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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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einer der Männer auf und lachend auf ihn zu. Das Gesicht des Zi¬
geuners, mit welchem sich sein Lebensweg heute zum drittenmal kreuzte,
hatte seit der ersten Ludwigsburger Bekanntschaft Veränderungen er¬
litten, die seinem Festungsgenossen nicht unbekannt waren: die gelbe
welke Haut war in unzählige Runzeln und Falten zerschnitten, die
besonders an Mund und Augen das Gepräge einer lächelnden Ver¬
schlagenheit und großen Uebung in der Kunst, die Leidenschaften zu
verbergen, ausdrückten. Neu aber war ihm eine weitere Veränderung:
ein Auge, in dessen Besitz er ihn auf Hohentwiel noch gesehen, war
ihm in der Zwischenzeit abhanden gekommen; doch gereichte ihm dieser
Verlust nicht eben zum Nachtheil, da die Laune des Zufalls das
scheele Auge betroffen hatte, dessen Blick äußerst abschreckend gewesen
war, so daß er jetzt als Einäugiger mit dem geschlossenen, von lusti¬
gen Fältchen umspielten Augenliede nicht mehr so widrig aussah wie
früher, da er geschielt hatte.

Willkommen! rief er und streckte ihm die Hand entgegen. Hab'
ich's nicht gesagt, wir sehen uns wieder?

Grüß' dich Gott, Christianus! erwiderte Friedlich und schüttelte
ihm die Hand. Hab' da auf einen Hirsch anstehen wollen, und jetzt
treff' ich noch ein ganz andres Stück Hochwild. Du wär'st aber
schwer zu finden gewesen, wenn ich dich hätte suchen wollen, denn
deinen Zinken hab ich nirgends gesehen.

Der Zigeuner lächelte verschmitzt. Ich bin nicht allein mit den
Meinigen, sagte er, es haben sich Freunde zu uns gesellt, die auch
wieder Nachzügler erwarten, und da hätten wir ja eine ganze Wappen¬
sammlung in die Bäume schneiden müssen.

Was ist denn mit deinem Aug' passirt? fragte Friedrich weiter.

Ich hab' eine kleine Ungelegenheit gehabt, antwortete der Zigeuner
ausweichend, und da hab' ich den queren Scheinling eingebüßt. Aber
komm', unterbrach er sich, ich muß dich der Gesellschaft vorstellen.

Er nahm ihn bei der Hand und führte ihn gegen das Feuer, an
welchem ein ganzes Schwein briet und einen Duft ausströmte, der
einen Hungrigen wohl in Versuchung führen konnte. Merkt auf, ihr
Männer, und spitzt die Ohren, ihr Weiber! rief er: hier bring' ich
euch einen Freund, nach dessen Bekanntschaft ihr euch schon lang ge¬

einer der Männer auf und lachend auf ihn zu. Das Geſicht des Zi¬
geuners, mit welchem ſich ſein Lebensweg heute zum drittenmal kreuzte,
hatte ſeit der erſten Ludwigsburger Bekanntſchaft Veränderungen er¬
litten, die ſeinem Feſtungsgenoſſen nicht unbekannt waren: die gelbe
welke Haut war in unzählige Runzeln und Falten zerſchnitten, die
beſonders an Mund und Augen das Gepräge einer lächelnden Ver¬
ſchlagenheit und großen Uebung in der Kunſt, die Leidenſchaften zu
verbergen, ausdrückten. Neu aber war ihm eine weitere Veränderung:
ein Auge, in deſſen Beſitz er ihn auf Hohentwiel noch geſehen, war
ihm in der Zwiſchenzeit abhanden gekommen; doch gereichte ihm dieſer
Verluſt nicht eben zum Nachtheil, da die Laune des Zufalls das
ſcheele Auge betroffen hatte, deſſen Blick äußerſt abſchreckend geweſen
war, ſo daß er jetzt als Einäugiger mit dem geſchloſſenen, von luſti¬
gen Fältchen umſpielten Augenliede nicht mehr ſo widrig ausſah wie
früher, da er geſchielt hatte.

Willkommen! rief er und ſtreckte ihm die Hand entgegen. Hab'
ich's nicht geſagt, wir ſehen uns wieder?

Grüß' dich Gott, Chriſtianus! erwiderte Friedlich und ſchüttelte
ihm die Hand. Hab' da auf einen Hirſch anſtehen wollen, und jetzt
treff' ich noch ein ganz andres Stück Hochwild. Du wär'ſt aber
ſchwer zu finden geweſen, wenn ich dich hätte ſuchen wollen, denn
deinen Zinken hab ich nirgends geſehen.

Der Zigeuner lächelte verſchmitzt. Ich bin nicht allein mit den
Meinigen, ſagte er, es haben ſich Freunde zu uns geſellt, die auch
wieder Nachzügler erwarten, und da hätten wir ja eine ganze Wappen¬
ſammlung in die Bäume ſchneiden müſſen.

Was iſt denn mit deinem Aug' paſſirt? fragte Friedrich weiter.

Ich hab' eine kleine Ungelegenheit gehabt, antwortete der Zigeuner
ausweichend, und da hab' ich den queren Scheinling eingebüßt. Aber
komm', unterbrach er ſich, ich muß dich der Geſellſchaft vorſtellen.

Er nahm ihn bei der Hand und führte ihn gegen das Feuer, an
welchem ein ganzes Schwein briet und einen Duft ausſtrömte, der
einen Hungrigen wohl in Verſuchung führen konnte. Merkt auf, ihr
Männer, und ſpitzt die Ohren, ihr Weiber! rief er: hier bring' ich
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[367/0383] einer der Männer auf und lachend auf ihn zu. Das Geſicht des Zi¬ geuners, mit welchem ſich ſein Lebensweg heute zum drittenmal kreuzte, hatte ſeit der erſten Ludwigsburger Bekanntſchaft Veränderungen er¬ litten, die ſeinem Feſtungsgenoſſen nicht unbekannt waren: die gelbe welke Haut war in unzählige Runzeln und Falten zerſchnitten, die beſonders an Mund und Augen das Gepräge einer lächelnden Ver¬ ſchlagenheit und großen Uebung in der Kunſt, die Leidenſchaften zu verbergen, ausdrückten. Neu aber war ihm eine weitere Veränderung: ein Auge, in deſſen Beſitz er ihn auf Hohentwiel noch geſehen, war ihm in der Zwiſchenzeit abhanden gekommen; doch gereichte ihm dieſer Verluſt nicht eben zum Nachtheil, da die Laune des Zufalls das ſcheele Auge betroffen hatte, deſſen Blick äußerſt abſchreckend geweſen war, ſo daß er jetzt als Einäugiger mit dem geſchloſſenen, von luſti¬ gen Fältchen umſpielten Augenliede nicht mehr ſo widrig ausſah wie früher, da er geſchielt hatte. Willkommen! rief er und ſtreckte ihm die Hand entgegen. Hab' ich's nicht geſagt, wir ſehen uns wieder? Grüß' dich Gott, Chriſtianus! erwiderte Friedlich und ſchüttelte ihm die Hand. Hab' da auf einen Hirſch anſtehen wollen, und jetzt treff' ich noch ein ganz andres Stück Hochwild. Du wär'ſt aber ſchwer zu finden geweſen, wenn ich dich hätte ſuchen wollen, denn deinen Zinken hab ich nirgends geſehen. Der Zigeuner lächelte verſchmitzt. Ich bin nicht allein mit den Meinigen, ſagte er, es haben ſich Freunde zu uns geſellt, die auch wieder Nachzügler erwarten, und da hätten wir ja eine ganze Wappen¬ ſammlung in die Bäume ſchneiden müſſen. Was iſt denn mit deinem Aug' paſſirt? fragte Friedrich weiter. Ich hab' eine kleine Ungelegenheit gehabt, antwortete der Zigeuner ausweichend, und da hab' ich den queren Scheinling eingebüßt. Aber komm', unterbrach er ſich, ich muß dich der Geſellſchaft vorſtellen. Er nahm ihn bei der Hand und führte ihn gegen das Feuer, an welchem ein ganzes Schwein briet und einen Duft ausſtrömte, der einen Hungrigen wohl in Verſuchung führen konnte. Merkt auf, ihr Männer, und ſpitzt die Ohren, ihr Weiber! rief er: hier bring' ich euch einen Freund, nach deſſen Bekanntſchaft ihr euch ſchon lang ge¬

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 367. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/383>, abgerufen am 26.11.2024.