zwischen waldigen Anhöhen, und der Rauch aus den Schornsteinen stieg nach dem blauen Abendhimmel empor. Es war ein Bild ver¬ trauensvoller Ruhe, die nicht ahnte, daß ein Ungewitter der grausam¬ sten Art, von Menschen gegen Menschen entladen, im Anzuge war.
Er eilte am Berge hinab, durchmaß rasch den Wald und befand sich mit Anbruch der Nacht auf dem Hofe, wo er die blonde Christine, jetzt nicht mehr die einzige Christine, wußte. An dem langen Wege, den er heute ohne der Rast zu bedürfen, gemacht, konnte er am besten die innere Unruhe ermessen, die ihn trieb.
Man war eben im Begriff zu Bett zu gehen, als er eintrat. Christine war da, wie er vorausgesetzt hatte. Er zahlte das schuldige Kostgeld, welches mit freundlichen Augen angenommen wurde. Die Gegenwart der Familie ließ keine vertrauliche Unterredung aufkommen. Christine war heiter, aber ihre Laune schien ihm erzwungen zu sein.
Komm mit mir, sagte er, ich bin da, um dich zu holen.
Sie entschuldigte sich mit Müdigkeit.
Dann muß ich allein wieder fort, entgegnete er.
Gehst zu deiner Zigeunerin? fragte sie.
Versteht sich, antwortete er.
Bist ein Kerle wie ein Pfund Lumpen! rief sie in ihrer volks¬ thümlichen Scherzweise und bemühte sich zu lachen.
Die Frau vom Hofe ging gleichfalls in diesen Ton ein und neckte sie, daß sie als neuverheirathete Frau schon mit ihrem Manne eifere.
Wenn's so steht, sagte er endlich, so muß ich mich deiner doch versichern. Unversehens hatte er ihr Mütze, Halstuch und Schürze weggenommen, die sie neben sich auf die Bank gelegt. Sie schrie und griff darnach, aber er war schon entsprungen. Gute Nacht! rief er unter der Thüre: wenn du deine Sachen wieder willst, so weißt du, wo du sie finden kannst und mich dazu.
zwiſchen waldigen Anhöhen, und der Rauch aus den Schornſteinen ſtieg nach dem blauen Abendhimmel empor. Es war ein Bild ver¬ trauensvoller Ruhe, die nicht ahnte, daß ein Ungewitter der grauſam¬ ſten Art, von Menſchen gegen Menſchen entladen, im Anzuge war.
Er eilte am Berge hinab, durchmaß raſch den Wald und befand ſich mit Anbruch der Nacht auf dem Hofe, wo er die blonde Chriſtine, jetzt nicht mehr die einzige Chriſtine, wußte. An dem langen Wege, den er heute ohne der Raſt zu bedürfen, gemacht, konnte er am beſten die innere Unruhe ermeſſen, die ihn trieb.
Man war eben im Begriff zu Bett zu gehen, als er eintrat. Chriſtine war da, wie er vorausgeſetzt hatte. Er zahlte das ſchuldige Koſtgeld, welches mit freundlichen Augen angenommen wurde. Die Gegenwart der Familie ließ keine vertrauliche Unterredung aufkommen. Chriſtine war heiter, aber ihre Laune ſchien ihm erzwungen zu ſein.
Komm mit mir, ſagte er, ich bin da, um dich zu holen.
Sie entſchuldigte ſich mit Müdigkeit.
Dann muß ich allein wieder fort, entgegnete er.
Gehſt zu deiner Zigeunerin? fragte ſie.
Verſteht ſich, antwortete er.
Biſt ein Kerle wie ein Pfund Lumpen! rief ſie in ihrer volks¬ thümlichen Scherzweiſe und bemühte ſich zu lachen.
Die Frau vom Hofe ging gleichfalls in dieſen Ton ein und neckte ſie, daß ſie als neuverheirathete Frau ſchon mit ihrem Manne eifere.
Wenn's ſo ſteht, ſagte er endlich, ſo muß ich mich deiner doch verſichern. Unverſehens hatte er ihr Mütze, Halstuch und Schürze weggenommen, die ſie neben ſich auf die Bank gelegt. Sie ſchrie und griff darnach, aber er war ſchon entſprungen. Gute Nacht! rief er unter der Thüre: wenn du deine Sachen wieder willſt, ſo weißt du, wo du ſie finden kannſt und mich dazu.
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0426"n="410"/>
zwiſchen waldigen Anhöhen, und der Rauch aus den Schornſteinen<lb/>ſtieg nach dem blauen Abendhimmel empor. Es war ein Bild ver¬<lb/>
trauensvoller Ruhe, die nicht ahnte, daß ein Ungewitter der grauſam¬<lb/>ſten Art, von Menſchen gegen Menſchen entladen, im Anzuge war.</p><lb/><p>Er eilte am Berge hinab, durchmaß raſch den Wald und befand<lb/>ſich mit Anbruch der Nacht auf dem Hofe, wo er die blonde Chriſtine,<lb/>
jetzt nicht mehr die einzige Chriſtine, wußte. An dem langen Wege,<lb/>
den er heute ohne der Raſt zu bedürfen, gemacht, konnte er am beſten<lb/>
die innere Unruhe ermeſſen, die ihn trieb.</p><lb/><p>Man war eben im Begriff zu Bett zu gehen, als er eintrat.<lb/>
Chriſtine war da, wie er vorausgeſetzt hatte. Er zahlte das ſchuldige<lb/>
Koſtgeld, welches mit freundlichen Augen angenommen wurde. Die<lb/>
Gegenwart der Familie ließ keine vertrauliche Unterredung aufkommen.<lb/>
Chriſtine war heiter, aber ihre Laune ſchien ihm erzwungen zu ſein.</p><lb/><p>Komm mit mir, ſagte er, ich bin da, um dich zu holen.</p><lb/><p>Sie entſchuldigte ſich mit Müdigkeit.</p><lb/><p>Dann muß ich allein wieder fort, entgegnete er.</p><lb/><p>Gehſt zu deiner Zigeunerin? fragte ſie.</p><lb/><p>Verſteht ſich, antwortete er.</p><lb/><p>Biſt ein Kerle wie ein Pfund Lumpen! rief ſie in ihrer volks¬<lb/>
thümlichen Scherzweiſe und bemühte ſich zu lachen.</p><lb/><p>Die Frau vom Hofe ging gleichfalls in dieſen Ton ein und neckte<lb/>ſie, daß ſie als neuverheirathete Frau ſchon mit ihrem Manne eifere.</p><lb/><p>Wenn's ſo ſteht, ſagte er endlich, ſo muß ich mich deiner doch<lb/>
verſichern. Unverſehens hatte er ihr Mütze, Halstuch und Schürze<lb/>
weggenommen, die ſie neben ſich auf die Bank gelegt. Sie ſchrie und<lb/>
griff darnach, aber er war ſchon entſprungen. Gute Nacht! rief er<lb/>
unter der Thüre: wenn du deine Sachen wieder willſt, ſo weißt du,<lb/>
wo du ſie finden kannſt und mich dazu.</p><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/></div></body></text></TEI>
[410/0426]
zwiſchen waldigen Anhöhen, und der Rauch aus den Schornſteinen
ſtieg nach dem blauen Abendhimmel empor. Es war ein Bild ver¬
trauensvoller Ruhe, die nicht ahnte, daß ein Ungewitter der grauſam¬
ſten Art, von Menſchen gegen Menſchen entladen, im Anzuge war.
Er eilte am Berge hinab, durchmaß raſch den Wald und befand
ſich mit Anbruch der Nacht auf dem Hofe, wo er die blonde Chriſtine,
jetzt nicht mehr die einzige Chriſtine, wußte. An dem langen Wege,
den er heute ohne der Raſt zu bedürfen, gemacht, konnte er am beſten
die innere Unruhe ermeſſen, die ihn trieb.
Man war eben im Begriff zu Bett zu gehen, als er eintrat.
Chriſtine war da, wie er vorausgeſetzt hatte. Er zahlte das ſchuldige
Koſtgeld, welches mit freundlichen Augen angenommen wurde. Die
Gegenwart der Familie ließ keine vertrauliche Unterredung aufkommen.
Chriſtine war heiter, aber ihre Laune ſchien ihm erzwungen zu ſein.
Komm mit mir, ſagte er, ich bin da, um dich zu holen.
Sie entſchuldigte ſich mit Müdigkeit.
Dann muß ich allein wieder fort, entgegnete er.
Gehſt zu deiner Zigeunerin? fragte ſie.
Verſteht ſich, antwortete er.
Biſt ein Kerle wie ein Pfund Lumpen! rief ſie in ihrer volks¬
thümlichen Scherzweiſe und bemühte ſich zu lachen.
Die Frau vom Hofe ging gleichfalls in dieſen Ton ein und neckte
ſie, daß ſie als neuverheirathete Frau ſchon mit ihrem Manne eifere.
Wenn's ſo ſteht, ſagte er endlich, ſo muß ich mich deiner doch
verſichern. Unverſehens hatte er ihr Mütze, Halstuch und Schürze
weggenommen, die ſie neben ſich auf die Bank gelegt. Sie ſchrie und
griff darnach, aber er war ſchon entſprungen. Gute Nacht! rief er
unter der Thüre: wenn du deine Sachen wieder willſt, ſo weißt du,
wo du ſie finden kannſt und mich dazu.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 410. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/426>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.