Murren um ihn her immer stärker wurde. Von was für einem Aus¬ bund ist denn da die Red'? rief der Müllerknecht erbittert: sollt' meinen, das wär' ein Muster, nach dem sich ein Jedes richten müßt', und wenn man nach dem Namen fragt, so ist's ein Mörder, der seinem Nebenmenschen ohne weiters das Messer in Arm sticht!
Das ist auch ein wüster Streich gewesen, sagte der Invalide, der sich nicht irre machen ließ: aber mit'm Zuchthaus ist er doch, mein' ich, hart genug abbüßt worden. Zum Messer greifen freilich nicht Alle, denn da gehört schon ein wenig mehr Muth dazu, aber mit'm Prügel oder mit'm Stuhlfuß ist Jeder gleich bei der Hand, wenn der Wort¬ wechsel hitzig wird und es fällt ihm nichts Gescheid's mehr ein, und da schlagen sie einander so über die Köpf', daß man sich nicht wundern darf, daß es so viel dumme Leut' gibt. Streit und Certat muß sein in der Welt, sonst ist's langweilig, aber wohl wär's besser, die Men¬ schen thäten witzig mit einander fertig werden statt spitzig, einander tupfen statt stechen, striegeln statt prügeln, mit dem Kamm lausen statt mit dem Kolben. Wenn aber Einer thut, was Alle thun, und thut's mein'thalb ein wenig ärger, so sollt' man ihn doch nicht um 'n ganzen Stock höher henken, wie wenn er was ganz besonders gethan hätt'.
Es scheint, da muß sich die Obrigkeit verantworten! warf der Fischer bissig dazwischen.
Ich hab' mein jährlichs Gratial vom Haus Oestreich, sagte der Invalide stolz: die Obrigkeit kann mir nichts geben und nichts nehmen. Ich sag' nichts wider sie, aber ich red' wie mir der Schnabel ge¬ wachsen ist.
Ja, für'n wild's Thier, das dem Flecken täglich mit Mord und Brand droht hat! schrie der Müller, der den Wein zu spüren begann.
Um dieser Reden willen hätt' ich auch wieder 'n Stecken für ihn in Bereitschaft, sagte der Invalide, der nach langer Krankheit wieder einmal ausgegangen war und sich hinter dem Glase so behaglich fühlte, daß er aufgelegt war, seine Meinung standhaft gegen Feind und Freund durchzufechten. Und zwar thät' ich ihn darum weil er mit solchen Reden sich selber am meisten schad't. Aber er hat sich nicht schlecht dagegen verantwortet schon vor sechs Jahr', wie der Schütz einmal aus'm Verhör erzählt hat. Reden denn die Andern französisch? hat er gesagt. Und das ist die Wahrheit. Wo man
Murren um ihn her immer ſtärker wurde. Von was für einem Aus¬ bund iſt denn da die Red'? rief der Müllerknecht erbittert: ſollt' meinen, das wär' ein Muſter, nach dem ſich ein Jedes richten müßt', und wenn man nach dem Namen fragt, ſo iſt's ein Mörder, der ſeinem Nebenmenſchen ohne weiters das Meſſer in Arm ſticht!
Das iſt auch ein wüſter Streich geweſen, ſagte der Invalide, der ſich nicht irre machen ließ: aber mit'm Zuchthaus iſt er doch, mein' ich, hart genug abbüßt worden. Zum Meſſer greifen freilich nicht Alle, denn da gehört ſchon ein wenig mehr Muth dazu, aber mit'm Prügel oder mit'm Stuhlfuß iſt Jeder gleich bei der Hand, wenn der Wort¬ wechſel hitzig wird und es fällt ihm nichts Geſcheid's mehr ein, und da ſchlagen ſie einander ſo über die Köpf', daß man ſich nicht wundern darf, daß es ſo viel dumme Leut' gibt. Streit und Certat muß ſein in der Welt, ſonſt iſt's langweilig, aber wohl wär's beſſer, die Men¬ ſchen thäten witzig mit einander fertig werden ſtatt ſpitzig, einander tupfen ſtatt ſtechen, ſtriegeln ſtatt prügeln, mit dem Kamm lauſen ſtatt mit dem Kolben. Wenn aber Einer thut, was Alle thun, und thut's mein'thalb ein wenig ärger, ſo ſollt' man ihn doch nicht um 'n ganzen Stock höher henken, wie wenn er was ganz beſonders gethan hätt'.
Es ſcheint, da muß ſich die Obrigkeit verantworten! warf der Fiſcher biſſig dazwiſchen.
Ich hab' mein jährlichs Gratial vom Haus Oeſtreich, ſagte der Invalide ſtolz: die Obrigkeit kann mir nichts geben und nichts nehmen. Ich ſag' nichts wider ſie, aber ich red' wie mir der Schnabel ge¬ wachſen iſt.
Ja, für'n wild's Thier, das dem Flecken täglich mit Mord und Brand droht hat! ſchrie der Müller, der den Wein zu ſpüren begann.
Um dieſer Reden willen hätt' ich auch wieder 'n Stecken für ihn in Bereitſchaft, ſagte der Invalide, der nach langer Krankheit wieder einmal ausgegangen war und ſich hinter dem Glaſe ſo behaglich fühlte, daß er aufgelegt war, ſeine Meinung ſtandhaft gegen Feind und Freund durchzufechten. Und zwar thät' ich ihn darum weil er mit ſolchen Reden ſich ſelber am meiſten ſchad't. Aber er hat ſich nicht ſchlecht dagegen verantwortet ſchon vor ſechs Jahr', wie der Schütz einmal aus'm Verhör erzählt hat. Reden denn die Andern franzöſiſch? hat er geſagt. Und das iſt die Wahrheit. Wo man
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0363"n="347"/>
Murren um ihn her immer ſtärker wurde. Von was für einem Aus¬<lb/>
bund iſt denn da die Red'? rief der Müllerknecht erbittert: ſollt'<lb/>
meinen, das wär' ein Muſter, nach dem ſich ein Jedes richten müßt',<lb/>
und wenn man nach dem Namen fragt, ſo iſt's ein Mörder, der<lb/>ſeinem Nebenmenſchen ohne weiters das Meſſer in Arm ſticht!</p><lb/><p>Das iſt auch ein wüſter Streich geweſen, ſagte der Invalide, der<lb/>ſich nicht irre machen ließ: aber mit'm Zuchthaus iſt er doch, mein'<lb/>
ich, hart genug abbüßt worden. Zum Meſſer greifen freilich nicht Alle,<lb/>
denn da gehört ſchon ein wenig mehr Muth dazu, aber mit'm Prügel<lb/>
oder mit'm Stuhlfuß iſt Jeder gleich bei der Hand, wenn der Wort¬<lb/>
wechſel hitzig wird und es fällt ihm nichts Geſcheid's mehr ein, und<lb/>
da ſchlagen ſie einander ſo über die Köpf', daß man ſich nicht wundern<lb/>
darf, daß es ſo viel dumme Leut' gibt. Streit und Certat muß ſein<lb/>
in der Welt, ſonſt iſt's langweilig, aber wohl wär's beſſer, die Men¬<lb/>ſchen thäten witzig mit einander fertig werden ſtatt ſpitzig, einander<lb/>
tupfen ſtatt ſtechen, ſtriegeln ſtatt prügeln, mit dem Kamm lauſen ſtatt<lb/>
mit dem Kolben. Wenn aber Einer thut, was Alle thun, und thut's<lb/>
mein'thalb ein wenig ärger, ſo ſollt' man ihn doch nicht um 'n ganzen<lb/>
Stock höher henken, wie wenn er was ganz beſonders gethan hätt'.</p><lb/><p>Es ſcheint, da muß ſich die Obrigkeit verantworten! warf der<lb/>
Fiſcher biſſig dazwiſchen.</p><lb/><p>Ich hab' mein jährlichs Gratial vom Haus Oeſtreich, ſagte der<lb/>
Invalide ſtolz: die Obrigkeit kann mir nichts geben und nichts nehmen.<lb/>
Ich ſag' nichts wider ſie, aber ich red' wie mir der Schnabel ge¬<lb/>
wachſen iſt.</p><lb/><p>Ja, für'n wild's Thier, das dem Flecken täglich mit Mord und<lb/>
Brand droht hat! ſchrie der Müller, der den Wein zu ſpüren begann.</p><lb/><p>Um dieſer Reden willen hätt' ich auch wieder 'n Stecken für ihn<lb/>
in Bereitſchaft, ſagte der Invalide, der nach langer Krankheit wieder<lb/>
einmal ausgegangen war und ſich hinter dem Glaſe ſo behaglich<lb/>
fühlte, daß er aufgelegt war, ſeine Meinung ſtandhaft gegen Feind<lb/>
und Freund durchzufechten. Und zwar thät' ich ihn darum<lb/>
weil er mit ſolchen Reden ſich ſelber am meiſten ſchad't. Aber er hat<lb/>ſich nicht ſchlecht dagegen verantwortet ſchon vor ſechs Jahr', wie der<lb/>
Schütz einmal aus'm Verhör erzählt hat. Reden denn die Andern<lb/>
franzöſiſch? hat er geſagt. Und das iſt die Wahrheit. Wo man<lb/></p></div></body></text></TEI>
[347/0363]
Murren um ihn her immer ſtärker wurde. Von was für einem Aus¬
bund iſt denn da die Red'? rief der Müllerknecht erbittert: ſollt'
meinen, das wär' ein Muſter, nach dem ſich ein Jedes richten müßt',
und wenn man nach dem Namen fragt, ſo iſt's ein Mörder, der
ſeinem Nebenmenſchen ohne weiters das Meſſer in Arm ſticht!
Das iſt auch ein wüſter Streich geweſen, ſagte der Invalide, der
ſich nicht irre machen ließ: aber mit'm Zuchthaus iſt er doch, mein'
ich, hart genug abbüßt worden. Zum Meſſer greifen freilich nicht Alle,
denn da gehört ſchon ein wenig mehr Muth dazu, aber mit'm Prügel
oder mit'm Stuhlfuß iſt Jeder gleich bei der Hand, wenn der Wort¬
wechſel hitzig wird und es fällt ihm nichts Geſcheid's mehr ein, und
da ſchlagen ſie einander ſo über die Köpf', daß man ſich nicht wundern
darf, daß es ſo viel dumme Leut' gibt. Streit und Certat muß ſein
in der Welt, ſonſt iſt's langweilig, aber wohl wär's beſſer, die Men¬
ſchen thäten witzig mit einander fertig werden ſtatt ſpitzig, einander
tupfen ſtatt ſtechen, ſtriegeln ſtatt prügeln, mit dem Kamm lauſen ſtatt
mit dem Kolben. Wenn aber Einer thut, was Alle thun, und thut's
mein'thalb ein wenig ärger, ſo ſollt' man ihn doch nicht um 'n ganzen
Stock höher henken, wie wenn er was ganz beſonders gethan hätt'.
Es ſcheint, da muß ſich die Obrigkeit verantworten! warf der
Fiſcher biſſig dazwiſchen.
Ich hab' mein jährlichs Gratial vom Haus Oeſtreich, ſagte der
Invalide ſtolz: die Obrigkeit kann mir nichts geben und nichts nehmen.
Ich ſag' nichts wider ſie, aber ich red' wie mir der Schnabel ge¬
wachſen iſt.
Ja, für'n wild's Thier, das dem Flecken täglich mit Mord und
Brand droht hat! ſchrie der Müller, der den Wein zu ſpüren begann.
Um dieſer Reden willen hätt' ich auch wieder 'n Stecken für ihn
in Bereitſchaft, ſagte der Invalide, der nach langer Krankheit wieder
einmal ausgegangen war und ſich hinter dem Glaſe ſo behaglich
fühlte, daß er aufgelegt war, ſeine Meinung ſtandhaft gegen Feind
und Freund durchzufechten. Und zwar thät' ich ihn darum
weil er mit ſolchen Reden ſich ſelber am meiſten ſchad't. Aber er hat
ſich nicht ſchlecht dagegen verantwortet ſchon vor ſechs Jahr', wie der
Schütz einmal aus'm Verhör erzählt hat. Reden denn die Andern
franzöſiſch? hat er geſagt. Und das iſt die Wahrheit. Wo man
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/363>, abgerufen am 28.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.