lieb. Sieh, ich weiß wohl, ich bin dein Unglück gewesen von Anfang an. Wenn ich nicht gewesen wär', so wär'st nie auf die Weg' kommen. Aber deine Liebe und Treue zu mir hat dich in's Verderben geführt, immer tiefer und tiefer. Wenn ich dir's damit lohnen könnt', daß ich für dich stürb', o wie gern! Aber muth' mir nicht zu, daß ich mit dir in die Welt gehen soll, thu's um deinetwillen nicht. Du kannst mich nicht brauchen, ich wär' auch da eine Sperrkette für dich, wie ich's immer gewesen bin, und da noch weit mehr. Da wär's bald so weit, daß du mich verstoßen müßtest und die Andere nehmen, die zu so Sachen mehr Schick hat als ich.
Nie! rief er. Wenn du bei mir bleibst, so sollst du sehen, daß mir keine Andere an die Seite kommt. Aber das erklär' ich dir offen: wenn du von mir abfällst, so schlag' ich mich zu der andern Christine, denn sie heißt wie du und hat mich lieber als du.
Thu's nicht, Frieder, thu's nicht! rief sie ihn umklammernd. Ich säh' dich eben so gut in der Hand deiner Stiefmutter. Ich will nicht sagen, sie mein's nicht in ihrer Art gut mit dir, aber wohin wirst du an ihrer Hand gerathen? Sieh, wenn du ein Schritt hundert oder zweihundert von der Bank da vorgehst, so siehst so weit in's Thal, daß du den Ebersbacher Galgen in's Aug' fassen kannst. Wie lang meinst du denn, daß du's auf die Art treiben könnest? Eins, zwei, drei Jahr', wenn's hoch kommt, und dann nimmt's ein schrecklich's End'. O Frieder! Frieder! daß ich das voraussehen muß! Gibt's denn gar sonst kein' Ausweg mehr für dich?
Sie faßte seinen Kopf mit beiden Händen und küßte ihn unter fortwährendem Schluchzen, das ihr die Brust zu zersprengen drohte, so inbrünstig, wie er nie einen Kuß von ihr empfangen zu haben glaubte, und ihre Thränen brannten auf seinen Wangen. Er war er¬ schüttert. Könnt' ich einen finden, sagte er, ich thät's dir zu Lieb. Er starrte gegen das Gebirge hin, das jetzt nur noch als eine graue Linie zu erkennen war. Versuch's einmal, sagte er endlich, den Büchsen¬ ranzen neben sie auf die Bank legend, ob du nicht die Sachen da drin verkaufen und mir einen Lehrbrief dafür anschaffen kannst, mit dem ich mich ausweisen könnte. Wenn ich unter eine Armee ginge, so wäre vielleicht in etlichen Jahren Manches vergessen --
Drauf! drauf! schrie es hinter ihnen. Sie fuhren auf und sahen
lieb. Sieh, ich weiß wohl, ich bin dein Unglück geweſen von Anfang an. Wenn ich nicht geweſen wär', ſo wär'ſt nie auf die Weg' kommen. Aber deine Liebe und Treue zu mir hat dich in's Verderben geführt, immer tiefer und tiefer. Wenn ich dir's damit lohnen könnt', daß ich für dich ſtürb', o wie gern! Aber muth' mir nicht zu, daß ich mit dir in die Welt gehen ſoll, thu's um deinetwillen nicht. Du kannſt mich nicht brauchen, ich wär' auch da eine Sperrkette für dich, wie ich's immer geweſen bin, und da noch weit mehr. Da wär's bald ſo weit, daß du mich verſtoßen müßteſt und die Andere nehmen, die zu ſo Sachen mehr Schick hat als ich.
Nie! rief er. Wenn du bei mir bleibſt, ſo ſollſt du ſehen, daß mir keine Andere an die Seite kommt. Aber das erklär' ich dir offen: wenn du von mir abfällſt, ſo ſchlag' ich mich zu der andern Chriſtine, denn ſie heißt wie du und hat mich lieber als du.
Thu's nicht, Frieder, thu's nicht! rief ſie ihn umklammernd. Ich ſäh' dich eben ſo gut in der Hand deiner Stiefmutter. Ich will nicht ſagen, ſie mein's nicht in ihrer Art gut mit dir, aber wohin wirſt du an ihrer Hand gerathen? Sieh, wenn du ein Schritt hundert oder zweihundert von der Bank da vorgehſt, ſo ſiehſt ſo weit in's Thal, daß du den Ebersbacher Galgen in's Aug' faſſen kannſt. Wie lang meinſt du denn, daß du's auf die Art treiben könneſt? Eins, zwei, drei Jahr', wenn's hoch kommt, und dann nimmt's ein ſchrecklich's End'. O Frieder! Frieder! daß ich das vorausſehen muß! Gibt's denn gar ſonſt kein' Ausweg mehr für dich?
Sie faßte ſeinen Kopf mit beiden Händen und küßte ihn unter fortwährendem Schluchzen, das ihr die Bruſt zu zerſprengen drohte, ſo inbrünſtig, wie er nie einen Kuß von ihr empfangen zu haben glaubte, und ihre Thränen brannten auf ſeinen Wangen. Er war er¬ ſchüttert. Könnt' ich einen finden, ſagte er, ich thät's dir zu Lieb. Er ſtarrte gegen das Gebirge hin, das jetzt nur noch als eine graue Linie zu erkennen war. Verſuch's einmal, ſagte er endlich, den Büchſen¬ ranzen neben ſie auf die Bank legend, ob du nicht die Sachen da drin verkaufen und mir einen Lehrbrief dafür anſchaffen kannſt, mit dem ich mich ausweiſen könnte. Wenn ich unter eine Armee ginge, ſo wäre vielleicht in etlichen Jahren Manches vergeſſen —
Drauf! drauf! ſchrie es hinter ihnen. Sie fuhren auf und ſahen
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lieb. Sieh, ich weiß wohl, ich bin dein Unglück geweſen von Anfang
an. Wenn ich nicht geweſen wär', ſo wär'ſt nie auf die Weg' kommen.
Aber deine Liebe und Treue zu mir hat dich in's Verderben geführt,
immer tiefer und tiefer. Wenn ich dir's damit lohnen könnt', daß ich
für dich ſtürb', o wie gern! Aber muth' mir nicht zu, daß ich mit
dir in die Welt gehen ſoll, thu's um deinetwillen nicht. Du kannſt
mich nicht brauchen, ich wär' auch da eine Sperrkette für dich, wie
ich's immer geweſen bin, und da noch weit mehr. Da wär's bald ſo
weit, daß du mich verſtoßen müßteſt und die Andere nehmen, die zu
ſo Sachen mehr Schick hat als ich.
Nie! rief er. Wenn du bei mir bleibſt, ſo ſollſt du ſehen, daß
mir keine Andere an die Seite kommt. Aber das erklär' ich dir offen:
wenn du von mir abfällſt, ſo ſchlag' ich mich zu der andern Chriſtine,
denn ſie heißt wie du und hat mich lieber als du.
Thu's nicht, Frieder, thu's nicht! rief ſie ihn umklammernd. Ich
ſäh' dich eben ſo gut in der Hand deiner Stiefmutter. Ich will nicht
ſagen, ſie mein's nicht in ihrer Art gut mit dir, aber wohin wirſt du an
ihrer Hand gerathen? Sieh, wenn du ein Schritt hundert oder zweihundert
von der Bank da vorgehſt, ſo ſiehſt ſo weit in's Thal, daß du den
Ebersbacher Galgen in's Aug' faſſen kannſt. Wie lang meinſt du
denn, daß du's auf die Art treiben könneſt? Eins, zwei, drei Jahr',
wenn's hoch kommt, und dann nimmt's ein ſchrecklich's End'. O
Frieder! Frieder! daß ich das vorausſehen muß! Gibt's denn gar
ſonſt kein' Ausweg mehr für dich?
Sie faßte ſeinen Kopf mit beiden Händen und küßte ihn unter
fortwährendem Schluchzen, das ihr die Bruſt zu zerſprengen drohte,
ſo inbrünſtig, wie er nie einen Kuß von ihr empfangen zu haben
glaubte, und ihre Thränen brannten auf ſeinen Wangen. Er war er¬
ſchüttert. Könnt' ich einen finden, ſagte er, ich thät's dir zu Lieb.
Er ſtarrte gegen das Gebirge hin, das jetzt nur noch als eine graue Linie
zu erkennen war. Verſuch's einmal, ſagte er endlich, den Büchſen¬
ranzen neben ſie auf die Bank legend, ob du nicht die Sachen da
drin verkaufen und mir einen Lehrbrief dafür anſchaffen kannſt, mit
dem ich mich ausweiſen könnte. Wenn ich unter eine Armee ginge,
ſo wäre vielleicht in etlichen Jahren Manches vergeſſen —
Drauf! drauf! ſchrie es hinter ihnen. Sie fuhren auf und ſahen
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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 425. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/441>, abgerufen am 25.11.2024.
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