entgegnete der Invalide, der sich gleichfalls nur noch seinem Gegner und den Zunächstsitzenden vernehmlich machen konnte. Er weiß wohl, daß ich ein alter hilfloser Mann bin, und daß er mich nicht in Ver¬ legenheit bringen will, wiewohl er weiß, daß ich ihm nicht feind bin, das ist auch noch nobel von ihm.
Nobel! schrie der Fischer giftig. B'hüt uns Gott vor Gabelstich', dreimal gibt neun Löcher!
Der Aufruhr in der Gesellschaft hatte den höchsten Gipfel erreicht, als der Schütz eintrat und, durch sein Erscheinen wie ein Wetter¬ ableiter wirkte. Nicht der Anblick des Stückes Obrigkeit, sondern sein Aussehen war es, was den Sturm beschwor. Die listig zusammen¬ gekniffenen Augen, die blinzelnd auf der rothglühenden Nase hafteten, und die schalkhaft herausgepreßten Lippen verriethen es, daß ihn ein Ge¬ heimniß drückte, das neben einem Theil Verlegenheit viel Spaßhaftes ent¬ halten mußte. Die Blicke der Anwesenden richteten sich erwartungsvoll auf ihn, während er, zufällig neben dem Invaliden noch ein wenig Platz findend, sich einen Stuhl zu diesem rückte, und ihm ein paar Worte in's Ohr sagte. Der Invalide schlug mit der Faust auf den Tisch und stieß ein herzliches Gelächter aus, das er zwei, dreimal rasch nach einander die Tonleiter herabrollen ließ.
Was ist's? Was gibts? schrieen die Andern.
Im Amthaus hat man's seit heut Vormittag schon gewußt, fuhr der Schütz halblaut, doch so, daß die Andern es hören konnten, gegen den Invaliden fort. Dort ist ein Jubeln und Lachen drüber, daß dem gestrengen Herren so eine Eul' aufgesessen ist. Wer Nasen wachsen sehen will, der muß jetzt nach Göppingen gehen, da ist eine ganze Cultur davon, wie ein junger Wald, alle so lang. Dasmal hat man's durch kein' Erpressen 'runter vermelden lassen, sondern durch eine stille Gelegenheit.
Was ist denn geschehen? fragte der Müller, dem Schützen sein Glas anbietend, da er dieß für das geeignetste Mittel hielt, ihn zum Reden zu bringen.
Der Schütz trank es vergnüglich aus und antwortete dann: Man darf's eigentlich noch gar nicht sagen, das Oberamt hat's bei Kopf¬ abhauen verboten, denn dort schämen sie sich schwarz.
entgegnete der Invalide, der ſich gleichfalls nur noch ſeinem Gegner und den Zunächſtſitzenden vernehmlich machen konnte. Er weiß wohl, daß ich ein alter hilfloſer Mann bin, und daß er mich nicht in Ver¬ legenheit bringen will, wiewohl er weiß, daß ich ihm nicht feind bin, das iſt auch noch nobel von ihm.
Nobel! ſchrie der Fiſcher giftig. B'hüt uns Gott vor Gabelſtich', dreimal gibt neun Löcher!
Der Aufruhr in der Geſellſchaft hatte den höchſten Gipfel erreicht, als der Schütz eintrat und, durch ſein Erſcheinen wie ein Wetter¬ ableiter wirkte. Nicht der Anblick des Stückes Obrigkeit, ſondern ſein Ausſehen war es, was den Sturm beſchwor. Die liſtig zuſammen¬ gekniffenen Augen, die blinzelnd auf der rothglühenden Naſe hafteten, und die ſchalkhaft herausgepreßten Lippen verriethen es, daß ihn ein Ge¬ heimniß drückte, das neben einem Theil Verlegenheit viel Spaßhaftes ent¬ halten mußte. Die Blicke der Anweſenden richteten ſich erwartungsvoll auf ihn, während er, zufällig neben dem Invaliden noch ein wenig Platz findend, ſich einen Stuhl zu dieſem rückte, und ihm ein paar Worte in's Ohr ſagte. Der Invalide ſchlug mit der Fauſt auf den Tiſch und ſtieß ein herzliches Gelächter aus, das er zwei, dreimal raſch nach einander die Tonleiter herabrollen ließ.
Was iſt's? Was gibts? ſchrieen die Andern.
Im Amthaus hat man's ſeit heut Vormittag ſchon gewußt, fuhr der Schütz halblaut, doch ſo, daß die Andern es hören konnten, gegen den Invaliden fort. Dort iſt ein Jubeln und Lachen drüber, daß dem geſtrengen Herren ſo eine Eul' aufgeſeſſen iſt. Wer Naſen wachſen ſehen will, der muß jetzt nach Göppingen gehen, da iſt eine ganze Cultur davon, wie ein junger Wald, alle ſo lang. Dasmal hat man's durch kein' Erpreſſen 'runter vermelden laſſen, ſondern durch eine ſtille Gelegenheit.
Was iſt denn geſchehen? fragte der Müller, dem Schützen ſein Glas anbietend, da er dieß für das geeignetſte Mittel hielt, ihn zum Reden zu bringen.
Der Schütz trank es vergnüglich aus und antwortete dann: Man darf's eigentlich noch gar nicht ſagen, das Oberamt hat's bei Kopf¬ abhauen verboten, denn dort ſchämen ſie ſich ſchwarz.
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entgegnete der Invalide, der ſich gleichfalls nur noch ſeinem Gegner
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daß ich ein alter hilfloſer Mann bin, und daß er mich nicht in Ver¬
legenheit bringen will, wiewohl er weiß, daß ich ihm nicht feind bin,
das iſt auch noch nobel von ihm.
Nobel! ſchrie der Fiſcher giftig. B'hüt uns Gott vor Gabelſtich',
dreimal gibt neun Löcher!
Der Aufruhr in der Geſellſchaft hatte den höchſten Gipfel erreicht,
als der Schütz eintrat und, durch ſein Erſcheinen wie ein Wetter¬
ableiter wirkte. Nicht der Anblick des Stückes Obrigkeit, ſondern ſein
Ausſehen war es, was den Sturm beſchwor. Die liſtig zuſammen¬
gekniffenen Augen, die blinzelnd auf der rothglühenden Naſe hafteten,
und die ſchalkhaft herausgepreßten Lippen verriethen es, daß ihn ein Ge¬
heimniß drückte, das neben einem Theil Verlegenheit viel Spaßhaftes ent¬
halten mußte. Die Blicke der Anweſenden richteten ſich erwartungsvoll auf
ihn, während er, zufällig neben dem Invaliden noch ein wenig Platz
findend, ſich einen Stuhl zu dieſem rückte, und ihm ein paar Worte
in's Ohr ſagte. Der Invalide ſchlug mit der Fauſt auf den Tiſch
und ſtieß ein herzliches Gelächter aus, das er zwei, dreimal raſch nach
einander die Tonleiter herabrollen ließ.
Was iſt's? Was gibts? ſchrieen die Andern.
Im Amthaus hat man's ſeit heut Vormittag ſchon gewußt, fuhr der
Schütz halblaut, doch ſo, daß die Andern es hören konnten, gegen den
Invaliden fort. Dort iſt ein Jubeln und Lachen drüber, daß dem
geſtrengen Herren ſo eine Eul' aufgeſeſſen iſt. Wer Naſen wachſen
ſehen will, der muß jetzt nach Göppingen gehen, da iſt eine ganze
Cultur davon, wie ein junger Wald, alle ſo lang. Dasmal hat man's
durch kein' Erpreſſen 'runter vermelden laſſen, ſondern durch eine ſtille
Gelegenheit.
Was iſt denn geſchehen? fragte der Müller, dem Schützen ſein
Glas anbietend, da er dieß für das geeignetſte Mittel hielt, ihn zum
Reden zu bringen.
Der Schütz trank es vergnüglich aus und antwortete dann: Man
darf's eigentlich noch gar nicht ſagen, das Oberamt hat's bei Kopf¬
abhauen verboten, denn dort ſchämen ſie ſich ſchwarz.
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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 349. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/365>, abgerufen am 28.11.2024.
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