Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

einen Schrei des Entsetzens hervor, welchem ein schallendes Gelächter
folgte. Grad' wie ein Aff' auf einem Kameel! schrieen sie.

Schwager, geh' Er herunter! rief der Chirurg.

Wenn mir der Herr Schwager sicheres Geleit' verspricht! ant¬
wortete Friedrich: sonst thut sich's ganz wohl da oben!

Ich gebe Ihm mein Ehrenwort, daß Ihm nichts zu Leid geschieht!
rief der Chirurg hinauf.

Sein Ehrenwort?

Mein Ehrenwort!

Er verließ seinen luftigen Sitz mit einem leichten Ruck, der unten
von einem Schrei des Schreckens und zugleich der Bewunderung be¬
gleitet wurde. Der sitzt vom Dachgrath ab wie ein Reiter von seinem
Gaul! schrie die Menge. Im nächsten Augenblick hatten sie Ursache
ihn mit einer Katze zu vergleichen, so leicht sah man den behenden
Burschen auf Händen und Füßen am Dach herab rutschen, bis er den
Laden wieder erreicht hatte, durch welchen er im Nu verschwand, noch
einmal mit einem Fuße hinauszappelnd, gleichsam zu Ehren des ver¬
sammelten Publicums, das hierüber in ein wieherndes Gelächter
ausbrach.

Nach wenigen Secunden verrieth eine Bewegung der in und vor
der Hausthüre stehenden Leute, daß in dem verlassenen Hause sich etwas
Lebendiges regte und die Treppen herunter kam. Der Amtmann
flüchtete sich in den dichtesten Schwarm heraus. Der Bursche hat
heut' Vormittag schon gezeigt, was er für ein gefährlicher Kerl sein
kann! sagte er und versammelte alsbald eine Schaar handfester Männer
um sich, worunter der obere Müller nicht fehlte, der durch das Ge¬
schrei, daß des Sonnenwirths Frieder seinen Knecht gestochen habe,
herbeigezogen worden war. Jetzt erschien der Held des Tages, von
Niemand um seinen Lorbeer beneidet, in der Hausthüre. Ruhig, als
ob er nicht begreifen könne, warum die Leute so zusammengelaufen,
kam er heraus und suchte mit den Augen seinen Schwager, auf den
er sodann zuging. Man ließ ihn vorbei. Da bin ich, sagte er zu
dem Chirurgen: ein Mann, ein Wort. -- Ich halte, was ich ver¬
sprochen habe, entgegnete der Chirurg mit schlauem Lächeln. -- Du
bist kein Mann, du bist ein Bub'! schrie ihn der dabeistehende Richter
an: dir braucht man nicht Wort zu halten! -- Greift ihn! befahl

einen Schrei des Entſetzens hervor, welchem ein ſchallendes Gelächter
folgte. Grad' wie ein Aff' auf einem Kameel! ſchrieen ſie.

Schwager, geh' Er herunter! rief der Chirurg.

Wenn mir der Herr Schwager ſicheres Geleit' verſpricht! ant¬
wortete Friedrich: ſonſt thut ſich's ganz wohl da oben!

Ich gebe Ihm mein Ehrenwort, daß Ihm nichts zu Leid geſchieht!
rief der Chirurg hinauf.

Sein Ehrenwort?

Mein Ehrenwort!

Er verließ ſeinen luftigen Sitz mit einem leichten Ruck, der unten
von einem Schrei des Schreckens und zugleich der Bewunderung be¬
gleitet wurde. Der ſitzt vom Dachgrath ab wie ein Reiter von ſeinem
Gaul! ſchrie die Menge. Im nächſten Augenblick hatten ſie Urſache
ihn mit einer Katze zu vergleichen, ſo leicht ſah man den behenden
Burſchen auf Händen und Füßen am Dach herab rutſchen, bis er den
Laden wieder erreicht hatte, durch welchen er im Nu verſchwand, noch
einmal mit einem Fuße hinauszappelnd, gleichſam zu Ehren des ver¬
ſammelten Publicums, das hierüber in ein wieherndes Gelächter
ausbrach.

Nach wenigen Secunden verrieth eine Bewegung der in und vor
der Hausthüre ſtehenden Leute, daß in dem verlaſſenen Hauſe ſich etwas
Lebendiges regte und die Treppen herunter kam. Der Amtmann
flüchtete ſich in den dichteſten Schwarm heraus. Der Burſche hat
heut' Vormittag ſchon gezeigt, was er für ein gefährlicher Kerl ſein
kann! ſagte er und verſammelte alsbald eine Schaar handfeſter Männer
um ſich, worunter der obere Müller nicht fehlte, der durch das Ge¬
ſchrei, daß des Sonnenwirths Frieder ſeinen Knecht geſtochen habe,
herbeigezogen worden war. Jetzt erſchien der Held des Tages, von
Niemand um ſeinen Lorbeer beneidet, in der Hausthüre. Ruhig, als
ob er nicht begreifen könne, warum die Leute ſo zuſammengelaufen,
kam er heraus und ſuchte mit den Augen ſeinen Schwager, auf den
er ſodann zuging. Man ließ ihn vorbei. Da bin ich, ſagte er zu
dem Chirurgen: ein Mann, ein Wort. — Ich halte, was ich ver¬
ſprochen habe, entgegnete der Chirurg mit ſchlauem Lächeln. — Du
biſt kein Mann, du biſt ein Bub'! ſchrie ihn der dabeiſtehende Richter
an: dir braucht man nicht Wort zu halten! — Greift ihn! befahl

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0278" n="262"/>
einen Schrei des Ent&#x017F;etzens hervor, welchem ein &#x017F;challendes Gelächter<lb/>
folgte. Grad' wie ein Aff' auf einem Kameel! &#x017F;chrieen &#x017F;ie.</p><lb/>
        <p>Schwager, geh' Er herunter! rief der Chirurg.</p><lb/>
        <p>Wenn mir der Herr Schwager &#x017F;icheres Geleit' ver&#x017F;pricht! ant¬<lb/>
wortete Friedrich: &#x017F;on&#x017F;t thut &#x017F;ich's ganz wohl da oben!</p><lb/>
        <p>Ich gebe Ihm mein Ehrenwort, daß Ihm nichts zu Leid ge&#x017F;chieht!<lb/>
rief der Chirurg hinauf.</p><lb/>
        <p>Sein Ehrenwort?</p><lb/>
        <p>Mein Ehrenwort!</p><lb/>
        <p>Er verließ &#x017F;einen luftigen Sitz mit einem leichten Ruck, der unten<lb/>
von einem Schrei des Schreckens und zugleich der Bewunderung be¬<lb/>
gleitet wurde. Der &#x017F;itzt vom Dachgrath ab wie ein Reiter von &#x017F;einem<lb/>
Gaul! &#x017F;chrie die Menge. Im näch&#x017F;ten Augenblick hatten &#x017F;ie Ur&#x017F;ache<lb/>
ihn mit einer Katze zu vergleichen, &#x017F;o leicht &#x017F;ah man den behenden<lb/>
Bur&#x017F;chen auf Händen und Füßen am Dach herab rut&#x017F;chen, bis er den<lb/>
Laden wieder erreicht hatte, durch welchen er im Nu ver&#x017F;chwand, noch<lb/>
einmal mit einem Fuße hinauszappelnd, gleich&#x017F;am zu Ehren des ver¬<lb/>
&#x017F;ammelten Publicums, das hierüber in ein wieherndes Gelächter<lb/>
ausbrach.</p><lb/>
        <p>Nach wenigen Secunden verrieth eine Bewegung der in und vor<lb/>
der Hausthüre &#x017F;tehenden Leute, daß in dem verla&#x017F;&#x017F;enen Hau&#x017F;e &#x017F;ich etwas<lb/>
Lebendiges regte und die Treppen herunter kam. Der Amtmann<lb/>
flüchtete &#x017F;ich in den dichte&#x017F;ten Schwarm heraus. Der Bur&#x017F;che hat<lb/>
heut' Vormittag &#x017F;chon gezeigt, was er für ein gefährlicher Kerl &#x017F;ein<lb/>
kann! &#x017F;agte er und ver&#x017F;ammelte alsbald eine Schaar handfe&#x017F;ter Männer<lb/>
um &#x017F;ich, worunter der obere Müller nicht fehlte, der durch das Ge¬<lb/>
&#x017F;chrei, daß des Sonnenwirths Frieder &#x017F;einen Knecht ge&#x017F;tochen habe,<lb/>
herbeigezogen worden war. Jetzt er&#x017F;chien der Held des Tages, von<lb/>
Niemand um &#x017F;einen Lorbeer beneidet, in der Hausthüre. Ruhig, als<lb/>
ob er nicht begreifen könne, warum die Leute &#x017F;o zu&#x017F;ammengelaufen,<lb/>
kam er heraus und &#x017F;uchte mit den Augen &#x017F;einen Schwager, auf den<lb/>
er &#x017F;odann zuging. Man ließ ihn vorbei. Da bin ich, &#x017F;agte er zu<lb/>
dem Chirurgen: ein Mann, ein Wort. &#x2014; Ich halte, was <hi rendition="#g">ich</hi> ver¬<lb/>
&#x017F;prochen habe, entgegnete der Chirurg mit &#x017F;chlauem Lächeln. &#x2014; Du<lb/>
bi&#x017F;t kein Mann, du bi&#x017F;t ein Bub'! &#x017F;chrie ihn der dabei&#x017F;tehende Richter<lb/>
an: dir braucht man nicht Wort zu halten! &#x2014; Greift ihn! befahl<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[262/0278] einen Schrei des Entſetzens hervor, welchem ein ſchallendes Gelächter folgte. Grad' wie ein Aff' auf einem Kameel! ſchrieen ſie. Schwager, geh' Er herunter! rief der Chirurg. Wenn mir der Herr Schwager ſicheres Geleit' verſpricht! ant¬ wortete Friedrich: ſonſt thut ſich's ganz wohl da oben! Ich gebe Ihm mein Ehrenwort, daß Ihm nichts zu Leid geſchieht! rief der Chirurg hinauf. Sein Ehrenwort? Mein Ehrenwort! Er verließ ſeinen luftigen Sitz mit einem leichten Ruck, der unten von einem Schrei des Schreckens und zugleich der Bewunderung be¬ gleitet wurde. Der ſitzt vom Dachgrath ab wie ein Reiter von ſeinem Gaul! ſchrie die Menge. Im nächſten Augenblick hatten ſie Urſache ihn mit einer Katze zu vergleichen, ſo leicht ſah man den behenden Burſchen auf Händen und Füßen am Dach herab rutſchen, bis er den Laden wieder erreicht hatte, durch welchen er im Nu verſchwand, noch einmal mit einem Fuße hinauszappelnd, gleichſam zu Ehren des ver¬ ſammelten Publicums, das hierüber in ein wieherndes Gelächter ausbrach. Nach wenigen Secunden verrieth eine Bewegung der in und vor der Hausthüre ſtehenden Leute, daß in dem verlaſſenen Hauſe ſich etwas Lebendiges regte und die Treppen herunter kam. Der Amtmann flüchtete ſich in den dichteſten Schwarm heraus. Der Burſche hat heut' Vormittag ſchon gezeigt, was er für ein gefährlicher Kerl ſein kann! ſagte er und verſammelte alsbald eine Schaar handfeſter Männer um ſich, worunter der obere Müller nicht fehlte, der durch das Ge¬ ſchrei, daß des Sonnenwirths Frieder ſeinen Knecht geſtochen habe, herbeigezogen worden war. Jetzt erſchien der Held des Tages, von Niemand um ſeinen Lorbeer beneidet, in der Hausthüre. Ruhig, als ob er nicht begreifen könne, warum die Leute ſo zuſammengelaufen, kam er heraus und ſuchte mit den Augen ſeinen Schwager, auf den er ſodann zuging. Man ließ ihn vorbei. Da bin ich, ſagte er zu dem Chirurgen: ein Mann, ein Wort. — Ich halte, was ich ver¬ ſprochen habe, entgegnete der Chirurg mit ſchlauem Lächeln. — Du biſt kein Mann, du biſt ein Bub'! ſchrie ihn der dabeiſtehende Richter an: dir braucht man nicht Wort zu halten! — Greift ihn! befahl

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/278
Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/278>, abgerufen am 22.11.2024.