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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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oder eine innere Beunruhigung erweckt, die Augen aufschlug. Mit
offenen Augen glaubte er zu träumen, denn am Wirthstische saß in
dieser späten Stunde eine Gestalt, die den großen Krug vor sich auf¬
gepflanzt, eine Flasche daraus gespeist hatte, und den Wein aus dem
gefüllten Glase bedächtig kostete. Der Bäcker schloß die Augen und
öffnete sie wieder, aber die Erscheinung war noch immer da und schien
greifbare Wirklichkeit zu sein. Durch den Wald von Kopf- und Bart¬
haaren, die das trotzige Gesicht beinahe ganz bedeckten und ihm für
einen unter lauter glatten Gesichtern aufgewachsenen Menschen ein
fürchterliches Aussehen gaben, erkannte er ihn bei dem armseligen Schein
der Ampel, den Gefürchteten, den Schrecken der Gemeinde, des Amt¬
manns und des Vogts. Sein Blick ruhte mit spöttischem Ausdruck
auf dem Wirth. Hast wieder einmal geduselt, Beck? begann er. Dein
Wein ist nicht besonders. Wie dein Weib noch gelebt hat, hast du
einen bessern geführt. Gott hab' sie selig, sie war ein braves Weib,
schlecht und recht, betete wenig Sprüche, hatte aber Christenthum im
Herzen, und hätte es für eine Sünde gehalten, einen guten Wein zu
verderben. Ich will nicht hoffen, daß du ihn schmierst.

Er steht schon den ganzen Abend im Krug, sagte der Bäcker
schüchtern. Ich will frischen holen.

Thu' das und komm bald wieder, denn ich hab' eine Erquickung
nöthig.

Der Bäcker ging. So wie die Thüre sich hinter ihm geschlossen
hatte, eilte der seltsame Gast hinzu und horchte. Bald hörte er, wie
die Hausthüre ging und der Schlüssel langsam und leise darin umge¬
dreht wurde. Ich hab's von dem Schubjack nicht anders erwartet,
als daß er mich verrathen werde, sagte er und sah sich in der Stube
um. Der große tiefe Wandschrank schien ihm zu gefallen: er schloß
ihn auf, leuchtete einen Augenblick hinein und stellte dann die Ampel
wieder genau dahin, wo sie gestanden war. Schlechte Maus, die nur
ein Loch weiß, aber es wird genügen, sagte er, schlüpfte in den Schrank
und zog die Thüre desselben hinter sich zu. Er war noch nicht lange
darin, als die Hausthüre mit Geräusch aufgeschlossen wurde die
Wachmannschaft, den Bäcker an der Spitze, in die Stube stürzte. Sie
sahen sich um. Wo ist er denn? schrieen Alle wie aus Einem Munde.
Da ist er gesessen, sagte der Bäcker bestürzt. Geschwind, das Haus

D. B. IV. Kurz, Sonnenwirth. 23

oder eine innere Beunruhigung erweckt, die Augen aufſchlug. Mit
offenen Augen glaubte er zu träumen, denn am Wirthstiſche ſaß in
dieſer ſpäten Stunde eine Geſtalt, die den großen Krug vor ſich auf¬
gepflanzt, eine Flaſche daraus geſpeist hatte, und den Wein aus dem
gefüllten Glaſe bedächtig koſtete. Der Bäcker ſchloß die Augen und
öffnete ſie wieder, aber die Erſcheinung war noch immer da und ſchien
greifbare Wirklichkeit zu ſein. Durch den Wald von Kopf- und Bart¬
haaren, die das trotzige Geſicht beinahe ganz bedeckten und ihm für
einen unter lauter glatten Geſichtern aufgewachſenen Menſchen ein
fürchterliches Ausſehen gaben, erkannte er ihn bei dem armſeligen Schein
der Ampel, den Gefürchteten, den Schrecken der Gemeinde, des Amt¬
manns und des Vogts. Sein Blick ruhte mit ſpöttiſchem Ausdruck
auf dem Wirth. Haſt wieder einmal geduſelt, Beck? begann er. Dein
Wein iſt nicht beſonders. Wie dein Weib noch gelebt hat, haſt du
einen beſſern geführt. Gott hab' ſie ſelig, ſie war ein braves Weib,
ſchlecht und recht, betete wenig Sprüche, hatte aber Chriſtenthum im
Herzen, und hätte es für eine Sünde gehalten, einen guten Wein zu
verderben. Ich will nicht hoffen, daß du ihn ſchmierſt.

Er ſteht ſchon den ganzen Abend im Krug, ſagte der Bäcker
ſchüchtern. Ich will friſchen holen.

Thu' das und komm bald wieder, denn ich hab' eine Erquickung
nöthig.

Der Bäcker ging. So wie die Thüre ſich hinter ihm geſchloſſen
hatte, eilte der ſeltſame Gaſt hinzu und horchte. Bald hörte er, wie
die Hausthüre ging und der Schlüſſel langſam und leiſe darin umge¬
dreht wurde. Ich hab's von dem Schubjack nicht anders erwartet,
als daß er mich verrathen werde, ſagte er und ſah ſich in der Stube
um. Der große tiefe Wandſchrank ſchien ihm zu gefallen: er ſchloß
ihn auf, leuchtete einen Augenblick hinein und ſtellte dann die Ampel
wieder genau dahin, wo ſie geſtanden war. Schlechte Maus, die nur
ein Loch weiß, aber es wird genügen, ſagte er, ſchlüpfte in den Schrank
und zog die Thüre deſſelben hinter ſich zu. Er war noch nicht lange
darin, als die Hausthüre mit Geräuſch aufgeſchloſſen wurde die
Wachmannſchaft, den Bäcker an der Spitze, in die Stube ſtürzte. Sie
ſahen ſich um. Wo iſt er denn? ſchrieen Alle wie aus Einem Munde.
Da iſt er geſeſſen, ſagte der Bäcker beſtürzt. Geſchwind, das Haus

D. B. IV. Kurz, Sonnenwirth. 23
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[353/0369] oder eine innere Beunruhigung erweckt, die Augen aufſchlug. Mit offenen Augen glaubte er zu träumen, denn am Wirthstiſche ſaß in dieſer ſpäten Stunde eine Geſtalt, die den großen Krug vor ſich auf¬ gepflanzt, eine Flaſche daraus geſpeist hatte, und den Wein aus dem gefüllten Glaſe bedächtig koſtete. Der Bäcker ſchloß die Augen und öffnete ſie wieder, aber die Erſcheinung war noch immer da und ſchien greifbare Wirklichkeit zu ſein. Durch den Wald von Kopf- und Bart¬ haaren, die das trotzige Geſicht beinahe ganz bedeckten und ihm für einen unter lauter glatten Geſichtern aufgewachſenen Menſchen ein fürchterliches Ausſehen gaben, erkannte er ihn bei dem armſeligen Schein der Ampel, den Gefürchteten, den Schrecken der Gemeinde, des Amt¬ manns und des Vogts. Sein Blick ruhte mit ſpöttiſchem Ausdruck auf dem Wirth. Haſt wieder einmal geduſelt, Beck? begann er. Dein Wein iſt nicht beſonders. Wie dein Weib noch gelebt hat, haſt du einen beſſern geführt. Gott hab' ſie ſelig, ſie war ein braves Weib, ſchlecht und recht, betete wenig Sprüche, hatte aber Chriſtenthum im Herzen, und hätte es für eine Sünde gehalten, einen guten Wein zu verderben. Ich will nicht hoffen, daß du ihn ſchmierſt. Er ſteht ſchon den ganzen Abend im Krug, ſagte der Bäcker ſchüchtern. Ich will friſchen holen. Thu' das und komm bald wieder, denn ich hab' eine Erquickung nöthig. Der Bäcker ging. So wie die Thüre ſich hinter ihm geſchloſſen hatte, eilte der ſeltſame Gaſt hinzu und horchte. Bald hörte er, wie die Hausthüre ging und der Schlüſſel langſam und leiſe darin umge¬ dreht wurde. Ich hab's von dem Schubjack nicht anders erwartet, als daß er mich verrathen werde, ſagte er und ſah ſich in der Stube um. Der große tiefe Wandſchrank ſchien ihm zu gefallen: er ſchloß ihn auf, leuchtete einen Augenblick hinein und ſtellte dann die Ampel wieder genau dahin, wo ſie geſtanden war. Schlechte Maus, die nur ein Loch weiß, aber es wird genügen, ſagte er, ſchlüpfte in den Schrank und zog die Thüre deſſelben hinter ſich zu. Er war noch nicht lange darin, als die Hausthüre mit Geräuſch aufgeſchloſſen wurde die Wachmannſchaft, den Bäcker an der Spitze, in die Stube ſtürzte. Sie ſahen ſich um. Wo iſt er denn? ſchrieen Alle wie aus Einem Munde. Da iſt er geſeſſen, ſagte der Bäcker beſtürzt. Geſchwind, das Haus D. B. IV. Kurz, Sonnenwirth. 23

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 353. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/369>, abgerufen am 28.11.2024.