Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

der Amtmann, und ehe der zuversichtliche Bursche sich's versah, befand
er sich unter der Gewalt von mehr als zehn Fäusten. Er wehrte sich
wie ein Eber, schimpfte, tobte, schlug um sich, aber zuletzt erlag er der
Uebermacht und wurde zu Boden geschlagen. In diesem Kampfe, der
lange dauerte, und an welchem seine Widersacher sich wetteifernd be¬
theiligten, erhielt er jeden bösen Gruß, den er in Worten oder Werken
unter seinen Mitbürgern ausgetheilt hatte, mit Wucherzinsen heimbe¬
zahlt. Zuletzt banden sie ihn mit Stricken, so daß er ganz zusammen¬
gerollt am Boden lag und ihnen zu den vielen Thierbildern, die sie
heute schon an ihm erschöpft hatten, auch noch die Vergleichung mit
dem verachteten Igel auf die Zunge legte. -- Etwas hat ihm ge¬
hört, sagte der gleichfalls anwesende Heiligenpfleger, der sich als Zahl¬
meister auf volle Summen verstand: jetzt wär's aber gnug. -- Kuh!
Narr! jetzt geht's erst recht an, erwiderte der Richter lachend seinem
Collegen, den er, im Range etwas höher stehend, dieser vertraulichen
Anrede würdigte. -- Fort mit ihm auf's Rathhaus! rief der Amt¬
mann. -- Der Gebundene wurde aufgehoben und fortgetragen. Ein
Theil der Menge folgte. Andere blieben zurück und redeten noch lange
mit einander über die Begebenheit, welche die alltägliche Ruhe des
Fleckens völlig unterbrochen hatte.

Das ist aber ein Mensch, Kreuzwirth! sagte eine der auswärtigen
Frauen von der Brautgesellschaft, die sich jetzt dem Schauplatze näher
wagte, zu einem dort stehenden leibarmen Manne mit kleiner spitzer
Nase, den wir aus der Unterredung der beiden Müller bei ihrem
Friedenstrunke als den geschlagenen Ursächer von Friedrich's zweiter
Zuchthausstrafe kennen. Das ist ein Mensch, sag' ich! Hat der sei¬
nem Vater eine Predigt gehalten und hat ihm die Bibel ausgelegt,
wie wenn er der Pfarrer wär'! Es ist mir ganz kalt aufgangen und
ich hab' mich ganz drüber vernommen. Und kaum ist die Predigt aus
gewesen, so hat man gesehen, wer ihn regiert: der Teufel, der Mörder
von Anbeginn!

Ja, ja, Adlerwirthin, antwortete der Angeredete mit näselnder
Stimme, das hat man damals auch gesehen, wie er mich auf seines
Vaters Anstiften, recht wie ein Erzspitzbub' und Mörder, auf dem
freien Feld ohne eine einzige Ursach' angefallen hat und so behandelt,
daß ich außer Stand bin, Lebenslang einen Batzen zu verdienen.

der Amtmann, und ehe der zuverſichtliche Burſche ſich's verſah, befand
er ſich unter der Gewalt von mehr als zehn Fäuſten. Er wehrte ſich
wie ein Eber, ſchimpfte, tobte, ſchlug um ſich, aber zuletzt erlag er der
Uebermacht und wurde zu Boden geſchlagen. In dieſem Kampfe, der
lange dauerte, und an welchem ſeine Widerſacher ſich wetteifernd be¬
theiligten, erhielt er jeden böſen Gruß, den er in Worten oder Werken
unter ſeinen Mitbürgern ausgetheilt hatte, mit Wucherzinſen heimbe¬
zahlt. Zuletzt banden ſie ihn mit Stricken, ſo daß er ganz zuſammen¬
gerollt am Boden lag und ihnen zu den vielen Thierbildern, die ſie
heute ſchon an ihm erſchöpft hatten, auch noch die Vergleichung mit
dem verachteten Igel auf die Zunge legte. — Etwas hat ihm ge¬
hört, ſagte der gleichfalls anweſende Heiligenpfleger, der ſich als Zahl¬
meiſter auf volle Summen verſtand: jetzt wär's aber gnug. — Kuh!
Narr! jetzt geht's erſt recht an, erwiderte der Richter lachend ſeinem
Collegen, den er, im Range etwas höher ſtehend, dieſer vertraulichen
Anrede würdigte. — Fort mit ihm auf's Rathhaus! rief der Amt¬
mann. — Der Gebundene wurde aufgehoben und fortgetragen. Ein
Theil der Menge folgte. Andere blieben zurück und redeten noch lange
mit einander über die Begebenheit, welche die alltägliche Ruhe des
Fleckens völlig unterbrochen hatte.

Das iſt aber ein Menſch, Kreuzwirth! ſagte eine der auswärtigen
Frauen von der Brautgeſellſchaft, die ſich jetzt dem Schauplatze näher
wagte, zu einem dort ſtehenden leibarmen Manne mit kleiner ſpitzer
Naſe, den wir aus der Unterredung der beiden Müller bei ihrem
Friedenstrunke als den geſchlagenen Urſächer von Friedrich's zweiter
Zuchthausſtrafe kennen. Das iſt ein Menſch, ſag' ich! Hat der ſei¬
nem Vater eine Predigt gehalten und hat ihm die Bibel ausgelegt,
wie wenn er der Pfarrer wär'! Es iſt mir ganz kalt aufgangen und
ich hab' mich ganz drüber vernommen. Und kaum iſt die Predigt aus
geweſen, ſo hat man geſehen, wer ihn regiert: der Teufel, der Mörder
von Anbeginn!

Ja, ja, Adlerwirthin, antwortete der Angeredete mit näſelnder
Stimme, das hat man damals auch geſehen, wie er mich auf ſeines
Vaters Anſtiften, recht wie ein Erzſpitzbub' und Mörder, auf dem
freien Feld ohne eine einzige Urſach' angefallen hat und ſo behandelt,
daß ich außer Stand bin, Lebenslang einen Batzen zu verdienen.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0279" n="263"/>
der Amtmann, und ehe der zuver&#x017F;ichtliche Bur&#x017F;che &#x017F;ich's ver&#x017F;ah, befand<lb/>
er &#x017F;ich unter der Gewalt von mehr als zehn Fäu&#x017F;ten. Er wehrte &#x017F;ich<lb/>
wie ein Eber, &#x017F;chimpfte, tobte, &#x017F;chlug um &#x017F;ich, aber zuletzt erlag er der<lb/>
Uebermacht und wurde zu Boden ge&#x017F;chlagen. In die&#x017F;em Kampfe, der<lb/>
lange dauerte, und an welchem &#x017F;eine Wider&#x017F;acher &#x017F;ich wetteifernd be¬<lb/>
theiligten, erhielt er jeden bö&#x017F;en Gruß, den er in Worten oder Werken<lb/>
unter &#x017F;einen Mitbürgern ausgetheilt hatte, mit Wucherzin&#x017F;en heimbe¬<lb/>
zahlt. Zuletzt banden &#x017F;ie ihn mit Stricken, &#x017F;o daß er ganz zu&#x017F;ammen¬<lb/>
gerollt am Boden lag und ihnen zu den vielen Thierbildern, die &#x017F;ie<lb/>
heute &#x017F;chon an ihm er&#x017F;chöpft hatten, auch noch die Vergleichung mit<lb/>
dem verachteten Igel auf die Zunge legte. &#x2014; <hi rendition="#g">Etwas</hi> hat ihm ge¬<lb/>
hört, &#x017F;agte der gleichfalls anwe&#x017F;ende Heiligenpfleger, der &#x017F;ich als Zahl¬<lb/>
mei&#x017F;ter auf volle Summen ver&#x017F;tand: jetzt wär's aber gnug. &#x2014; Kuh!<lb/>
Narr! jetzt geht's er&#x017F;t recht an, erwiderte der Richter lachend &#x017F;einem<lb/>
Collegen, den er, im Range etwas höher &#x017F;tehend, die&#x017F;er vertraulichen<lb/>
Anrede würdigte. &#x2014; Fort mit ihm auf's Rathhaus! rief der Amt¬<lb/>
mann. &#x2014; Der Gebundene wurde aufgehoben und fortgetragen. Ein<lb/>
Theil der Menge folgte. Andere blieben zurück und redeten noch lange<lb/>
mit einander über die Begebenheit, welche die alltägliche Ruhe des<lb/>
Fleckens völlig unterbrochen hatte.</p><lb/>
        <p>Das i&#x017F;t aber ein Men&#x017F;ch, Kreuzwirth! &#x017F;agte eine der auswärtigen<lb/>
Frauen von der Brautge&#x017F;ell&#x017F;chaft, die &#x017F;ich jetzt dem Schauplatze näher<lb/>
wagte, zu einem dort &#x017F;tehenden leibarmen Manne mit kleiner &#x017F;pitzer<lb/>
Na&#x017F;e, den wir aus der Unterredung der beiden Müller bei ihrem<lb/>
Friedenstrunke als den ge&#x017F;chlagenen Ur&#x017F;ächer von Friedrich's zweiter<lb/>
Zuchthaus&#x017F;trafe kennen. Das i&#x017F;t ein Men&#x017F;ch, &#x017F;ag' ich! Hat <hi rendition="#g">der</hi> &#x017F;ei¬<lb/>
nem Vater eine Predigt gehalten und hat ihm die Bibel ausgelegt,<lb/>
wie wenn <hi rendition="#g">er</hi> der Pfarrer wär'! Es i&#x017F;t mir ganz kalt aufgangen und<lb/>
ich hab' mich ganz drüber vernommen. Und kaum i&#x017F;t die Predigt aus<lb/>
gewe&#x017F;en, &#x017F;o hat man ge&#x017F;ehen, wer <hi rendition="#g">ihn</hi> regiert: der Teufel, der Mörder<lb/>
von Anbeginn!</p><lb/>
        <p>Ja, ja, Adlerwirthin, antwortete der Angeredete mit nä&#x017F;elnder<lb/>
Stimme, das hat man damals auch ge&#x017F;ehen, wie er mich auf &#x017F;eines<lb/>
Vaters An&#x017F;tiften, recht wie ein Erz&#x017F;pitzbub' und Mörder, auf dem<lb/>
freien Feld ohne eine einzige Ur&#x017F;ach' angefallen hat und &#x017F;o behandelt,<lb/>
daß ich außer Stand bin, Lebenslang einen Batzen zu verdienen.<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[263/0279] der Amtmann, und ehe der zuverſichtliche Burſche ſich's verſah, befand er ſich unter der Gewalt von mehr als zehn Fäuſten. Er wehrte ſich wie ein Eber, ſchimpfte, tobte, ſchlug um ſich, aber zuletzt erlag er der Uebermacht und wurde zu Boden geſchlagen. In dieſem Kampfe, der lange dauerte, und an welchem ſeine Widerſacher ſich wetteifernd be¬ theiligten, erhielt er jeden böſen Gruß, den er in Worten oder Werken unter ſeinen Mitbürgern ausgetheilt hatte, mit Wucherzinſen heimbe¬ zahlt. Zuletzt banden ſie ihn mit Stricken, ſo daß er ganz zuſammen¬ gerollt am Boden lag und ihnen zu den vielen Thierbildern, die ſie heute ſchon an ihm erſchöpft hatten, auch noch die Vergleichung mit dem verachteten Igel auf die Zunge legte. — Etwas hat ihm ge¬ hört, ſagte der gleichfalls anweſende Heiligenpfleger, der ſich als Zahl¬ meiſter auf volle Summen verſtand: jetzt wär's aber gnug. — Kuh! Narr! jetzt geht's erſt recht an, erwiderte der Richter lachend ſeinem Collegen, den er, im Range etwas höher ſtehend, dieſer vertraulichen Anrede würdigte. — Fort mit ihm auf's Rathhaus! rief der Amt¬ mann. — Der Gebundene wurde aufgehoben und fortgetragen. Ein Theil der Menge folgte. Andere blieben zurück und redeten noch lange mit einander über die Begebenheit, welche die alltägliche Ruhe des Fleckens völlig unterbrochen hatte. Das iſt aber ein Menſch, Kreuzwirth! ſagte eine der auswärtigen Frauen von der Brautgeſellſchaft, die ſich jetzt dem Schauplatze näher wagte, zu einem dort ſtehenden leibarmen Manne mit kleiner ſpitzer Naſe, den wir aus der Unterredung der beiden Müller bei ihrem Friedenstrunke als den geſchlagenen Urſächer von Friedrich's zweiter Zuchthausſtrafe kennen. Das iſt ein Menſch, ſag' ich! Hat der ſei¬ nem Vater eine Predigt gehalten und hat ihm die Bibel ausgelegt, wie wenn er der Pfarrer wär'! Es iſt mir ganz kalt aufgangen und ich hab' mich ganz drüber vernommen. Und kaum iſt die Predigt aus geweſen, ſo hat man geſehen, wer ihn regiert: der Teufel, der Mörder von Anbeginn! Ja, ja, Adlerwirthin, antwortete der Angeredete mit näſelnder Stimme, das hat man damals auch geſehen, wie er mich auf ſeines Vaters Anſtiften, recht wie ein Erzſpitzbub' und Mörder, auf dem freien Feld ohne eine einzige Urſach' angefallen hat und ſo behandelt, daß ich außer Stand bin, Lebenslang einen Batzen zu verdienen.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/279
Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/279>, abgerufen am 22.11.2024.