſah mit ſtumpfer Theilnahme, mit einer ſeltſamen Art von Neu¬<lb/>
gier aus der Höhe zu, wie die Beiden gegen das offene Thal hinaus¬<lb/>
liefen, wie der Fiſcher, den ſeine Eingeweide zu brennen ſchienen, von<lb/>ſeinem Genoſſen unterſtützt aus dem Bache trank, und wie den Zuſammen¬<lb/>ſinkenden ein draußen vorbeikommender Wagen aufnahm. Die Leute<lb/>
liefen im Thale von den Feldern zuſammen und er hörte in ſeiner<lb/>
waldigen Höhe das Geſchrei: Meuchelmord!</p><lb/><p>Es wurde ſtill in dem engen Thal des Todes, ſo ſtill, daß alle Hirſche<lb/>
des Waldes ſich darin hätten verſammeln können. Nach einiger Zeit<lb/>
kam eine Kuh langſam aus dem Walde den Weg daher. Sie mochte<lb/>ſich von einer nahen, im Walde gelegenen Weide hierher verloren<lb/></p></div></body></text></TEI>
[438/0454]
ein Halt geboten hat. Selbſt im Kriege, beſonders wenn der Einzelne
dem Einzelnen gegenüber ſteht, wird es oft der mordgewohnten Hand
ſchwer, einen neuen Mord zu begehen. Nur die Henker ſind von jener
inneren Macht ſo fürchterlich verlaſſen, daß ſie mit kaltem Blute die
Rache der Geſellſchaft an einem rohen Verletzer einer rohen Ordnung
vollziehen können. Und oft ſelbſt dieſe nicht!
Kampf und Wuth und Schrecken umnebelten den Geiſt des aus¬
geſtoßenen Sohnes der Geſellſchaft, der ſich vergebens beredete, daß er mit
kaltem Blute in dem Kriege, welcher gegen ihn geführt wurde, ſeinen
Feind niederſchießen könne. Seine Rachegedanken waren ihm wüſt und
unklar durch die Seele gegangen; ſie ſchwanden hin und gänzliche Verwir¬
rung ſeiner Sinne blieb zurück, in welcher nichts von Haß und Rache,
nichts von Bewußtſein mehr war, in welcher nur jene dunkle Stimme
fort und fort flüſterte: Thu's! thu's! du mußt es thun!
Der Schuß krachte über das Thal hinüber, der Hirſch war mit
einem Satze verſchwunden, und der Rauch, der von dem Gewehr auf¬
ſtieg, verhüllte den friedlich blauen Himmel einen Augenblick. Obgleich
von oben nach unten verſendet, hatte der Schuß nicht gefehlt. Der
Mörder hörte und ſah, während der Rauch ſich verzog, wie ſein Opfer
aus der gebückten Stellung ſich aufrichtete, die Hand auf den Unter¬
leib drückte und ausrief: O du verfluchter Hund — er hat mich ge¬
troffen! Der Gefährte des Fiſchers eilte hinzu und riß ihn, noch er¬
ſchrockener als der Getroffene, mit ſich an den Weg hinab, auf welchem
er, beſtändig den Kopf geduckt haltend, mit ihm fortrannte. Der
Mörder ſchritt an ſeiner Bergſette weiter vor gegen das Thal hinaus
und ſah mit ſtumpfer Theilnahme, mit einer ſeltſamen Art von Neu¬
gier aus der Höhe zu, wie die Beiden gegen das offene Thal hinaus¬
liefen, wie der Fiſcher, den ſeine Eingeweide zu brennen ſchienen, von
ſeinem Genoſſen unterſtützt aus dem Bache trank, und wie den Zuſammen¬
ſinkenden ein draußen vorbeikommender Wagen aufnahm. Die Leute
liefen im Thale von den Feldern zuſammen und er hörte in ſeiner
waldigen Höhe das Geſchrei: Meuchelmord!
Es wurde ſtill in dem engen Thal des Todes, ſo ſtill, daß alle Hirſche
des Waldes ſich darin hätten verſammeln können. Nach einiger Zeit
kam eine Kuh langſam aus dem Walde den Weg daher. Sie mochte
ſich von einer nahen, im Walde gelegenen Weide hierher verloren
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 438. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/454>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.