In der ersten Frühe weckte Friedrich Christinen und las ihr das Heu aus den Kleidern und aus den Haaren, wohin es da und dort unter dem Kopftuche eingedrungen war. Nachdem er mit ihrer Hilfe sein Aeußeres gleichfalls etwas in Ordnung gebracht hatte, ermunterte er sie zum Fortgehen, ehe die Hausbewohner erwachten; denn, sagte er, wenn man den Leuten Nachts in die Scheuer einbricht, und wär's auch nur um ein wenig Nachtruh' zu erbeuten, so hat man gleich den Credit bei ihnen eingebüßt. Sie verließen den kleinen Weiler, der aus einigen ärmlichen Häuschen bestand, und schlugen einen schmalen Waldsteig ein. Der thaufeuchte, frische Herbstmorgen machte Christinen vor Kälte zittern. Friedrich suchte einen freien Platz im Walde und hatte bald aus Reisern und dürrem Holze, das er hin und wieder abbrach, ein behagliches Feuer angemacht, neben welchem er das Weib seines Herzens auf seine Knie zog und so ihr ein bequemes Lager bereitete. Das Frühstück, sagte er, müssen wir uns freilich hinzudenken; ich hab' vor lauter Eifer und Heimweh nach dir vergessen, für Mund¬ vorrath zu sorgen. Sie versicherte, sie sei nicht hungrig, und auch er meinte, er habe sich in Sachsenhausen hinlänglich herausgegessen um jetzt ein wenig fasten zu können.
Laß dich einmal besehen, sagte sie aufschauend und munter wer¬ dend. Siehst ja ganz proper aus, man sollt' dich für 'n zünftigen Meister in irgend einem Handwerk halten, das sein' goldenen Boden hat. Mußt die schönen Kleider schonen und nicht in Scheuern über¬ nachten.
Das kommt anders, versetzte er, wenn wir einmal zum Land draußen sind.
Und recht mannhaft bist worden, fuhr sie fort. Hast ein gut's Gestell, so postirt und voll und dabei doch nicht zu breit. Dem Ge¬ sicht freilich sieht man an, daß Manches drüber hin gangen ist, wie ein schwerer Pflug. Man sollt' dich für viel älter halten als du bist. Wenn ich nicht wüßt', daß du kaum über Siebenundzwanzig sein kannst,
28.
In der erſten Frühe weckte Friedrich Chriſtinen und las ihr das Heu aus den Kleidern und aus den Haaren, wohin es da und dort unter dem Kopftuche eingedrungen war. Nachdem er mit ihrer Hilfe ſein Aeußeres gleichfalls etwas in Ordnung gebracht hatte, ermunterte er ſie zum Fortgehen, ehe die Hausbewohner erwachten; denn, ſagte er, wenn man den Leuten Nachts in die Scheuer einbricht, und wär's auch nur um ein wenig Nachtruh' zu erbeuten, ſo hat man gleich den Credit bei ihnen eingebüßt. Sie verließen den kleinen Weiler, der aus einigen ärmlichen Häuschen beſtand, und ſchlugen einen ſchmalen Waldſteig ein. Der thaufeuchte, friſche Herbſtmorgen machte Chriſtinen vor Kälte zittern. Friedrich ſuchte einen freien Platz im Walde und hatte bald aus Reiſern und dürrem Holze, das er hin und wieder abbrach, ein behagliches Feuer angemacht, neben welchem er das Weib ſeines Herzens auf ſeine Knie zog und ſo ihr ein bequemes Lager bereitete. Das Frühſtück, ſagte er, müſſen wir uns freilich hinzudenken; ich hab' vor lauter Eifer und Heimweh nach dir vergeſſen, für Mund¬ vorrath zu ſorgen. Sie verſicherte, ſie ſei nicht hungrig, und auch er meinte, er habe ſich in Sachſenhauſen hinlänglich herausgegeſſen um jetzt ein wenig faſten zu können.
Laß dich einmal beſehen, ſagte ſie aufſchauend und munter wer¬ dend. Siehſt ja ganz proper aus, man ſollt' dich für 'n zünftigen Meiſter in irgend einem Handwerk halten, das ſein' goldenen Boden hat. Mußt die ſchönen Kleider ſchonen und nicht in Scheuern über¬ nachten.
Das kommt anders, verſetzte er, wenn wir einmal zum Land draußen ſind.
Und recht mannhaft biſt worden, fuhr ſie fort. Haſt ein gut's Geſtell, ſo poſtirt und voll und dabei doch nicht zu breit. Dem Ge¬ ſicht freilich ſieht man an, daß Manches drüber hin gangen iſt, wie ein ſchwerer Pflug. Man ſollt' dich für viel älter halten als du biſt. Wenn ich nicht wüßt', daß du kaum über Siebenundzwanzig ſein kannſt,
<TEI><text><body><divn="1"><pbfacs="#f0325"n="309"/></div><divn="1"><head>28.<lb/></head><p>In der erſten Frühe weckte Friedrich Chriſtinen und las ihr das<lb/>
Heu aus den Kleidern und aus den Haaren, wohin es da und dort<lb/>
unter dem Kopftuche eingedrungen war. Nachdem er mit ihrer Hilfe<lb/>ſein Aeußeres gleichfalls etwas in Ordnung gebracht hatte, ermunterte<lb/>
er ſie zum Fortgehen, ehe die Hausbewohner erwachten; denn, ſagte er,<lb/>
wenn man den Leuten Nachts in die Scheuer einbricht, und wär's<lb/>
auch nur um ein wenig Nachtruh' zu erbeuten, ſo hat man gleich den<lb/>
Credit bei ihnen eingebüßt. Sie verließen den kleinen Weiler, der<lb/>
aus einigen ärmlichen Häuschen beſtand, und ſchlugen einen ſchmalen<lb/>
Waldſteig ein. Der thaufeuchte, friſche Herbſtmorgen machte Chriſtinen<lb/>
vor Kälte zittern. Friedrich ſuchte einen freien Platz im Walde und<lb/>
hatte bald aus Reiſern und dürrem Holze, das er hin und wieder<lb/>
abbrach, ein behagliches Feuer angemacht, neben welchem er das Weib<lb/>ſeines Herzens auf ſeine Knie zog und ſo ihr ein bequemes Lager<lb/>
bereitete. Das Frühſtück, ſagte er, müſſen wir uns freilich hinzudenken;<lb/>
ich hab' vor lauter Eifer und Heimweh nach dir vergeſſen, für Mund¬<lb/>
vorrath zu ſorgen. Sie verſicherte, ſie ſei nicht hungrig, und auch er<lb/>
meinte, er habe ſich in Sachſenhauſen hinlänglich herausgegeſſen um<lb/>
jetzt ein wenig faſten zu können.</p><lb/><p>Laß dich einmal beſehen, ſagte ſie aufſchauend und munter wer¬<lb/>
dend. Siehſt ja ganz proper aus, man ſollt' dich für 'n zünftigen<lb/>
Meiſter in irgend einem Handwerk halten, das ſein' goldenen Boden<lb/>
hat. Mußt die ſchönen Kleider ſchonen und nicht in Scheuern über¬<lb/>
nachten.</p><lb/><p>Das kommt anders, verſetzte er, wenn wir einmal zum Land<lb/>
draußen ſind.</p><lb/><p>Und recht mannhaft biſt worden, fuhr ſie fort. Haſt ein gut's<lb/>
Geſtell, ſo poſtirt und voll und dabei doch nicht zu breit. Dem Ge¬<lb/>ſicht freilich ſieht man an, daß Manches drüber hin gangen iſt, wie<lb/>
ein ſchwerer Pflug. Man ſollt' dich für viel älter halten als du biſt.<lb/>
Wenn ich nicht wüßt', daß du kaum über Siebenundzwanzig ſein kannſt,<lb/></p></div></body></text></TEI>
[309/0325]
28.
In der erſten Frühe weckte Friedrich Chriſtinen und las ihr das
Heu aus den Kleidern und aus den Haaren, wohin es da und dort
unter dem Kopftuche eingedrungen war. Nachdem er mit ihrer Hilfe
ſein Aeußeres gleichfalls etwas in Ordnung gebracht hatte, ermunterte
er ſie zum Fortgehen, ehe die Hausbewohner erwachten; denn, ſagte er,
wenn man den Leuten Nachts in die Scheuer einbricht, und wär's
auch nur um ein wenig Nachtruh' zu erbeuten, ſo hat man gleich den
Credit bei ihnen eingebüßt. Sie verließen den kleinen Weiler, der
aus einigen ärmlichen Häuschen beſtand, und ſchlugen einen ſchmalen
Waldſteig ein. Der thaufeuchte, friſche Herbſtmorgen machte Chriſtinen
vor Kälte zittern. Friedrich ſuchte einen freien Platz im Walde und
hatte bald aus Reiſern und dürrem Holze, das er hin und wieder
abbrach, ein behagliches Feuer angemacht, neben welchem er das Weib
ſeines Herzens auf ſeine Knie zog und ſo ihr ein bequemes Lager
bereitete. Das Frühſtück, ſagte er, müſſen wir uns freilich hinzudenken;
ich hab' vor lauter Eifer und Heimweh nach dir vergeſſen, für Mund¬
vorrath zu ſorgen. Sie verſicherte, ſie ſei nicht hungrig, und auch er
meinte, er habe ſich in Sachſenhauſen hinlänglich herausgegeſſen um
jetzt ein wenig faſten zu können.
Laß dich einmal beſehen, ſagte ſie aufſchauend und munter wer¬
dend. Siehſt ja ganz proper aus, man ſollt' dich für 'n zünftigen
Meiſter in irgend einem Handwerk halten, das ſein' goldenen Boden
hat. Mußt die ſchönen Kleider ſchonen und nicht in Scheuern über¬
nachten.
Das kommt anders, verſetzte er, wenn wir einmal zum Land
draußen ſind.
Und recht mannhaft biſt worden, fuhr ſie fort. Haſt ein gut's
Geſtell, ſo poſtirt und voll und dabei doch nicht zu breit. Dem Ge¬
ſicht freilich ſieht man an, daß Manches drüber hin gangen iſt, wie
ein ſchwerer Pflug. Man ſollt' dich für viel älter halten als du biſt.
Wenn ich nicht wüßt', daß du kaum über Siebenundzwanzig ſein kannſt,
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/325>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.