mann, der in seinem Aerger sich nicht bewußt war, wie sehr dieser Rath seiner kaum zuvor ausgesprochenen Besorgniß widersprach. Wenn ich vorausgesehen hätte, seufzte er dann, daß mir die Vereitelung dieser einfältigen Heirath solch maß- und zahllose Incommoditäten zuziehen würde, ich hätte selbst den Brautführer oder wenigstens den Vermittler beim Sonnenwirth gemacht. Vielleicht wäre der Bursche doch noch ein¬ geschlagen.
Sie würden nie für einander gepaßt haben, versetzte die Amt¬ männin mit entschiedenem Tone. Sie ist zu schwerfällig für ihn, und hoch hinaus hätt' er jedenfalls immer gewollt.
Wenn er's nur schon so hoch gebracht hätte, wie ich's ihm wünsche! seufzte der Amtmann.
Bei alle dem, fuhr die Amtmännin fort, hat die unüberwindliche Anhänglichkeit an diese Person, die eigentlich das Unglück seines Lebens ist, etwas Chevalereskes. Ich muß oft denken: Schade um den Men¬ schen! unter andern Umständen würde vielleicht etwas Importantes aus ihm geworden sein. Gestehen wir es uns nur: ein Bursche, der einen ganzen Flecken sammt Amtmann und Vogt im Schach hält, der sich nicht bloß in der Nacht, sondern am hellen Tag, wenn's ihm con¬ venirt, im feindlichen Lager blicken läßt, in die Wirthshäuser sitzt, und allen aufgewendeten Maßregeln zum Hohne in keine Schlinge geht, der ist kein gewöhnlicher Mensch, der hat etwas von einem coeur de lion an sich.
Wenn meine Frau Gemahlin jünger wäre, bemerkte der Amtmann beißend, so könnte mich nahezu der Argwohn befallen, sie wünschte seine Christine zu werden, damit dann zwei hochstrebende Geister bei einander wären. Falls du übrigens Lust hast, den Löwen in seiner Höhle zu besuchen, so will ich nicht eifersüchtig sein, andererseits aber auch keine Verantwortung übernehmen.
Es fragt sich, ob die Gefahr so groß wäre, erwiderte sie scherzend.
Man hörte einen Hufschlag und bald darauf trat der Amtsknecht in das Zimmer und übergab ein Schreiben mit den Worten: Von Göppingen, durch Erpressen.
Schon wieder! seufzte der Amtmann verzweiflungsvoll. Er erbrach das Siegel und las seiner Frau, nachdem der Diener sich entfernt hatte, das amtliche Schreiben vor: "Wohledler, insonders" et caetera.
mann, der in ſeinem Aerger ſich nicht bewußt war, wie ſehr dieſer Rath ſeiner kaum zuvor ausgeſprochenen Beſorgniß widerſprach. Wenn ich vorausgeſehen hätte, ſeufzte er dann, daß mir die Vereitelung dieſer einfältigen Heirath ſolch maß- und zahlloſe Incommoditäten zuziehen würde, ich hätte ſelbſt den Brautführer oder wenigſtens den Vermittler beim Sonnenwirth gemacht. Vielleicht wäre der Burſche doch noch ein¬ geſchlagen.
Sie würden nie für einander gepaßt haben, verſetzte die Amt¬ männin mit entſchiedenem Tone. Sie iſt zu ſchwerfällig für ihn, und hoch hinaus hätt' er jedenfalls immer gewollt.
Wenn er's nur ſchon ſo hoch gebracht hätte, wie ich's ihm wünſche! ſeufzte der Amtmann.
Bei alle dem, fuhr die Amtmännin fort, hat die unüberwindliche Anhänglichkeit an dieſe Perſon, die eigentlich das Unglück ſeines Lebens iſt, etwas Chevalereskes. Ich muß oft denken: Schade um den Men¬ ſchen! unter andern Umſtänden würde vielleicht etwas Importantes aus ihm geworden ſein. Geſtehen wir es uns nur: ein Burſche, der einen ganzen Flecken ſammt Amtmann und Vogt im Schach hält, der ſich nicht bloß in der Nacht, ſondern am hellen Tag, wenn's ihm con¬ venirt, im feindlichen Lager blicken läßt, in die Wirthshäuſer ſitzt, und allen aufgewendeten Maßregeln zum Hohne in keine Schlinge geht, der iſt kein gewöhnlicher Menſch, der hat etwas von einem coeur de lion an ſich.
Wenn meine Frau Gemahlin jünger wäre, bemerkte der Amtmann beißend, ſo könnte mich nahezu der Argwohn befallen, ſie wünſchte ſeine Chriſtine zu werden, damit dann zwei hochſtrebende Geiſter bei einander wären. Falls du übrigens Luſt haſt, den Löwen in ſeiner Höhle zu beſuchen, ſo will ich nicht eiferſüchtig ſein, andererſeits aber auch keine Verantwortung übernehmen.
Es fragt ſich, ob die Gefahr ſo groß wäre, erwiderte ſie ſcherzend.
Man hörte einen Hufſchlag und bald darauf trat der Amtsknecht in das Zimmer und übergab ein Schreiben mit den Worten: Von Göppingen, durch Erpreſſen.
Schon wieder! ſeufzte der Amtmann verzweiflungsvoll. Er erbrach das Siegel und las ſeiner Frau, nachdem der Diener ſich entfernt hatte, das amtliche Schreiben vor: „Wohledler, inſonders“ et caetera.
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ich vorausgeſehen hätte, ſeufzte er dann, daß mir die Vereitelung dieſer
einfältigen Heirath ſolch maß- und zahlloſe Incommoditäten zuziehen würde,
ich hätte ſelbſt den Brautführer oder wenigſtens den Vermittler beim
Sonnenwirth gemacht. Vielleicht wäre der Burſche doch noch ein¬
geſchlagen.
Sie würden nie für einander gepaßt haben, verſetzte die Amt¬
männin mit entſchiedenem Tone. Sie iſt zu ſchwerfällig für ihn, und
hoch hinaus hätt' er jedenfalls immer gewollt.
Wenn er's nur ſchon ſo hoch gebracht hätte, wie ich's ihm wünſche!
ſeufzte der Amtmann.
Bei alle dem, fuhr die Amtmännin fort, hat die unüberwindliche
Anhänglichkeit an dieſe Perſon, die eigentlich das Unglück ſeines Lebens
iſt, etwas Chevalereskes. Ich muß oft denken: Schade um den Men¬
ſchen! unter andern Umſtänden würde vielleicht etwas Importantes aus
ihm geworden ſein. Geſtehen wir es uns nur: ein Burſche, der einen
ganzen Flecken ſammt Amtmann und Vogt im Schach hält, der ſich
nicht bloß in der Nacht, ſondern am hellen Tag, wenn's ihm con¬
venirt, im feindlichen Lager blicken läßt, in die Wirthshäuſer ſitzt,
und allen aufgewendeten Maßregeln zum Hohne in keine Schlinge
geht, der iſt kein gewöhnlicher Menſch, der hat etwas von einem
coeur de lion an ſich.
Wenn meine Frau Gemahlin jünger wäre, bemerkte der Amtmann
beißend, ſo könnte mich nahezu der Argwohn befallen, ſie wünſchte
ſeine Chriſtine zu werden, damit dann zwei hochſtrebende Geiſter bei
einander wären. Falls du übrigens Luſt haſt, den Löwen in ſeiner
Höhle zu beſuchen, ſo will ich nicht eiferſüchtig ſein, andererſeits aber
auch keine Verantwortung übernehmen.
Es fragt ſich, ob die Gefahr ſo groß wäre, erwiderte ſie ſcherzend.
Man hörte einen Hufſchlag und bald darauf trat der Amtsknecht
in das Zimmer und übergab ein Schreiben mit den Worten: Von
Göppingen, durch Erpreſſen.
Schon wieder! ſeufzte der Amtmann verzweiflungsvoll. Er erbrach
das Siegel und las ſeiner Frau, nachdem der Diener ſich entfernt
hatte, das amtliche Schreiben vor: „Wohledler, inſonders“ et caetera.
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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/343>, abgerufen am 22.11.2024.
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