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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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ich weiß es nicht: kurz, auf einmal kracht's, bricht, und neben uns
geschieht ein mächtiger Fall. Es war ein Glück, daß er uns nicht
auf die Köpfe fiel. Ob er sich den Hals abgestürzt hat, weiß ich
heut noch nicht. Gott tröst' ihn! aber für uns war keine Zeit zu
verlieren. Der Fall hatte die Wachen oben rebellisch gemacht, man
hört zusammenschreien, und kaum sind wir einen halben Büchsenschuß
seitwärts, so brummt schon die Lärmkanone durch die finstre Nacht.
Die stand uns aber treulich bei und wir sagten lachend: Kanonirt und
trommelt ihr so viel ihr da droben wollt, Gott befohlen Hohentwiel!
Die Aussicht ist übrigens schön für den Liebhaber, besonders wenn er
sich nur ein paar Tage zu seinem Vergnügen droben aufzuhalten
braucht, wie ein Schwager des Commandanten, ein Professor, den wir
einmal die herrliche Perspective, wie er's nannte, loben hörten. Wir
hatten sie uns jedoch gleichfalls zu Nutz gemacht und wie eine Land¬
karte studirt, das Hegau mehr als den Bodensee. Das Hegau ist gar
keine üble Gegend zur Flucht, das muß man ihm lassen. Mit waldi¬
gen Köpfen oder kleinen Anhöhen, Kopf an Kopf, besät, so liegt es
um die Festung da. Sie sind uns nachher oft doch etwas höher vor¬
kommen, als man von oben meint; aber nichtsdestoweniger ein präch¬
tiges Revier für Gäste, die aus dem Luftschloß zur schönen Aussicht
abgereist sind; denn es reicht ein Wald dem andern die Hand. Dazu
hatten wir just die Zeit abgewartet, wo das Laub ausschlägt; es deckt
Einen doch besser, und der Wald sieht so traurig aus, wenn er nackt
und kahl ist. Mein Kamerad -- ja so, von dem hab' ich dir noch
gar nichts gesagt; hab' ich dir nie von dem jungen Zigeuner erzählt,
den ich einmal aus dem Zuchthaus mit nach Ebersbach gebracht hab'?

Ja, sagte sie, du hast ihn bei deinem Vater als Knecht anbringen
wollen und der hat dir dafür eine Ohrfeig' hingeschlagen.

Richtig, und der war mein Kamerad beim Ausfliegen. Ich hab'
ihn auf der Festung wieder gefunden. Der ist aber unter der Zeit
flügg worden; das ist ein ganz Ausgelernter. Wiewohl, er war schon
damals viel schlimmer, als ich ihn dafür angesehen hab'. Was meinst,
daß er zu mir gesagt hat? Es hab' ihn höllisch verdrossen, daß es mit
dem Dienstle nichts worden sei; er wär' ein paar Wochen dageblieben,
hätt' unterdessen etliche Freunde herbeigezeiselt und in einer schönen
Nacht das Ebersbacher Sonnenwirthshaus ausgeplündert.

ich weiß es nicht: kurz, auf einmal kracht's, bricht, und neben uns
geſchieht ein mächtiger Fall. Es war ein Glück, daß er uns nicht
auf die Köpfe fiel. Ob er ſich den Hals abgeſtürzt hat, weiß ich
heut noch nicht. Gott tröſt' ihn! aber für uns war keine Zeit zu
verlieren. Der Fall hatte die Wachen oben rebelliſch gemacht, man
hört zuſammenſchreien, und kaum ſind wir einen halben Büchſenſchuß
ſeitwärts, ſo brummt ſchon die Lärmkanone durch die finſtre Nacht.
Die ſtand uns aber treulich bei und wir ſagten lachend: Kanonirt und
trommelt ihr ſo viel ihr da droben wollt, Gott befohlen Hohentwiel!
Die Ausſicht iſt übrigens ſchön für den Liebhaber, beſonders wenn er
ſich nur ein paar Tage zu ſeinem Vergnügen droben aufzuhalten
braucht, wie ein Schwager des Commandanten, ein Profeſſor, den wir
einmal die herrliche Perſpective, wie er's nannte, loben hörten. Wir
hatten ſie uns jedoch gleichfalls zu Nutz gemacht und wie eine Land¬
karte ſtudirt, das Hegau mehr als den Bodenſee. Das Hegau iſt gar
keine üble Gegend zur Flucht, das muß man ihm laſſen. Mit waldi¬
gen Köpfen oder kleinen Anhöhen, Kopf an Kopf, beſät, ſo liegt es
um die Feſtung da. Sie ſind uns nachher oft doch etwas höher vor¬
kommen, als man von oben meint; aber nichtsdeſtoweniger ein präch¬
tiges Revier für Gäſte, die aus dem Luftſchloß zur ſchönen Ausſicht
abgereist ſind; denn es reicht ein Wald dem andern die Hand. Dazu
hatten wir juſt die Zeit abgewartet, wo das Laub ausſchlägt; es deckt
Einen doch beſſer, und der Wald ſieht ſo traurig aus, wenn er nackt
und kahl iſt. Mein Kamerad — ja ſo, von dem hab' ich dir noch
gar nichts geſagt; hab' ich dir nie von dem jungen Zigeuner erzählt,
den ich einmal aus dem Zuchthaus mit nach Ebersbach gebracht hab'?

Ja, ſagte ſie, du haſt ihn bei deinem Vater als Knecht anbringen
wollen und der hat dir dafür eine Ohrfeig' hingeſchlagen.

Richtig, und der war mein Kamerad beim Ausfliegen. Ich hab'
ihn auf der Feſtung wieder gefunden. Der iſt aber unter der Zeit
flügg worden; das iſt ein ganz Ausgelernter. Wiewohl, er war ſchon
damals viel ſchlimmer, als ich ihn dafür angeſehen hab'. Was meinſt,
daß er zu mir geſagt hat? Es hab' ihn hölliſch verdroſſen, daß es mit
dem Dienſtle nichts worden ſei; er wär' ein paar Wochen dageblieben,
hätt' unterdeſſen etliche Freunde herbeigezeiſelt und in einer ſchönen
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[304/0320] ich weiß es nicht: kurz, auf einmal kracht's, bricht, und neben uns geſchieht ein mächtiger Fall. Es war ein Glück, daß er uns nicht auf die Köpfe fiel. Ob er ſich den Hals abgeſtürzt hat, weiß ich heut noch nicht. Gott tröſt' ihn! aber für uns war keine Zeit zu verlieren. Der Fall hatte die Wachen oben rebelliſch gemacht, man hört zuſammenſchreien, und kaum ſind wir einen halben Büchſenſchuß ſeitwärts, ſo brummt ſchon die Lärmkanone durch die finſtre Nacht. Die ſtand uns aber treulich bei und wir ſagten lachend: Kanonirt und trommelt ihr ſo viel ihr da droben wollt, Gott befohlen Hohentwiel! Die Ausſicht iſt übrigens ſchön für den Liebhaber, beſonders wenn er ſich nur ein paar Tage zu ſeinem Vergnügen droben aufzuhalten braucht, wie ein Schwager des Commandanten, ein Profeſſor, den wir einmal die herrliche Perſpective, wie er's nannte, loben hörten. Wir hatten ſie uns jedoch gleichfalls zu Nutz gemacht und wie eine Land¬ karte ſtudirt, das Hegau mehr als den Bodenſee. Das Hegau iſt gar keine üble Gegend zur Flucht, das muß man ihm laſſen. Mit waldi¬ gen Köpfen oder kleinen Anhöhen, Kopf an Kopf, beſät, ſo liegt es um die Feſtung da. Sie ſind uns nachher oft doch etwas höher vor¬ kommen, als man von oben meint; aber nichtsdeſtoweniger ein präch¬ tiges Revier für Gäſte, die aus dem Luftſchloß zur ſchönen Ausſicht abgereist ſind; denn es reicht ein Wald dem andern die Hand. Dazu hatten wir juſt die Zeit abgewartet, wo das Laub ausſchlägt; es deckt Einen doch beſſer, und der Wald ſieht ſo traurig aus, wenn er nackt und kahl iſt. Mein Kamerad — ja ſo, von dem hab' ich dir noch gar nichts geſagt; hab' ich dir nie von dem jungen Zigeuner erzählt, den ich einmal aus dem Zuchthaus mit nach Ebersbach gebracht hab'? Ja, ſagte ſie, du haſt ihn bei deinem Vater als Knecht anbringen wollen und der hat dir dafür eine Ohrfeig' hingeſchlagen. Richtig, und der war mein Kamerad beim Ausfliegen. Ich hab' ihn auf der Feſtung wieder gefunden. Der iſt aber unter der Zeit flügg worden; das iſt ein ganz Ausgelernter. Wiewohl, er war ſchon damals viel ſchlimmer, als ich ihn dafür angeſehen hab'. Was meinſt, daß er zu mir geſagt hat? Es hab' ihn hölliſch verdroſſen, daß es mit dem Dienſtle nichts worden ſei; er wär' ein paar Wochen dageblieben, hätt' unterdeſſen etliche Freunde herbeigezeiſelt und in einer ſchönen Nacht das Ebersbacher Sonnenwirthshaus ausgeplündert.

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/320>, abgerufen am 22.11.2024.