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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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nicht mehr hier, und wenn er dem Lichte des Tages zu trotzen wagte,
so durfte er sich bald wieder auf das wilde Geschrei der Menschenjagd
gefaßt halten.

Er ging in den Wald und zog aufmerksam spürend einen großen
Bogen, der ihn zuletzt wieder, eine gute Strecke unterhalb seines Vater¬
ortes, gegen das Thal herausführte. Er befand sich hier an einer
steilen Bergseite über einem ganz engen Seitenthälchen, das in der
Urzeit nur eine Schlucht gewesen war. Ein dünnes Bächlein rieselte
durch den Grund nach dem größern Thale hinaus und neben dem
Bächlein lief ein schmaler Weg hin, kaum für kleine Fuhrwerke be¬
fahrbar. Das Bächlein und der Weg füllten den Grund des kleinen
Einschnittes völlig aus; über dem Bächlein hing der steile Bergwald,
wie eine beinahe gerade Wand, und von dem Rande des schmalen
Weges an stieg die entgegengesetzte Wand, sich sanfter zurücklehnend,
nach der Anhöhe empor, die das größere Thal begrenzte. Auf dieser
nicht so steil geneigten Seite zogen sich Wiesenstücke vom Thal herein
und von der Höhe herab bis an den Rand des Weges, aber von
Wald unterbrochen, der sich an einzelnen Stellen von der steilen Berg¬
wand her über das Bächlein auch auf die andre Seite verbreitet hatte,
so daß der schmale Weg sich oft im Walde zu verlieren schien. Das
Thälchen war so still, daß das Wild hier oft bis an den Weg her¬
unterkam, um aus dem Bächlein zu trinken.

Er zog sich an der steilen Bergseite hin und gerieth in eine Ver¬
tiefung, die von oben nach dem Thälchen herablief, wie sie, vom Volke
Klingen genannt, in den vielfach eingeschnittenen Bergwäldern sich
häufig finden. Ein Erdaufwurf, mit Moos und Waldgras bewachsen,
hinderte seinen Schritt. Er blieb stehen und besann sich. Richtig!
sagte er: hier am Kirnberg, weit ab von ihrer Gemeinschaft, haben
sie dich eingescharrt, armer Küblerfritz! Wenn Einer des Wegs daher
kommt, so geht er gewiß scheu vorüber und denkt in seinem Herzen:
Herr, ich danke dir, daß ich kein Solcher bin. Bei Nacht wird sich
vollends gar Keiner herwagen, und doch bleibst du sicherlich auf dei¬
nem trotzigen Ellenbogen ruhig liegen, denn der Kirnbach da drunten
ist viel zu klein für deinen Durst. Schlaf' du ruhig fort im kühlen
grünen Wald. Hier ist dir's wohler, als auf dem Kirchhof neben den
Andern mit ihrem "Wahren Christenthum". Hätt' ich dran gedacht,

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nicht mehr hier, und wenn er dem Lichte des Tages zu trotzen wagte,
ſo durfte er ſich bald wieder auf das wilde Geſchrei der Menſchenjagd
gefaßt halten.

Er ging in den Wald und zog aufmerkſam ſpürend einen großen
Bogen, der ihn zuletzt wieder, eine gute Strecke unterhalb ſeines Vater¬
ortes, gegen das Thal herausführte. Er befand ſich hier an einer
ſteilen Bergſeite über einem ganz engen Seitenthälchen, das in der
Urzeit nur eine Schlucht geweſen war. Ein dünnes Bächlein rieſelte
durch den Grund nach dem größern Thale hinaus und neben dem
Bächlein lief ein ſchmaler Weg hin, kaum für kleine Fuhrwerke be¬
fahrbar. Das Bächlein und der Weg füllten den Grund des kleinen
Einſchnittes völlig aus; über dem Bächlein hing der ſteile Bergwald,
wie eine beinahe gerade Wand, und von dem Rande des ſchmalen
Weges an ſtieg die entgegengeſetzte Wand, ſich ſanfter zurücklehnend,
nach der Anhöhe empor, die das größere Thal begrenzte. Auf dieſer
nicht ſo ſteil geneigten Seite zogen ſich Wieſenſtücke vom Thal herein
und von der Höhe herab bis an den Rand des Weges, aber von
Wald unterbrochen, der ſich an einzelnen Stellen von der ſteilen Berg¬
wand her über das Bächlein auch auf die andre Seite verbreitet hatte,
ſo daß der ſchmale Weg ſich oft im Walde zu verlieren ſchien. Das
Thälchen war ſo ſtill, daß das Wild hier oft bis an den Weg her¬
unterkam, um aus dem Bächlein zu trinken.

Er zog ſich an der ſteilen Bergſeite hin und gerieth in eine Ver¬
tiefung, die von oben nach dem Thälchen herablief, wie ſie, vom Volke
Klingen genannt, in den vielfach eingeſchnittenen Bergwäldern ſich
häufig finden. Ein Erdaufwurf, mit Moos und Waldgras bewachſen,
hinderte ſeinen Schritt. Er blieb ſtehen und beſann ſich. Richtig!
ſagte er: hier am Kirnberg, weit ab von ihrer Gemeinſchaft, haben
ſie dich eingeſcharrt, armer Küblerfritz! Wenn Einer des Wegs daher
kommt, ſo geht er gewiß ſcheu vorüber und denkt in ſeinem Herzen:
Herr, ich danke dir, daß ich kein Solcher bin. Bei Nacht wird ſich
vollends gar Keiner herwagen, und doch bleibſt du ſicherlich auf dei¬
nem trotzigen Ellenbogen ruhig liegen, denn der Kirnbach da drunten
iſt viel zu klein für deinen Durſt. Schlaf' du ruhig fort im kühlen
grünen Wald. Hier iſt dir's wohler, als auf dem Kirchhof neben den
Andern mit ihrem „Wahren Chriſtenthum“. Hätt' ich dran gedacht,

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[435/0451] nicht mehr hier, und wenn er dem Lichte des Tages zu trotzen wagte, ſo durfte er ſich bald wieder auf das wilde Geſchrei der Menſchenjagd gefaßt halten. Er ging in den Wald und zog aufmerkſam ſpürend einen großen Bogen, der ihn zuletzt wieder, eine gute Strecke unterhalb ſeines Vater¬ ortes, gegen das Thal herausführte. Er befand ſich hier an einer ſteilen Bergſeite über einem ganz engen Seitenthälchen, das in der Urzeit nur eine Schlucht geweſen war. Ein dünnes Bächlein rieſelte durch den Grund nach dem größern Thale hinaus und neben dem Bächlein lief ein ſchmaler Weg hin, kaum für kleine Fuhrwerke be¬ fahrbar. Das Bächlein und der Weg füllten den Grund des kleinen Einſchnittes völlig aus; über dem Bächlein hing der ſteile Bergwald, wie eine beinahe gerade Wand, und von dem Rande des ſchmalen Weges an ſtieg die entgegengeſetzte Wand, ſich ſanfter zurücklehnend, nach der Anhöhe empor, die das größere Thal begrenzte. Auf dieſer nicht ſo ſteil geneigten Seite zogen ſich Wieſenſtücke vom Thal herein und von der Höhe herab bis an den Rand des Weges, aber von Wald unterbrochen, der ſich an einzelnen Stellen von der ſteilen Berg¬ wand her über das Bächlein auch auf die andre Seite verbreitet hatte, ſo daß der ſchmale Weg ſich oft im Walde zu verlieren ſchien. Das Thälchen war ſo ſtill, daß das Wild hier oft bis an den Weg her¬ unterkam, um aus dem Bächlein zu trinken. Er zog ſich an der ſteilen Bergſeite hin und gerieth in eine Ver¬ tiefung, die von oben nach dem Thälchen herablief, wie ſie, vom Volke Klingen genannt, in den vielfach eingeſchnittenen Bergwäldern ſich häufig finden. Ein Erdaufwurf, mit Moos und Waldgras bewachſen, hinderte ſeinen Schritt. Er blieb ſtehen und beſann ſich. Richtig! ſagte er: hier am Kirnberg, weit ab von ihrer Gemeinſchaft, haben ſie dich eingeſcharrt, armer Küblerfritz! Wenn Einer des Wegs daher kommt, ſo geht er gewiß ſcheu vorüber und denkt in ſeinem Herzen: Herr, ich danke dir, daß ich kein Solcher bin. Bei Nacht wird ſich vollends gar Keiner herwagen, und doch bleibſt du ſicherlich auf dei¬ nem trotzigen Ellenbogen ruhig liegen, denn der Kirnbach da drunten iſt viel zu klein für deinen Durſt. Schlaf' du ruhig fort im kühlen grünen Wald. Hier iſt dir's wohler, als auf dem Kirchhof neben den Andern mit ihrem „Wahren Chriſtenthum“. Hätt' ich dran gedacht, 28 *

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 435. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/451>, abgerufen am 22.11.2024.