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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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Patriarch! Er ist sein Leben lang in Armuth und Demuth und im
Staub dahergangen und hat selber nicht gewußt, was in ihm steckt,
aber in der Todesstunde ist ihm der Geist mächtig auf die Zunge
getreten.

Weißt noch, wie er uns gesegnet hat, rief sie, und dich absonder¬
lich, weil dein Will' vor Gott gut sei und dein Herz aufrichtig, und
wie er dir Alles vergeben hat, was ihm Leid's durch dich geschehen ist?
Und dann seine letzten Worte! rief er. Wo hat man vom alten
Pfarrer, der zu gleicher Zeit mit ihm gestorben ist, je etwas Aehn¬
liches gehört! Und vollends vom jetzigen! Ja, wenn er nur ein ein¬
zigmal aus seinem Mund einen Hauch hätte gehen lassen von jenem
Geist, ich hätte ihn und seinen Kelch und seine Hostien ungekränkt
gelassen!

Nicht bloß im Sonnenwirthshaus -- so versuchte Christine aus
der Erinnerung nachzusprechen -- auch unter der großen Weltsonn'
ist nicht Alles wie es sein sollt', und Gottes unerforschlicher Rathschluß
läßt es zu, daß sein Will' auf Erden nicht geschieht. Neid und Stolz
regiert die Welt und das Gericht wird hereinbrechen --

Sie nennen sich seine Kinder -- unterbrach er sie, um die Er¬
innerung voller wiederzugeben -- und sind doch nicht Brüder und
Schwestern unter einander. Neid und Gewalt, Stolz und Habsucht
regiert die Welt, und Gottes Ebenbild wird in der Armuth unter¬
drückt. Die Welt liegt im Argen und ihr Maß steigt auf bis zum
Rand, und unversehens wird ein Gericht hereinbrechen, das den Un¬
schuldigen sammt dem Schuldigen trifft, wie zur Zeit der großen Fluth,
wo der Menschen Bosheit groß war auf Erden und alles Dichten und
Trachten ihres Herzens nur böse war immerdar.

Ich aber -- fiel Christine mit den Schlußworten ihres Vaters
ein -- ich fahr' in meiner Arch', die mir der Schreiner zimmert, nach
meinem Berg Ararat zu meinem Vater und zu eurem Vater, und
will schauen was jetzt dunkel und verborgen ist, und will ihm sagen:
Vater, segne die hie nach mir bleiben, und führ' sie endlich einmal
sänfter, wenn dir's möglich ist, und laß sie deinen Frieden schmecken. --
Er hat das Wort nicht mehr ganz ausgesagt, fügte sie hinzu, ist zu¬
rückgesunken und entschlafen.

Eine übermächtige Rührung überkam das so vieler Verwilderung

Patriarch! Er iſt ſein Leben lang in Armuth und Demuth und im
Staub dahergangen und hat ſelber nicht gewußt, was in ihm ſteckt,
aber in der Todesſtunde iſt ihm der Geiſt mächtig auf die Zunge
getreten.

Weißt noch, wie er uns geſegnet hat, rief ſie, und dich abſonder¬
lich, weil dein Will' vor Gott gut ſei und dein Herz aufrichtig, und
wie er dir Alles vergeben hat, was ihm Leid's durch dich geſchehen iſt?
Und dann ſeine letzten Worte! rief er. Wo hat man vom alten
Pfarrer, der zu gleicher Zeit mit ihm geſtorben iſt, je etwas Aehn¬
liches gehört! Und vollends vom jetzigen! Ja, wenn er nur ein ein¬
zigmal aus ſeinem Mund einen Hauch hätte gehen laſſen von jenem
Geiſt, ich hätte ihn und ſeinen Kelch und ſeine Hoſtien ungekränkt
gelaſſen!

Nicht bloß im Sonnenwirthshaus — ſo verſuchte Chriſtine aus
der Erinnerung nachzuſprechen — auch unter der großen Weltſonn'
iſt nicht Alles wie es ſein ſollt', und Gottes unerforſchlicher Rathſchluß
läßt es zu, daß ſein Will' auf Erden nicht geſchieht. Neid und Stolz
regiert die Welt und das Gericht wird hereinbrechen —

Sie nennen ſich ſeine Kinder — unterbrach er ſie, um die Er¬
innerung voller wiederzugeben — und ſind doch nicht Brüder und
Schweſtern unter einander. Neid und Gewalt, Stolz und Habſucht
regiert die Welt, und Gottes Ebenbild wird in der Armuth unter¬
drückt. Die Welt liegt im Argen und ihr Maß ſteigt auf bis zum
Rand, und unverſehens wird ein Gericht hereinbrechen, das den Un¬
ſchuldigen ſammt dem Schuldigen trifft, wie zur Zeit der großen Fluth,
wo der Menſchen Bosheit groß war auf Erden und alles Dichten und
Trachten ihres Herzens nur böſe war immerdar.

Ich aber — fiel Chriſtine mit den Schlußworten ihres Vaters
ein — ich fahr' in meiner Arch', die mir der Schreiner zimmert, nach
meinem Berg Ararat zu meinem Vater und zu eurem Vater, und
will ſchauen was jetzt dunkel und verborgen iſt, und will ihm ſagen:
Vater, ſegne die hie nach mir bleiben, und führ' ſie endlich einmal
ſänfter, wenn dir's möglich iſt, und laß ſie deinen Frieden ſchmecken. —
Er hat das Wort nicht mehr ganz ausgeſagt, fügte ſie hinzu, iſt zu¬
rückgeſunken und entſchlafen.

Eine übermächtige Rührung überkam das ſo vieler Verwilderung

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[312/0328] Patriarch! Er iſt ſein Leben lang in Armuth und Demuth und im Staub dahergangen und hat ſelber nicht gewußt, was in ihm ſteckt, aber in der Todesſtunde iſt ihm der Geiſt mächtig auf die Zunge getreten. Weißt noch, wie er uns geſegnet hat, rief ſie, und dich abſonder¬ lich, weil dein Will' vor Gott gut ſei und dein Herz aufrichtig, und wie er dir Alles vergeben hat, was ihm Leid's durch dich geſchehen iſt? Und dann ſeine letzten Worte! rief er. Wo hat man vom alten Pfarrer, der zu gleicher Zeit mit ihm geſtorben iſt, je etwas Aehn¬ liches gehört! Und vollends vom jetzigen! Ja, wenn er nur ein ein¬ zigmal aus ſeinem Mund einen Hauch hätte gehen laſſen von jenem Geiſt, ich hätte ihn und ſeinen Kelch und ſeine Hoſtien ungekränkt gelaſſen! Nicht bloß im Sonnenwirthshaus — ſo verſuchte Chriſtine aus der Erinnerung nachzuſprechen — auch unter der großen Weltſonn' iſt nicht Alles wie es ſein ſollt', und Gottes unerforſchlicher Rathſchluß läßt es zu, daß ſein Will' auf Erden nicht geſchieht. Neid und Stolz regiert die Welt und das Gericht wird hereinbrechen — Sie nennen ſich ſeine Kinder — unterbrach er ſie, um die Er¬ innerung voller wiederzugeben — und ſind doch nicht Brüder und Schweſtern unter einander. Neid und Gewalt, Stolz und Habſucht regiert die Welt, und Gottes Ebenbild wird in der Armuth unter¬ drückt. Die Welt liegt im Argen und ihr Maß ſteigt auf bis zum Rand, und unverſehens wird ein Gericht hereinbrechen, das den Un¬ ſchuldigen ſammt dem Schuldigen trifft, wie zur Zeit der großen Fluth, wo der Menſchen Bosheit groß war auf Erden und alles Dichten und Trachten ihres Herzens nur böſe war immerdar. Ich aber — fiel Chriſtine mit den Schlußworten ihres Vaters ein — ich fahr' in meiner Arch', die mir der Schreiner zimmert, nach meinem Berg Ararat zu meinem Vater und zu eurem Vater, und will ſchauen was jetzt dunkel und verborgen iſt, und will ihm ſagen: Vater, ſegne die hie nach mir bleiben, und führ' ſie endlich einmal ſänfter, wenn dir's möglich iſt, und laß ſie deinen Frieden ſchmecken. — Er hat das Wort nicht mehr ganz ausgeſagt, fügte ſie hinzu, iſt zu¬ rückgeſunken und entſchlafen. Eine übermächtige Rührung überkam das ſo vieler Verwilderung

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 312. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/328>, abgerufen am 22.11.2024.