immer väterlich und mütterlich regiert, so daß das Haus seinen Namen verdiente und die Leute darin zur Zucht gebracht würden, so wär's das Beste, sie auf unbestimmte Zeit hinein zu thun, bis der Zucht¬ vater oder die Zuchtmutter sie wieder freisprechen würden, und bekam' das vielleicht Manchem gut, der jetzt Andere zum Zuchthaus verdammt. Und dann möcht' man Einen, der nicht gut thut, meinetwegen auf lebenslänglich drin lassen; nur weiß ich keinen Menschen, dem ich ein solches Urtheil anvertrauen möchte, als höchstens meinen seligen Waisen¬ pfarrer. Aber die gewöhnliche Art von Zuchthausstrafen -- für das und das Vergehen so und so viel Wochen oder Monate oder Jahre -- das kommt mir immer vor wie ein Schneider, der Einem so und so viel Ellen zu seiner leiblichen Länge anmißt, oder auch, weil ich grad' vom Wirthschaften herkomm', wie ein Speiszettel: Kalbsbraten thut so und so viel, Hammelsbraten so und so viel, Schweinsbraten so und so viel, Wein, Nachtlager, Mittag-, Abendessen und Frühstück, Alles zusammen einen Gulden und dreißig Kreuzer. Dann gibt's auch wie¬ der gelindere Richter, die machen's wie ein sanftmüthiger Wirth, der den Gast nicht mit einer runden Summe erschrecken will und statt des Guldens bloß neunundfünfzig Kreuzerle sagt. Bei einem Wirth ist das schon recht und er mag zusehen, wie er eins ins andre rechnet und fertig wird, aber die Rechnung in Jahren, Monaten und Wochen nicht am Beutel, sondern an der lebendigen Seele eines Menschen ausgemessen -- das ist eine Vermessenheit und kann ich weder Sinn noch Verstand drin finden.
Wie ich wieder aus'm Zuchthaus kommen bin, fuhr Christine fort, hab' ich gehört, du seiest dagewesen, aber seiest wieder fort in die weit' Welt. In der Sonn' hat man nicht davon geschnauft wo du bist. Ich hab' selber einmal angefragt, da hat mir die Sonnenwirthin ein Stückle Brod hingelegt und hat gesagt, du seiest ganz verschollen, und 's that' für mich und Alle das Best' sein, du bliebest's auch. Ich hab' das Brod liegen lassen und bin fort. Mein Jerg ist grad' da¬ zumal wieder nicht zu Haus gewesen, und mein' Mutter hat mich nicht behalten wollen, weil ich ihr eine unnütze Brodesserin sei, wie¬ wohl sie eigentlich uns ihr Brod verdankt, denn sie ißt's eben mit unsern Kindern, die man ihr in Verpflegung geben hat.
Aus dem Heiligen?
immer väterlich und mütterlich regiert, ſo daß das Haus ſeinen Namen verdiente und die Leute darin zur Zucht gebracht würden, ſo wär's das Beſte, ſie auf unbeſtimmte Zeit hinein zu thun, bis der Zucht¬ vater oder die Zuchtmutter ſie wieder freiſprechen würden, und bekam' das vielleicht Manchem gut, der jetzt Andere zum Zuchthaus verdammt. Und dann möcht' man Einen, der nicht gut thut, meinetwegen auf lebenslänglich drin laſſen; nur weiß ich keinen Menſchen, dem ich ein ſolches Urtheil anvertrauen möchte, als höchſtens meinen ſeligen Waiſen¬ pfarrer. Aber die gewöhnliche Art von Zuchthausſtrafen — für das und das Vergehen ſo und ſo viel Wochen oder Monate oder Jahre — das kommt mir immer vor wie ein Schneider, der Einem ſo und ſo viel Ellen zu ſeiner leiblichen Länge anmißt, oder auch, weil ich grad' vom Wirthſchaften herkomm', wie ein Speiszettel: Kalbsbraten thut ſo und ſo viel, Hammelsbraten ſo und ſo viel, Schweinsbraten ſo und ſo viel, Wein, Nachtlager, Mittag-, Abendeſſen und Frühstück, Alles zuſammen einen Gulden und dreißig Kreuzer. Dann gibt's auch wie¬ der gelindere Richter, die machen's wie ein ſanftmüthiger Wirth, der den Gaſt nicht mit einer runden Summe erſchrecken will und ſtatt des Guldens bloß neunundfünfzig Kreuzerle ſagt. Bei einem Wirth iſt das ſchon recht und er mag zuſehen, wie er eins ins andre rechnet und fertig wird, aber die Rechnung in Jahren, Monaten und Wochen nicht am Beutel, ſondern an der lebendigen Seele eines Menſchen ausgemeſſen — das iſt eine Vermeſſenheit und kann ich weder Sinn noch Verſtand drin finden.
Wie ich wieder aus'm Zuchthaus kommen bin, fuhr Chriſtine fort, hab' ich gehört, du ſeieſt dageweſen, aber ſeieſt wieder fort in die weit' Welt. In der Sonn' hat man nicht davon geſchnauft wo du biſt. Ich hab' ſelber einmal angefragt, da hat mir die Sonnenwirthin ein Stückle Brod hingelegt und hat geſagt, du ſeieſt ganz verſchollen, und 's that' für mich und Alle das Beſt' ſein, du bliebeſt's auch. Ich hab' das Brod liegen laſſen und bin fort. Mein Jerg iſt grad' da¬ zumal wieder nicht zu Haus geweſen, und mein' Mutter hat mich nicht behalten wollen, weil ich ihr eine unnütze Brodeſſerin ſei, wie¬ wohl ſie eigentlich uns ihr Brod verdankt, denn ſie ißt's eben mit unſern Kindern, die man ihr in Verpflegung geben hat.
Aus dem Heiligen?
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[315/0331]
immer väterlich und mütterlich regiert, ſo daß das Haus ſeinen Namen
verdiente und die Leute darin zur Zucht gebracht würden, ſo wär's
das Beſte, ſie auf unbeſtimmte Zeit hinein zu thun, bis der Zucht¬
vater oder die Zuchtmutter ſie wieder freiſprechen würden, und bekam'
das vielleicht Manchem gut, der jetzt Andere zum Zuchthaus verdammt.
Und dann möcht' man Einen, der nicht gut thut, meinetwegen auf
lebenslänglich drin laſſen; nur weiß ich keinen Menſchen, dem ich ein
ſolches Urtheil anvertrauen möchte, als höchſtens meinen ſeligen Waiſen¬
pfarrer. Aber die gewöhnliche Art von Zuchthausſtrafen — für das
und das Vergehen ſo und ſo viel Wochen oder Monate oder Jahre —
das kommt mir immer vor wie ein Schneider, der Einem ſo und ſo
viel Ellen zu ſeiner leiblichen Länge anmißt, oder auch, weil ich grad'
vom Wirthſchaften herkomm', wie ein Speiszettel: Kalbsbraten thut
ſo und ſo viel, Hammelsbraten ſo und ſo viel, Schweinsbraten ſo und
ſo viel, Wein, Nachtlager, Mittag-, Abendeſſen und Frühstück, Alles
zuſammen einen Gulden und dreißig Kreuzer. Dann gibt's auch wie¬
der gelindere Richter, die machen's wie ein ſanftmüthiger Wirth, der
den Gaſt nicht mit einer runden Summe erſchrecken will und ſtatt
des Guldens bloß neunundfünfzig Kreuzerle ſagt. Bei einem Wirth
iſt das ſchon recht und er mag zuſehen, wie er eins ins andre rechnet
und fertig wird, aber die Rechnung in Jahren, Monaten und Wochen
nicht am Beutel, ſondern an der lebendigen Seele eines Menſchen
ausgemeſſen — das iſt eine Vermeſſenheit und kann ich weder Sinn
noch Verſtand drin finden.
Wie ich wieder aus'm Zuchthaus kommen bin, fuhr Chriſtine fort,
hab' ich gehört, du ſeieſt dageweſen, aber ſeieſt wieder fort in die weit'
Welt. In der Sonn' hat man nicht davon geſchnauft wo du biſt.
Ich hab' ſelber einmal angefragt, da hat mir die Sonnenwirthin ein
Stückle Brod hingelegt und hat geſagt, du ſeieſt ganz verſchollen, und
's that' für mich und Alle das Beſt' ſein, du bliebeſt's auch. Ich
hab' das Brod liegen laſſen und bin fort. Mein Jerg iſt grad' da¬
zumal wieder nicht zu Haus geweſen, und mein' Mutter hat mich
nicht behalten wollen, weil ich ihr eine unnütze Brodeſſerin ſei, wie¬
wohl ſie eigentlich uns ihr Brod verdankt, denn ſie ißt's eben mit
unſern Kindern, die man ihr in Verpflegung geben hat.
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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 315. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/331>, abgerufen am 25.11.2024.
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