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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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Schäm' dich, Johann, sagte Friedrich, daß du dein' Nebenmenschen
schlecht machst, eh' du weißt ob er's ist. Der Fischerhanne ist nicht
mein Freund und wird's auch nicht werden, aber ich thät' mich doch
zweimal besinnen, eh' ich ihn einen Dieb hieß' ohne allen Grund und
Beweis. Und dir hat er nie was zu Leid gethan. Esel, warum hast
das Geld nicht gleich aufgehoben?

Der Knecht sah ihn giftig an und murmelte halblaute Flüche in
seine Suppe hinein.

Das Aufheben wär' an dir gewesen, du hochmüthiger Herr,
sagte der Sonnenwirth zu seinem Sohne. Du nimmst wo du nichts
anrühren sollt'st, und läßt liegen was dein ist.

Friedrich schwieg. Er hatte einem Advocaten in Göppingen ge¬
schrieben, ob er sich nicht seiner annehmen und seine Sache gegen
seinen Vater führen wolle. Inzwischen gedachte er jeden unnützen
Streit mit diesem zu vermeiden und sich, so lange er ihm sein mütter¬
liches Erbe nicht herausgab, als Kind von ihm ernähren zu lassen,
was er ihm durch seine Dienste hinlänglich zu vergelten glaubte; denn
wenn er auch mitunter, von Zorn und Ueberdruß ergriffen, in seiner
Arbeit nachließ, so meinte er sich doch das Zeugniß geben zu dürfen,
daß sein Vater mit Unrecht über solche Unterbrechungen klage, die im
Vergleich mit seinem sonstigen Fleiß und Eifer kaum in Rechnung zu
bringen seien.

Der Sonnenwirth schwieg gleichfalls und beschäftigte sich wieder
mit dem Essen. Im Ganzen hatte er doch keinen Grund, sich den Appetit
vergehen zu lassen. Sein Sohn hatte dem Herzog einen nicht unbe¬
deutenden Dienst geleistet, der jedenfalls der Sonne zu Statten kom¬
men mußte. Konnte dieses Ereigniß aber nicht vielleicht auch das
Glück des jungen Menschen machen und ihn sogar aus seiner ver¬
kehrten Richtung herausreißen? Der Herzog war gegen seine Ge¬
wohnheit weggefahren, ohne ein Wort zu verlieren; denn wenn er
auch das Land wenig schonte, so pflegte er doch den Leuten ein gut
Gesicht zu machen und konnte mit dem Geringsten im Volke
freundlich reden. Nach einigen Tagen, auf der Rückfahrt, oder auf
einer späteren Durchreise, falls er diesmal einen andern Rückweg einschlug,
fragte er gewiß nach dem Jüngling, dessen kräftiger Arm ihn vor ei¬
ner Gefahr bewahrt hatte, und je kleiner dieser sein Verdienst machte,

Schäm' dich, Johann, ſagte Friedrich, daß du dein' Nebenmenſchen
ſchlecht machſt, eh' du weißt ob er's iſt. Der Fiſcherhanne iſt nicht
mein Freund und wird's auch nicht werden, aber ich thät' mich doch
zweimal beſinnen, eh' ich ihn einen Dieb hieß' ohne allen Grund und
Beweis. Und dir hat er nie was zu Leid gethan. Eſel, warum haſt
das Geld nicht gleich aufgehoben?

Der Knecht ſah ihn giftig an und murmelte halblaute Flüche in
ſeine Suppe hinein.

Das Aufheben wär' an dir geweſen, du hochmüthiger Herr,
ſagte der Sonnenwirth zu ſeinem Sohne. Du nimmſt wo du nichts
anrühren ſollt'ſt, und läßt liegen was dein iſt.

Friedrich ſchwieg. Er hatte einem Advocaten in Göppingen ge¬
ſchrieben, ob er ſich nicht ſeiner annehmen und ſeine Sache gegen
ſeinen Vater führen wolle. Inzwiſchen gedachte er jeden unnützen
Streit mit dieſem zu vermeiden und ſich, ſo lange er ihm ſein mütter¬
liches Erbe nicht herausgab, als Kind von ihm ernähren zu laſſen,
was er ihm durch ſeine Dienſte hinlänglich zu vergelten glaubte; denn
wenn er auch mitunter, von Zorn und Ueberdruß ergriffen, in ſeiner
Arbeit nachließ, ſo meinte er ſich doch das Zeugniß geben zu dürfen,
daß ſein Vater mit Unrecht über ſolche Unterbrechungen klage, die im
Vergleich mit ſeinem ſonſtigen Fleiß und Eifer kaum in Rechnung zu
bringen ſeien.

Der Sonnenwirth ſchwieg gleichfalls und beſchäftigte ſich wieder
mit dem Eſſen. Im Ganzen hatte er doch keinen Grund, ſich den Appetit
vergehen zu laſſen. Sein Sohn hatte dem Herzog einen nicht unbe¬
deutenden Dienſt geleiſtet, der jedenfalls der Sonne zu Statten kom¬
men mußte. Konnte dieſes Ereigniß aber nicht vielleicht auch das
Glück des jungen Menſchen machen und ihn ſogar aus ſeiner ver¬
kehrten Richtung herausreißen? Der Herzog war gegen ſeine Ge¬
wohnheit weggefahren, ohne ein Wort zu verlieren; denn wenn er
auch das Land wenig ſchonte, ſo pflegte er doch den Leuten ein gut
Geſicht zu machen und konnte mit dem Geringſten im Volke
freundlich reden. Nach einigen Tagen, auf der Rückfahrt, oder auf
einer ſpäteren Durchreiſe, falls er diesmal einen andern Rückweg einſchlug,
fragte er gewiß nach dem Jüngling, deſſen kräftiger Arm ihn vor ei¬
ner Gefahr bewahrt hatte, und je kleiner dieſer ſein Verdienſt machte,

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[244/0260] Schäm' dich, Johann, ſagte Friedrich, daß du dein' Nebenmenſchen ſchlecht machſt, eh' du weißt ob er's iſt. Der Fiſcherhanne iſt nicht mein Freund und wird's auch nicht werden, aber ich thät' mich doch zweimal beſinnen, eh' ich ihn einen Dieb hieß' ohne allen Grund und Beweis. Und dir hat er nie was zu Leid gethan. Eſel, warum haſt das Geld nicht gleich aufgehoben? Der Knecht ſah ihn giftig an und murmelte halblaute Flüche in ſeine Suppe hinein. Das Aufheben wär' an dir geweſen, du hochmüthiger Herr, ſagte der Sonnenwirth zu ſeinem Sohne. Du nimmſt wo du nichts anrühren ſollt'ſt, und läßt liegen was dein iſt. Friedrich ſchwieg. Er hatte einem Advocaten in Göppingen ge¬ ſchrieben, ob er ſich nicht ſeiner annehmen und ſeine Sache gegen ſeinen Vater führen wolle. Inzwiſchen gedachte er jeden unnützen Streit mit dieſem zu vermeiden und ſich, ſo lange er ihm ſein mütter¬ liches Erbe nicht herausgab, als Kind von ihm ernähren zu laſſen, was er ihm durch ſeine Dienſte hinlänglich zu vergelten glaubte; denn wenn er auch mitunter, von Zorn und Ueberdruß ergriffen, in ſeiner Arbeit nachließ, ſo meinte er ſich doch das Zeugniß geben zu dürfen, daß ſein Vater mit Unrecht über ſolche Unterbrechungen klage, die im Vergleich mit ſeinem ſonſtigen Fleiß und Eifer kaum in Rechnung zu bringen ſeien. Der Sonnenwirth ſchwieg gleichfalls und beſchäftigte ſich wieder mit dem Eſſen. Im Ganzen hatte er doch keinen Grund, ſich den Appetit vergehen zu laſſen. Sein Sohn hatte dem Herzog einen nicht unbe¬ deutenden Dienſt geleiſtet, der jedenfalls der Sonne zu Statten kom¬ men mußte. Konnte dieſes Ereigniß aber nicht vielleicht auch das Glück des jungen Menſchen machen und ihn ſogar aus ſeiner ver¬ kehrten Richtung herausreißen? Der Herzog war gegen ſeine Ge¬ wohnheit weggefahren, ohne ein Wort zu verlieren; denn wenn er auch das Land wenig ſchonte, ſo pflegte er doch den Leuten ein gut Geſicht zu machen und konnte mit dem Geringſten im Volke freundlich reden. Nach einigen Tagen, auf der Rückfahrt, oder auf einer ſpäteren Durchreiſe, falls er diesmal einen andern Rückweg einſchlug, fragte er gewiß nach dem Jüngling, deſſen kräftiger Arm ihn vor ei¬ ner Gefahr bewahrt hatte, und je kleiner dieſer ſein Verdienſt machte,

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 244. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/260>, abgerufen am 22.11.2024.