ihm mit dem Knöchel des Fingers an den Kopf, wie man an ein Faß klopft, aber so stark, daß der Bäcker beinahe zu Boden fiel. Dann verließ er das Haus und der Bäcker schloß abermals die Thüre, aber ohne den beruhigenden Glauben, daß diese Maßregel ihm irgend eine Sicherheit zu gewähren vermöge. Er dachte nicht mehr an das Backen, sondern löschte schnell die Lichter und schlüpfte angekleidet, von Angst und Fieber geschüttelt, in sein Wittwersbett.
Der Geächtete ging nach der einzigen Heimath, die er noch in sei¬ nem Vaterorte hatte, obwohl auch diese für ihn unzuverlässig geworden war. Er drückte den Riegel der Hinterthüre, den Finger durch die Thürspalte drängend, leise zurück, und nach wenigen Augenblicken stand er vor dem Bette seiner Schwiegermutter. Auch dieser drang ein eisiger Schreck durch die Gebeine, als sie, plötzlich erwachend, in un¬ gewissem Sternenlichte eine geisterhafte Gestalt mit aufgehobenem Finger vor sich stehen sah und alsbald ihren verrathenen Schwiegersohn er¬ kannte.
Welchen Judaslohn habt Ihr für die Auslieferung gekriegt? fragte er.
Sie vermaß sich mit den höchsten Schwüren, daß sie weder etwas bekommen noch etwas verdient habe und daß der Ueberfall ihr selbst ganz unversehens gekommen sei. Er ließ den Verdacht, der mehr in seinem Gemüth als an bestimmten Beweisen haftete, auf sich beruhen, und weckte seinen Knaben. Der Kleine lächelte ihn mit halboffenen Augen wie im Traume an.
Da siehst, Friederle, daß dein Vater frei ist. Brauchst dich nicht zu grämen. Willst mit?
Er wird doch nicht das Kind durch die Wälder 'rumschleifen wol¬ len! rief die Alte lebhaft. Ein Vater kann sein' Buben in dem Alter noch nicht pflegen.
Er hat ja seine Mutter, antwortete er. Sie ist frei und wohl aufgehoben.
Gott sei Lob und Dank! rief die Alte, sei es daß eine menschliche Regung sie erfaßt hatte, oder daß sie ihn in guter Laune zu erhalten trachtete. Aber wenn auch! fuhr sie fort: das ist kein Leben für ein Kind, und mein Hühneraug' sagt mir, daß noch einmal Schnee fällt. Lass' Er mit nur den Buben da, ich geb' ihn nicht her.
ihm mit dem Knöchel des Fingers an den Kopf, wie man an ein Faß klopft, aber ſo ſtark, daß der Bäcker beinahe zu Boden fiel. Dann verließ er das Haus und der Bäcker ſchloß abermals die Thüre, aber ohne den beruhigenden Glauben, daß dieſe Maßregel ihm irgend eine Sicherheit zu gewähren vermöge. Er dachte nicht mehr an das Backen, ſondern löſchte ſchnell die Lichter und ſchlüpfte angekleidet, von Angſt und Fieber geſchüttelt, in ſein Wittwersbett.
Der Geächtete ging nach der einzigen Heimath, die er noch in ſei¬ nem Vaterorte hatte, obwohl auch dieſe für ihn unzuverläſſig geworden war. Er drückte den Riegel der Hinterthüre, den Finger durch die Thürſpalte drängend, leiſe zurück, und nach wenigen Augenblicken ſtand er vor dem Bette ſeiner Schwiegermutter. Auch dieſer drang ein eiſiger Schreck durch die Gebeine, als ſie, plötzlich erwachend, in un¬ gewiſſem Sternenlichte eine geiſterhafte Geſtalt mit aufgehobenem Finger vor ſich ſtehen ſah und alsbald ihren verrathenen Schwiegerſohn er¬ kannte.
Welchen Judaslohn habt Ihr für die Auslieferung gekriegt? fragte er.
Sie vermaß ſich mit den höchſten Schwüren, daß ſie weder etwas bekommen noch etwas verdient habe und daß der Ueberfall ihr ſelbſt ganz unverſehens gekommen ſei. Er ließ den Verdacht, der mehr in ſeinem Gemüth als an beſtimmten Beweiſen haftete, auf ſich beruhen, und weckte ſeinen Knaben. Der Kleine lächelte ihn mit halboffenen Augen wie im Traume an.
Da ſiehſt, Friederle, daß dein Vater frei iſt. Brauchſt dich nicht zu grämen. Willſt mit?
Er wird doch nicht das Kind durch die Wälder 'rumſchleifen wol¬ len! rief die Alte lebhaft. Ein Vater kann ſein' Buben in dem Alter noch nicht pflegen.
Er hat ja ſeine Mutter, antwortete er. Sie iſt frei und wohl aufgehoben.
Gott ſei Lob und Dank! rief die Alte, ſei es daß eine menſchliche Regung ſie erfaßt hatte, oder daß ſie ihn in guter Laune zu erhalten trachtete. Aber wenn auch! fuhr ſie fort: das iſt kein Leben für ein Kind, und mein Hühneraug' ſagt mir, daß noch einmal Schnee fällt. Laſſ' Er mit nur den Buben da, ich geb' ihn nicht her.
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ihm mit dem Knöchel des Fingers an den Kopf, wie man an ein Faß
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verließ er das Haus und der Bäcker ſchloß abermals die Thüre, aber
ohne den beruhigenden Glauben, daß dieſe Maßregel ihm irgend eine
Sicherheit zu gewähren vermöge. Er dachte nicht mehr an das Backen,
ſondern löſchte ſchnell die Lichter und ſchlüpfte angekleidet, von Angſt
und Fieber geſchüttelt, in ſein Wittwersbett.
Der Geächtete ging nach der einzigen Heimath, die er noch in ſei¬
nem Vaterorte hatte, obwohl auch dieſe für ihn unzuverläſſig geworden
war. Er drückte den Riegel der Hinterthüre, den Finger durch die
Thürſpalte drängend, leiſe zurück, und nach wenigen Augenblicken ſtand
er vor dem Bette ſeiner Schwiegermutter. Auch dieſer drang ein
eiſiger Schreck durch die Gebeine, als ſie, plötzlich erwachend, in un¬
gewiſſem Sternenlichte eine geiſterhafte Geſtalt mit aufgehobenem Finger
vor ſich ſtehen ſah und alsbald ihren verrathenen Schwiegerſohn er¬
kannte.
Welchen Judaslohn habt Ihr für die Auslieferung gekriegt?
fragte er.
Sie vermaß ſich mit den höchſten Schwüren, daß ſie weder etwas
bekommen noch etwas verdient habe und daß der Ueberfall ihr ſelbſt
ganz unverſehens gekommen ſei. Er ließ den Verdacht, der mehr in
ſeinem Gemüth als an beſtimmten Beweiſen haftete, auf ſich beruhen,
und weckte ſeinen Knaben. Der Kleine lächelte ihn mit halboffenen
Augen wie im Traume an.
Da ſiehſt, Friederle, daß dein Vater frei iſt. Brauchſt dich nicht
zu grämen. Willſt mit?
Er wird doch nicht das Kind durch die Wälder 'rumſchleifen wol¬
len! rief die Alte lebhaft. Ein Vater kann ſein' Buben in dem
Alter noch nicht pflegen.
Er hat ja ſeine Mutter, antwortete er. Sie iſt frei und wohl
aufgehoben.
Gott ſei Lob und Dank! rief die Alte, ſei es daß eine menſchliche
Regung ſie erfaßt hatte, oder daß ſie ihn in guter Laune zu erhalten
trachtete. Aber wenn auch! fuhr ſie fort: das iſt kein Leben für ein
Kind, und mein Hühneraug' ſagt mir, daß noch einmal Schnee fällt.
Laſſ' Er mit nur den Buben da, ich geb' ihn nicht her.
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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 356. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/372>, abgerufen am 27.11.2024.
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