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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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gleich ging ihm die unbarmherzige Zeit: während sie ihn endlos auf
die Gewährung, die er von der Menschenwelt forderte, warten ließ,
zeigte sie ihm jeden Tag den unaufhaltsamen Fortschritt, welchen die
Natur machte, um ihm ein Geschenk zu bringen, das jener Gewährung
nicht zuvorkommen durfte, wenn es nicht den Stempel des Unglücks
und der Schande tragen sollte.

So kann die Sach' nicht fortgehen, sagte Christine eines Tages
zu ihm. Ich möcht' 'naus, wo kein Loch ist. Die Meinigen haben
mir ausgeboten, der Sommerverdienst sei zu End' und mit dem Winter
geh' das Hungerleiden vollends ganz an. Sogar mein Jerg, der
mir immer noch ein wenig den Kopf gehebt hat, sagt, es sei in der
ganzen Welt der Brauch, wer die Gais angebunden hab', der mög'
sie auch hüten.

Weiß wohl, bemerkte er finster, der Bauer thut Alles gern, wenn
er muß.

Aber bedenk' auch, wie sie auf'm dürren Bäumle sind. Ich selber
schäm' mich, daß ich ihnen fort und fort hinliegen muß, und du solltest
dich auch schämen. Ich weiß was ich thu': wenn meine Zeit kommen
ist, so trag' ich dein Kind in deines Vaters Haus und leg's ihm vor
die Thür. Da, er soll's säugen, denn ich werd' ihm nichts geben
können.

Dieser bittere Spott der Verzweiflung schnitt ihm glühend in's
Herz. Hat er seitdem nichts geschickt, fragte er, kein Brod, nicht ein¬
mal eine Schüssel Mehl?

Nichts, erwiderte sie, kannst dir wohl denken daß ich dir's ge¬
sagt hätt'.

Er knirschte mit den Zähnen. Wohl, wenn er's nicht sichtbar
geben will, so soll er's unsichtbarlich geben. Ruf deinen Jerg, er
muß uns behilflich sein, ich will mit ihm deines Vates Wagen rüsten,
und du schaffst Säck' her, wenn's dran fehlt, so entlehnst du in der
Nachbarschaft.

Was willst denn auf dem Wagen führen? fragte sie schüchtern.

Die Säck'! rief er noch barscher als zuvor.

Und was willst in die Säck' thun?

Fressen! antwortete er. Seine Augen funkelten, die Narbe in

gleich ging ihm die unbarmherzige Zeit: während ſie ihn endlos auf
die Gewährung, die er von der Menſchenwelt forderte, warten ließ,
zeigte ſie ihm jeden Tag den unaufhaltſamen Fortſchritt, welchen die
Natur machte, um ihm ein Geſchenk zu bringen, das jener Gewährung
nicht zuvorkommen durfte, wenn es nicht den Stempel des Unglücks
und der Schande tragen ſollte.

So kann die Sach' nicht fortgehen, ſagte Chriſtine eines Tages
zu ihm. Ich möcht' 'naus, wo kein Loch iſt. Die Meinigen haben
mir ausgeboten, der Sommerverdienſt ſei zu End' und mit dem Winter
geh' das Hungerleiden vollends ganz an. Sogar mein Jerg, der
mir immer noch ein wenig den Kopf gehebt hat, ſagt, es ſei in der
ganzen Welt der Brauch, wer die Gais angebunden hab', der mög'
ſie auch hüten.

Weiß wohl, bemerkte er finſter, der Bauer thut Alles gern, wenn
er muß.

Aber bedenk' auch, wie ſie auf'm dürren Bäumle ſind. Ich ſelber
ſchäm' mich, daß ich ihnen fort und fort hinliegen muß, und du ſollteſt
dich auch ſchämen. Ich weiß was ich thu': wenn meine Zeit kommen
iſt, ſo trag' ich dein Kind in deines Vaters Haus und leg's ihm vor
die Thür. Da, er ſoll's ſäugen, denn ich werd' ihm nichts geben
können.

Dieſer bittere Spott der Verzweiflung ſchnitt ihm glühend in's
Herz. Hat er ſeitdem nichts geſchickt, fragte er, kein Brod, nicht ein¬
mal eine Schüſſel Mehl?

Nichts, erwiderte ſie, kannſt dir wohl denken daß ich dir's ge¬
ſagt hätt'.

Er knirſchte mit den Zähnen. Wohl, wenn er's nicht ſichtbar
geben will, ſo ſoll er's unſichtbarlich geben. Ruf deinen Jerg, er
muß uns behilflich ſein, ich will mit ihm deines Vates Wagen rüſten,
und du ſchaffſt Säck' her, wenn's dran fehlt, ſo entlehnſt du in der
Nachbarſchaft.

Was willſt denn auf dem Wagen führen? fragte ſie ſchüchtern.

Die Säck'! rief er noch barſcher als zuvor.

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[218/0234] gleich ging ihm die unbarmherzige Zeit: während ſie ihn endlos auf die Gewährung, die er von der Menſchenwelt forderte, warten ließ, zeigte ſie ihm jeden Tag den unaufhaltſamen Fortſchritt, welchen die Natur machte, um ihm ein Geſchenk zu bringen, das jener Gewährung nicht zuvorkommen durfte, wenn es nicht den Stempel des Unglücks und der Schande tragen ſollte. So kann die Sach' nicht fortgehen, ſagte Chriſtine eines Tages zu ihm. Ich möcht' 'naus, wo kein Loch iſt. Die Meinigen haben mir ausgeboten, der Sommerverdienſt ſei zu End' und mit dem Winter geh' das Hungerleiden vollends ganz an. Sogar mein Jerg, der mir immer noch ein wenig den Kopf gehebt hat, ſagt, es ſei in der ganzen Welt der Brauch, wer die Gais angebunden hab', der mög' ſie auch hüten. Weiß wohl, bemerkte er finſter, der Bauer thut Alles gern, wenn er muß. Aber bedenk' auch, wie ſie auf'm dürren Bäumle ſind. Ich ſelber ſchäm' mich, daß ich ihnen fort und fort hinliegen muß, und du ſollteſt dich auch ſchämen. Ich weiß was ich thu': wenn meine Zeit kommen iſt, ſo trag' ich dein Kind in deines Vaters Haus und leg's ihm vor die Thür. Da, er ſoll's ſäugen, denn ich werd' ihm nichts geben können. Dieſer bittere Spott der Verzweiflung ſchnitt ihm glühend in's Herz. Hat er ſeitdem nichts geſchickt, fragte er, kein Brod, nicht ein¬ mal eine Schüſſel Mehl? Nichts, erwiderte ſie, kannſt dir wohl denken daß ich dir's ge¬ ſagt hätt'. Er knirſchte mit den Zähnen. Wohl, wenn er's nicht ſichtbar geben will, ſo ſoll er's unſichtbarlich geben. Ruf deinen Jerg, er muß uns behilflich ſein, ich will mit ihm deines Vates Wagen rüſten, und du ſchaffſt Säck' her, wenn's dran fehlt, ſo entlehnſt du in der Nachbarſchaft. Was willſt denn auf dem Wagen führen? fragte ſie ſchüchtern. Die Säck'! rief er noch barſcher als zuvor. Und was willſt in die Säck' thun? Freſſen! antwortete er. Seine Augen funkelten, die Narbe in

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/234>, abgerufen am 24.11.2024.