hinkommt, schickt er die Obrigkeit, murrte der Gefangene halblaut, während er abgeführt wurde. -- Wird gleichfalls zu Protokoll genom¬ men! rief ihm der Amtmann nach.
Das auf Grund der Acten von dem Vogt zu Göppingen einge¬ leitete Verfahren war bald abgethan und endigte damit, daß eine ein¬ geholte hochfürstliche Resolution dem jugendlichen Uebertreter der Ge¬ setze wegen seiner verschiedenen Verbrechen -- puncto diversorum criminum, hieß es in der amtlichen Anzeige -- eine anderthalbjährige Zuchthausstrafe gnädigst zuerkannte, wobei er allerdings die Wahl hatte, ob er sich unter dem Centnergewicht der Anschuldigungen für die gnädige Strafe bedanken oder in dieser eine Verurtheilung der Anklage erblicken wollte. Zugleich mit ihm wurde der ältere Bruder Christinens nach dem Zuchthause gebracht, bei welchem der halberwiesene Verdacht des Bienendiebstahls und der unerwiesene Verdacht der Theil¬ nahme an dem Fruchtdiebstahl zu einer Strafe von einigen Wochen hingereicht hatte. Die Bewohnerschaft des Zuchthauses aber bestand nach den gleichzeitigen öffentlichen Bekanntmachungen theils in "frei¬ willigen Armen" ohne Strafe, theils in Züchtlingen und Sträflingen, und die Gesellschaft der beiden letzten Ordnungen bildeten Räuber, Diebe, so viel ihrer nicht gehenkt oder gerädert waren, Falschmünzer, Fälscher, Betrüger, Asoten, Verschwender, Vaganten, Heiligenstürmer, verunglückte Selbstmörder, Ehebrecher, Mädchen, die sich zum dritten¬ mal vergangen, Calumnianten, Einer "wegen übler Aufführung und irrespectuosen Bezeigens gegen Ober- und Unterbeamte", Einer "wegen enorm ruchloser und sündlicher Reden", Einer "wegen Soldatendebau¬ chirens", einer "puncto lasciviae", eine Magd wegen feuergefähr¬ licher Verwahrlosung des Lichts, und endlich Mehrere "wegen verschie¬ dener Vergehen".
Auf dem Wege nach Ludwigsburg benutzte Friedrich einen Augen¬ blick, wo der bewaffnete Begleiter, ein armer Bürger von Göppingen, der einen Fluchtversuch der beiden rüstigen jungen Bursche zu ver¬ hindern unfähig gewesen wäre, ein wenig dahinten blieb. Häng' kein so dumm's Maul 'runter, sagte er zu seinem Unglücksgefährten: was kann denn ich dafür, daß dich die Immen hintendrein gestochen haben? Immenvater bist ja doch gewesen, das kannst nicht leugnen. Und be¬ denk' auch, Schwager, daß die Deinigen dich leichter ein paar
hinkommt, ſchickt er die Obrigkeit, murrte der Gefangene halblaut, während er abgeführt wurde. — Wird gleichfalls zu Protokoll genom¬ men! rief ihm der Amtmann nach.
Das auf Grund der Acten von dem Vogt zu Göppingen einge¬ leitete Verfahren war bald abgethan und endigte damit, daß eine ein¬ geholte hochfürſtliche Reſolution dem jugendlichen Uebertreter der Ge¬ ſetze wegen ſeiner verſchiedenen Verbrechen — puncto diversorum criminum, hieß es in der amtlichen Anzeige — eine anderthalbjährige Zuchthausſtrafe gnädigſt zuerkannte, wobei er allerdings die Wahl hatte, ob er ſich unter dem Centnergewicht der Anſchuldigungen für die gnädige Strafe bedanken oder in dieſer eine Verurtheilung der Anklage erblicken wollte. Zugleich mit ihm wurde der ältere Bruder Chriſtinens nach dem Zuchthauſe gebracht, bei welchem der halberwieſene Verdacht des Bienendiebſtahls und der unerwieſene Verdacht der Theil¬ nahme an dem Fruchtdiebſtahl zu einer Strafe von einigen Wochen hingereicht hatte. Die Bewohnerſchaft des Zuchthauſes aber beſtand nach den gleichzeitigen öffentlichen Bekanntmachungen theils in „frei¬ willigen Armen“ ohne Strafe, theils in Züchtlingen und Sträflingen, und die Geſellſchaft der beiden letzten Ordnungen bildeten Räuber, Diebe, ſo viel ihrer nicht gehenkt oder gerädert waren, Falſchmünzer, Fälſcher, Betrüger, Aſoten, Verſchwender, Vaganten, Heiligenſtürmer, verunglückte Selbſtmörder, Ehebrecher, Mädchen, die ſich zum dritten¬ mal vergangen, Calumnianten, Einer „wegen übler Aufführung und irreſpectuoſen Bezeigens gegen Ober- und Unterbeamte“, Einer „wegen enorm ruchloſer und ſündlicher Reden“, Einer „wegen Soldatendebau¬ chirens“, einer „puncto lasciviae“, eine Magd wegen feuergefähr¬ licher Verwahrloſung des Lichts, und endlich Mehrere „wegen verſchie¬ dener Vergehen“.
Auf dem Wege nach Ludwigsburg benutzte Friedrich einen Augen¬ blick, wo der bewaffnete Begleiter, ein armer Bürger von Göppingen, der einen Fluchtverſuch der beiden rüſtigen jungen Burſche zu ver¬ hindern unfähig geweſen wäre, ein wenig dahinten blieb. Häng' kein ſo dumm's Maul 'runter, ſagte er zu ſeinem Unglücksgefährten: was kann denn ich dafür, daß dich die Immen hintendrein geſtochen haben? Immenvater biſt ja doch geweſen, das kannſt nicht leugnen. Und be¬ denk' auch, Schwager, daß die Deinigen dich leichter ein paar
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0300"n="284"/>
hinkommt, ſchickt er die Obrigkeit, murrte der Gefangene halblaut,<lb/>
während er abgeführt wurde. — Wird gleichfalls zu Protokoll genom¬<lb/>
men! rief ihm der Amtmann nach.</p><lb/><p>Das auf Grund der Acten von dem Vogt zu Göppingen einge¬<lb/>
leitete Verfahren war bald abgethan und endigte damit, daß eine ein¬<lb/>
geholte hochfürſtliche Reſolution dem jugendlichen Uebertreter der Ge¬<lb/>ſetze wegen ſeiner verſchiedenen Verbrechen —<hirendition="#aq">puncto diversorum<lb/>
criminum</hi>, hieß es in der amtlichen Anzeige — eine anderthalbjährige<lb/>
Zuchthausſtrafe gnädigſt zuerkannte, wobei er allerdings die Wahl<lb/>
hatte, ob er ſich unter dem Centnergewicht der Anſchuldigungen für<lb/>
die gnädige Strafe bedanken oder in dieſer eine Verurtheilung der<lb/>
Anklage erblicken wollte. Zugleich mit ihm wurde der ältere Bruder<lb/>
Chriſtinens nach dem Zuchthauſe gebracht, bei welchem der halberwieſene<lb/>
Verdacht des Bienendiebſtahls und der unerwieſene Verdacht der Theil¬<lb/>
nahme an dem Fruchtdiebſtahl zu einer Strafe von einigen Wochen<lb/>
hingereicht hatte. Die Bewohnerſchaft des Zuchthauſes aber beſtand<lb/>
nach den gleichzeitigen öffentlichen Bekanntmachungen theils in „frei¬<lb/>
willigen Armen“ ohne Strafe, theils in Züchtlingen und Sträflingen,<lb/>
und die Geſellſchaft der beiden letzten Ordnungen bildeten Räuber,<lb/>
Diebe, ſo viel ihrer nicht gehenkt oder gerädert waren, Falſchmünzer,<lb/>
Fälſcher, Betrüger, Aſoten, Verſchwender, Vaganten, Heiligenſtürmer,<lb/>
verunglückte Selbſtmörder, Ehebrecher, Mädchen, die ſich zum dritten¬<lb/>
mal vergangen, Calumnianten, Einer „wegen übler Aufführung und<lb/>
irreſpectuoſen Bezeigens gegen Ober- und Unterbeamte“, Einer „wegen<lb/>
enorm ruchloſer und ſündlicher Reden“, Einer „wegen Soldatendebau¬<lb/>
chirens“, einer „<hirendition="#aq">puncto lasciviae</hi>“, eine Magd wegen feuergefähr¬<lb/>
licher Verwahrloſung des Lichts, und endlich Mehrere „wegen verſchie¬<lb/>
dener Vergehen“.</p><lb/><p>Auf dem Wege nach Ludwigsburg benutzte Friedrich einen Augen¬<lb/>
blick, wo der bewaffnete Begleiter, ein armer Bürger von Göppingen,<lb/>
der einen Fluchtverſuch der beiden rüſtigen jungen Burſche zu ver¬<lb/>
hindern unfähig geweſen wäre, ein wenig dahinten blieb. Häng' kein<lb/>ſo dumm's Maul 'runter, ſagte er zu ſeinem Unglücksgefährten: was<lb/>
kann denn ich dafür, daß dich die Immen hintendrein geſtochen haben?<lb/>
Immenvater biſt ja doch geweſen, das kannſt nicht leugnen. Und be¬<lb/>
denk' auch, Schwager, daß die Deinigen dich leichter ein paar<lb/></p></div></body></text></TEI>
[284/0300]
hinkommt, ſchickt er die Obrigkeit, murrte der Gefangene halblaut,
während er abgeführt wurde. — Wird gleichfalls zu Protokoll genom¬
men! rief ihm der Amtmann nach.
Das auf Grund der Acten von dem Vogt zu Göppingen einge¬
leitete Verfahren war bald abgethan und endigte damit, daß eine ein¬
geholte hochfürſtliche Reſolution dem jugendlichen Uebertreter der Ge¬
ſetze wegen ſeiner verſchiedenen Verbrechen — puncto diversorum
criminum, hieß es in der amtlichen Anzeige — eine anderthalbjährige
Zuchthausſtrafe gnädigſt zuerkannte, wobei er allerdings die Wahl
hatte, ob er ſich unter dem Centnergewicht der Anſchuldigungen für
die gnädige Strafe bedanken oder in dieſer eine Verurtheilung der
Anklage erblicken wollte. Zugleich mit ihm wurde der ältere Bruder
Chriſtinens nach dem Zuchthauſe gebracht, bei welchem der halberwieſene
Verdacht des Bienendiebſtahls und der unerwieſene Verdacht der Theil¬
nahme an dem Fruchtdiebſtahl zu einer Strafe von einigen Wochen
hingereicht hatte. Die Bewohnerſchaft des Zuchthauſes aber beſtand
nach den gleichzeitigen öffentlichen Bekanntmachungen theils in „frei¬
willigen Armen“ ohne Strafe, theils in Züchtlingen und Sträflingen,
und die Geſellſchaft der beiden letzten Ordnungen bildeten Räuber,
Diebe, ſo viel ihrer nicht gehenkt oder gerädert waren, Falſchmünzer,
Fälſcher, Betrüger, Aſoten, Verſchwender, Vaganten, Heiligenſtürmer,
verunglückte Selbſtmörder, Ehebrecher, Mädchen, die ſich zum dritten¬
mal vergangen, Calumnianten, Einer „wegen übler Aufführung und
irreſpectuoſen Bezeigens gegen Ober- und Unterbeamte“, Einer „wegen
enorm ruchloſer und ſündlicher Reden“, Einer „wegen Soldatendebau¬
chirens“, einer „puncto lasciviae“, eine Magd wegen feuergefähr¬
licher Verwahrloſung des Lichts, und endlich Mehrere „wegen verſchie¬
dener Vergehen“.
Auf dem Wege nach Ludwigsburg benutzte Friedrich einen Augen¬
blick, wo der bewaffnete Begleiter, ein armer Bürger von Göppingen,
der einen Fluchtverſuch der beiden rüſtigen jungen Burſche zu ver¬
hindern unfähig geweſen wäre, ein wenig dahinten blieb. Häng' kein
ſo dumm's Maul 'runter, ſagte er zu ſeinem Unglücksgefährten: was
kann denn ich dafür, daß dich die Immen hintendrein geſtochen haben?
Immenvater biſt ja doch geweſen, das kannſt nicht leugnen. Und be¬
denk' auch, Schwager, daß die Deinigen dich leichter ein paar
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 284. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/300>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.