Veranstaltung der Herr Amtmann auch herzhaft vorangehen und zu hoffentlich mehrerer Autorität selbsten beiwohnen solle."
Sehr obligirt! bemerkte der Amtmann und sah halb spöttisch, halb wehmüthig nach dem Fenster, um welches milde Sonnenstrahlen spielten, die nach der Wintergefangenschaft zum Genuß der Freiheit einluden.
Du solltest ihn auf eine Jagdpartie bitten, bemerkte die Amt¬ männin. Was schreibt er denn da? das scheint mir lateinisch zu sein: "more solito negligiret."
Er wirft mir vor, sagte der Amtmann im höchsten Unmuth, als hätte ich die Sache in gewohnter Manier gehen und liegen lassen. Das ist nicht nur eine Unwahrheit, das ist eine hämische Calumnie. Er hat's nöthig, dergleichen Reprimanden einfließen zu lassen. Wer die Sache auf eine negligeante Art behandelt, das ist er. Das eine¬ mal hat mir der Postillon geklagt, er sei Abends vor sechs Uhr in Göppingen eingetroffen, habe aber zwei Stunden warten müssen, bis er vorgelassen worden sei. Ein andermal hab' ich den Expressen um zwei Uhr von hier abgefertigt und den Bescheid erst Nachts nach neun Uhr erhalten. Ich habe mir aber alle diese more-solito-Negligenzien in margine notirt, damit ich mich gegen ihn rechtfertigen kann, wenn er mich zu Stuttgart ins schwarze Register bringen will.
Da haben sie jetzt an andre Dinge zu denken, sagte sie. Wie ich höre, beginnt der landschaftliche Ausschuß sehr schwierig zu werden und wird ihnen wenig Zeit lassen, sich mit kleineren Händeln abzu¬ geben.
Nein, nein! rief der Amtmann. Das verstehst du nicht, so spitz¬ findig du bist. Gerade dann sind sie am aufgelegtesten, einen einzelnen Beamten als Sündenbock zu massacriren, um zu beweisen, daß die Schreier Unrecht haben.
Da würd' ich doch zuerst trachten, mich mit dem Vogt in eine bessere entente zu setzen, sagte sie. Ein Vorgesetzter behält gar zu leicht das letzte Wort. Ich kann ihn durchschauen und gebe dir völlig Recht: hinter dem ganzen bruit von Regieren und Ordonniren steckt nichts als die Angst vor diesem Teufelsbraten, dem Sonnenwirthle. Es ist ihm nicht wohl, so lange er seine Chloe in Verwahrung hat. So soll er sie ins Henkers Namen laufen lassen! polterte der Amt¬
Veranſtaltung der Herr Amtmann auch herzhaft vorangehen und zu hoffentlich mehrerer Autorität ſelbſten beiwohnen ſolle.“
Sehr obligirt! bemerkte der Amtmann und ſah halb ſpöttiſch, halb wehmüthig nach dem Fenſter, um welches milde Sonnenſtrahlen ſpielten, die nach der Wintergefangenſchaft zum Genuß der Freiheit einluden.
Du ſollteſt ihn auf eine Jagdpartie bitten, bemerkte die Amt¬ männin. Was ſchreibt er denn da? das ſcheint mir lateiniſch zu ſein: „more solito negligiret.“
Er wirft mir vor, ſagte der Amtmann im höchſten Unmuth, als hätte ich die Sache in gewohnter Manier gehen und liegen laſſen. Das iſt nicht nur eine Unwahrheit, das iſt eine hämiſche Calumnie. Er hat's nöthig, dergleichen Reprimanden einfließen zu laſſen. Wer die Sache auf eine negligeante Art behandelt, das iſt er. Das eine¬ mal hat mir der Poſtillon geklagt, er ſei Abends vor ſechs Uhr in Göppingen eingetroffen, habe aber zwei Stunden warten müſſen, bis er vorgelaſſen worden ſei. Ein andermal hab' ich den Expreſſen um zwei Uhr von hier abgefertigt und den Beſcheid erſt Nachts nach neun Uhr erhalten. Ich habe mir aber alle dieſe more-solito-Negligenzien in margine notirt, damit ich mich gegen ihn rechtfertigen kann, wenn er mich zu Stuttgart ins ſchwarze Regiſter bringen will.
Da haben ſie jetzt an andre Dinge zu denken, ſagte ſie. Wie ich höre, beginnt der landſchaftliche Ausſchuß ſehr ſchwierig zu werden und wird ihnen wenig Zeit laſſen, ſich mit kleineren Händeln abzu¬ geben.
Nein, nein! rief der Amtmann. Das verſtehſt du nicht, ſo ſpitz¬ findig du biſt. Gerade dann ſind ſie am aufgelegteſten, einen einzelnen Beamten als Sündenbock zu maſſacriren, um zu beweiſen, daß die Schreier Unrecht haben.
Da würd' ich doch zuerſt trachten, mich mit dem Vogt in eine beſſere entente zu ſetzen, ſagte ſie. Ein Vorgeſetzter behält gar zu leicht das letzte Wort. Ich kann ihn durchſchauen und gebe dir völlig Recht: hinter dem ganzen bruit von Regieren und Ordonniren ſteckt nichts als die Angſt vor dieſem Teufelsbraten, dem Sonnenwirthle. Es iſt ihm nicht wohl, ſo lange er ſeine Chloe in Verwahrung hat. So ſoll er ſie ins Henkers Namen laufen laſſen! polterte der Amt¬
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Veranſtaltung der Herr Amtmann auch herzhaft vorangehen und zu
hoffentlich mehrerer Autorität ſelbſten beiwohnen ſolle.“
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halb wehmüthig nach dem Fenſter, um welches milde Sonnenſtrahlen
ſpielten, die nach der Wintergefangenſchaft zum Genuß der Freiheit
einluden.
Du ſollteſt ihn auf eine Jagdpartie bitten, bemerkte die Amt¬
männin. Was ſchreibt er denn da? das ſcheint mir lateiniſch zu ſein:
„more solito negligiret.“
Er wirft mir vor, ſagte der Amtmann im höchſten Unmuth, als
hätte ich die Sache in gewohnter Manier gehen und liegen laſſen.
Das iſt nicht nur eine Unwahrheit, das iſt eine hämiſche Calumnie.
Er hat's nöthig, dergleichen Reprimanden einfließen zu laſſen. Wer
die Sache auf eine negligeante Art behandelt, das iſt er. Das eine¬
mal hat mir der Poſtillon geklagt, er ſei Abends vor ſechs Uhr in
Göppingen eingetroffen, habe aber zwei Stunden warten müſſen, bis
er vorgelaſſen worden ſei. Ein andermal hab' ich den Expreſſen um
zwei Uhr von hier abgefertigt und den Beſcheid erſt Nachts nach neun
Uhr erhalten. Ich habe mir aber alle dieſe more-solito-Negligenzien
in margine notirt, damit ich mich gegen ihn rechtfertigen kann, wenn
er mich zu Stuttgart ins ſchwarze Regiſter bringen will.
Da haben ſie jetzt an andre Dinge zu denken, ſagte ſie. Wie ich
höre, beginnt der landſchaftliche Ausſchuß ſehr ſchwierig zu werden
und wird ihnen wenig Zeit laſſen, ſich mit kleineren Händeln abzu¬
geben.
Nein, nein! rief der Amtmann. Das verſtehſt du nicht, ſo ſpitz¬
findig du biſt. Gerade dann ſind ſie am aufgelegteſten, einen einzelnen
Beamten als Sündenbock zu maſſacriren, um zu beweiſen, daß die
Schreier Unrecht haben.
Da würd' ich doch zuerſt trachten, mich mit dem Vogt in eine
beſſere entente zu ſetzen, ſagte ſie. Ein Vorgeſetzter behält gar zu
leicht das letzte Wort. Ich kann ihn durchſchauen und gebe dir völlig
Recht: hinter dem ganzen bruit von Regieren und Ordonniren ſteckt
nichts als die Angſt vor dieſem Teufelsbraten, dem Sonnenwirthle.
Es iſt ihm nicht wohl, ſo lange er ſeine Chloe in Verwahrung hat.
So ſoll er ſie ins Henkers Namen laufen laſſen! polterte der Amt¬
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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 326. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/342>, abgerufen am 22.11.2024.
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