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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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in wahrer Verzweiflung Ich glaub' ja Alles auf's Wort, wie mir's
der Herr Amtmann sagt.

Dieser aber, dem mit solcher Bereitwilligkeit im vorliegenden Falle
nicht sehr gedient sein mochte, zog ein Buch heraus und blätterte
schnell darin. Bestie! fluchte er halblaut, da er das Gewünschte nicht
fand, stieß das Buch wieder hinein, riß ein dickeres heraus, schlug es
auf, zeigte mit dem Finger auf die Stelle und sagte beruhigt: Da
steht's, da kann Er selber sehen! Stellio, eine Art Eidexe, welches
ein sehr listiges und ränkevolles Thier, daher stellionatus, das Ver¬
brechen, wo einer ränkevoll handelt, sonderlich mit Schleichereien in Geld¬
sachen, und das Verbrechen doch keinen Namen hat, daher extra ordinem
und secundum arbitrium zu bestrafen ist. Da übrigens Inquisit
geständig ist, wandte er sich an den bange harrenden Vetter, und da
Er mehr eine Art Gerechtmacherei als einen eigentlichen Vortheil be¬
zweckt hat, so will ich nicht den strengsten Maßstab anlegen, sondern
die Sache für diesesmal hingehen lassen! Merk' Er sich's aber für die
Zukunft, damit Er gewitzigt ist.

Der Amtmann, dem eine stille Ahnung sagen mochte, daß er mit
seiner Gesetzesanwendung denn doch bei den eigentlichen Juristen durch¬
fallen könnte, protokollirte nun ein Langes und Breites, ließ dann
den von Hattenhofen unterschreiben und schickte ihn fort. Da dieser aus
Respect das Thürschloß nicht in die Klinke fallen zu lassen wagte,
so hörte man, wie er draußen im Weggehen leise vor sich hinpfiff.
Denn dies ist die Art des Landbewohners: wenn er zu einer Ver¬
handlung mit Herren oder sonst zu einem wichtigen Handel kommt, so
räuspert er sich, als ob er einen Stein vom Herzen weghusten müßte,
und wenn er fortgeht, so pfeift oder summt er bald mehr bald minder
zufrieden, entweder weil es nach seinem oft sehr schlauen Kopfe ge¬
gangen ist oder weil er denkt, es habe doch wenigstens den Kopf nicht
gekostet und hätte ja noch schlimmer gehen können als es gegangen sei.

Wir kommen nun auf das vorige Chapitre zurück, begann der
Amtmann wieder. Er ist also geständig, außer dem hier verhandelten,
bei Seinem Vater einen Diebstahl, den Er auf zweiundzwanzig Gulden
anschlägt, begangen zu haben?

Herr Amtmann, sagte der Gefangene, ich kann mir's nicht gefallen
lassen, daß man das einen Diebstahl heißt. Ich bin in meinem Ei¬

in wahrer Verzweiflung Ich glaub' ja Alles auf's Wort, wie mir's
der Herr Amtmann ſagt.

Dieſer aber, dem mit ſolcher Bereitwilligkeit im vorliegenden Falle
nicht ſehr gedient ſein mochte, zog ein Buch heraus und blätterte
ſchnell darin. Beſtie! fluchte er halblaut, da er das Gewünſchte nicht
fand, ſtieß das Buch wieder hinein, riß ein dickeres heraus, ſchlug es
auf, zeigte mit dem Finger auf die Stelle und ſagte beruhigt: Da
ſteht's, da kann Er ſelber ſehen! Stellio, eine Art Eidexe, welches
ein ſehr liſtiges und ränkevolles Thier, daher stellionatus, das Ver¬
brechen, wo einer ränkevoll handelt, ſonderlich mit Schleichereien in Geld¬
ſachen, und das Verbrechen doch keinen Namen hat, daher extra ordinem
und secundum arbitrium zu beſtrafen iſt. Da übrigens Inquiſit
geſtändig iſt, wandte er ſich an den bange harrenden Vetter, und da
Er mehr eine Art Gerechtmacherei als einen eigentlichen Vortheil be¬
zweckt hat, ſo will ich nicht den ſtrengſten Maßſtab anlegen, ſondern
die Sache für dieſesmal hingehen laſſen! Merk' Er ſich's aber für die
Zukunft, damit Er gewitzigt iſt.

Der Amtmann, dem eine ſtille Ahnung ſagen mochte, daß er mit
ſeiner Geſetzesanwendung denn doch bei den eigentlichen Juriſten durch¬
fallen könnte, protokollirte nun ein Langes und Breites, ließ dann
den von Hattenhofen unterſchreiben und ſchickte ihn fort. Da dieſer aus
Reſpect das Thürſchloß nicht in die Klinke fallen zu laſſen wagte,
ſo hörte man, wie er draußen im Weggehen leiſe vor ſich hinpfiff.
Denn dies iſt die Art des Landbewohners: wenn er zu einer Ver¬
handlung mit Herren oder ſonſt zu einem wichtigen Handel kommt, ſo
räuspert er ſich, als ob er einen Stein vom Herzen weghuſten müßte,
und wenn er fortgeht, ſo pfeift oder ſummt er bald mehr bald minder
zufrieden, entweder weil es nach ſeinem oft ſehr ſchlauen Kopfe ge¬
gangen iſt oder weil er denkt, es habe doch wenigſtens den Kopf nicht
gekoſtet und hätte ja noch ſchlimmer gehen können als es gegangen ſei.

Wir kommen nun auf das vorige Chapitre zurück, begann der
Amtmann wieder. Er iſt alſo geſtändig, außer dem hier verhandelten,
bei Seinem Vater einen Diebſtahl, den Er auf zweiundzwanzig Gulden
anſchlägt, begangen zu haben?

Herr Amtmann, ſagte der Gefangene, ich kann mir's nicht gefallen
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[280/0296] in wahrer Verzweiflung Ich glaub' ja Alles auf's Wort, wie mir's der Herr Amtmann ſagt. Dieſer aber, dem mit ſolcher Bereitwilligkeit im vorliegenden Falle nicht ſehr gedient ſein mochte, zog ein Buch heraus und blätterte ſchnell darin. Beſtie! fluchte er halblaut, da er das Gewünſchte nicht fand, ſtieß das Buch wieder hinein, riß ein dickeres heraus, ſchlug es auf, zeigte mit dem Finger auf die Stelle und ſagte beruhigt: Da ſteht's, da kann Er ſelber ſehen! Stellio, eine Art Eidexe, welches ein ſehr liſtiges und ränkevolles Thier, daher stellionatus, das Ver¬ brechen, wo einer ränkevoll handelt, ſonderlich mit Schleichereien in Geld¬ ſachen, und das Verbrechen doch keinen Namen hat, daher extra ordinem und secundum arbitrium zu beſtrafen iſt. Da übrigens Inquiſit geſtändig iſt, wandte er ſich an den bange harrenden Vetter, und da Er mehr eine Art Gerechtmacherei als einen eigentlichen Vortheil be¬ zweckt hat, ſo will ich nicht den ſtrengſten Maßſtab anlegen, ſondern die Sache für dieſesmal hingehen laſſen! Merk' Er ſich's aber für die Zukunft, damit Er gewitzigt iſt. Der Amtmann, dem eine ſtille Ahnung ſagen mochte, daß er mit ſeiner Geſetzesanwendung denn doch bei den eigentlichen Juriſten durch¬ fallen könnte, protokollirte nun ein Langes und Breites, ließ dann den von Hattenhofen unterſchreiben und ſchickte ihn fort. Da dieſer aus Reſpect das Thürſchloß nicht in die Klinke fallen zu laſſen wagte, ſo hörte man, wie er draußen im Weggehen leiſe vor ſich hinpfiff. Denn dies iſt die Art des Landbewohners: wenn er zu einer Ver¬ handlung mit Herren oder ſonſt zu einem wichtigen Handel kommt, ſo räuspert er ſich, als ob er einen Stein vom Herzen weghuſten müßte, und wenn er fortgeht, ſo pfeift oder ſummt er bald mehr bald minder zufrieden, entweder weil es nach ſeinem oft ſehr ſchlauen Kopfe ge¬ gangen iſt oder weil er denkt, es habe doch wenigſtens den Kopf nicht gekoſtet und hätte ja noch ſchlimmer gehen können als es gegangen ſei. Wir kommen nun auf das vorige Chapitre zurück, begann der Amtmann wieder. Er iſt alſo geſtändig, außer dem hier verhandelten, bei Seinem Vater einen Diebſtahl, den Er auf zweiundzwanzig Gulden anſchlägt, begangen zu haben? Herr Amtmann, ſagte der Gefangene, ich kann mir's nicht gefallen laſſen, daß man das einen Diebſtahl heißt. Ich bin in meinem Ei¬

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 280. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/296>, abgerufen am 25.11.2024.