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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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Während Viele Jahraus Jahrein entlegene Länder durchziehen, kleben
Andere an ihrer Heimstätte fest, als ob sie mit ihr verwachsen wären,
-- ja, man erzählt von einer alten Frau, die in Tübingen auf der
Ammerseite wohnte, sie habe nie in ihrem Leben den Neckar gese¬
hen -- und selbst von Jenen reißt sich Mancher erst nach
vergeblichen Versuchen und nur um den Preis des bittersten Heimwehs
von der heimischen Scholle los, mag aber auch freilich, wenn
einmal das Heimweh überwunden ist, an sich erleben, daß die Hei¬
math, die er nicht entbehren zu können glaubte, Jahre lang fern und
todt und seinem Herzen etwas Fremdes hinter ihm liegt. Doch wird
es kaum einen geben, den nicht wenigstens im Alter wieder die Sehn¬
sucht nach den heimischen Bergen, Thälern und Gewässern besinge.
Freilich werden diese widersprechenden Triebe der Wanderlust und der
Heimseligkeit, die bei dem Schwaben nur mit besonderer Stärke her¬
vortreten, in jedem Menschenschlage wahrzunehmen sein.

Friedrich wischte sich die Augen mit der Hand aus, stieß seinen
Wanderstecken hart auf den Boden und ging in entschlossenem Reise¬
schritt die Straße hinab; da räusperte sich Jemand über ihm und eine
Stimme rief: Wo 'naus schon, Frieder, wo 'naus?

Er blickte ärgerlich in die Höhe und erkannte seinen Invaliden,
der nach der Weise alter Leute nicht lange schlafen konnte und zu
dieser frühen Stunde aus seinem Ausgedingstübchen zum Fenster her¬
aussah. In die Fremde! antwortete er, einen muthigen Ton in seine

Stimme legend.

Weiß schon, erwiderte der Invalide, und weiß eigentlich auch
warum.

Ja freilich! entgegnete Friedrich lachend, es gibt kein Warum,
das nicht auch sein Darum hätt'. Uebrigens sagt man: die Fremde
macht Leut'.

Ich streit's nicht. Wer nie hinaus kommt, kommt auch nie hin¬
ein. Und was das Heimweh betrifft, so hat selbiger Schwab' in der
Fremde gesagt: "Schwaben ist ein Land, ich will aber nit wieder
heim: grob Brod, dünn Bier und große Stunden!"

Friedrich lachte und schlug ein paarmal mit dem Stab in die
hartgefrorne Schneebahn; dann machte er eine Bewegung um seinen
Weg fortzusetzen.

Während Viele Jahraus Jahrein entlegene Länder durchziehen, kleben
Andere an ihrer Heimſtätte feſt, als ob ſie mit ihr verwachſen wären,
— ja‚ man erzählt von einer alten Frau, die in Tübingen auf der
Ammerſeite wohnte, ſie habe nie in ihrem Leben den Neckar geſe¬
hen — und ſelbſt von Jenen reißt ſich Mancher erſt nach
vergeblichen Verſuchen und nur um den Preis des bitterſten Heimwehs
von der heimiſchen Scholle los, mag aber auch freilich, wenn
einmal das Heimweh überwunden iſt, an ſich erleben, daß die Hei¬
math, die er nicht entbehren zu können glaubte, Jahre lang fern und
todt und ſeinem Herzen etwas Fremdes hinter ihm liegt. Doch wird
es kaum einen geben, den nicht wenigſtens im Alter wieder die Sehn¬
ſucht nach den heimiſchen Bergen, Thälern und Gewäſſern beſinge.
Freilich werden dieſe widerſprechenden Triebe der Wanderluſt und der
Heimſeligkeit, die bei dem Schwaben nur mit beſonderer Stärke her¬
vortreten, in jedem Menſchenſchlage wahrzunehmen ſein.

Friedrich wiſchte ſich die Augen mit der Hand aus, ſtieß ſeinen
Wanderſtecken hart auf den Boden und ging in entſchloſſenem Reiſe¬
ſchritt die Straße hinab; da räuſperte ſich Jemand über ihm und eine
Stimme rief: Wo 'naus ſchon, Frieder, wo 'naus?

Er blickte ärgerlich in die Höhe und erkannte ſeinen Invaliden,
der nach der Weiſe alter Leute nicht lange ſchlafen konnte und zu
dieſer frühen Stunde aus ſeinem Ausgedingſtübchen zum Fenſter her¬
ausſah. In die Fremde! antwortete er, einen muthigen Ton in ſeine

Stimme legend.

Weiß ſchon, erwiderte der Invalide, und weiß eigentlich auch
warum.

Ja freilich! entgegnete Friedrich lachend, es gibt kein Warum,
das nicht auch ſein Darum hätt'. Uebrigens ſagt man: die Fremde
macht Leut'.

Ich ſtreit's nicht. Wer nie hinaus kommt, kommt auch nie hin¬
ein. Und was das Heimweh betrifft, ſo hat ſelbiger Schwab' in der
Fremde geſagt: „Schwaben iſt ein Land‚ ich will aber nit wieder
heim: grob Brod, dünn Bier und große Stunden!“

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hartgefrorne Schneebahn; dann machte er eine Bewegung um ſeinen
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[153/0169] Während Viele Jahraus Jahrein entlegene Länder durchziehen, kleben Andere an ihrer Heimſtätte feſt, als ob ſie mit ihr verwachſen wären, — ja‚ man erzählt von einer alten Frau, die in Tübingen auf der Ammerſeite wohnte, ſie habe nie in ihrem Leben den Neckar geſe¬ hen — und ſelbſt von Jenen reißt ſich Mancher erſt nach vergeblichen Verſuchen und nur um den Preis des bitterſten Heimwehs von der heimiſchen Scholle los, mag aber auch freilich, wenn einmal das Heimweh überwunden iſt, an ſich erleben, daß die Hei¬ math, die er nicht entbehren zu können glaubte, Jahre lang fern und todt und ſeinem Herzen etwas Fremdes hinter ihm liegt. Doch wird es kaum einen geben, den nicht wenigſtens im Alter wieder die Sehn¬ ſucht nach den heimiſchen Bergen, Thälern und Gewäſſern beſinge. Freilich werden dieſe widerſprechenden Triebe der Wanderluſt und der Heimſeligkeit, die bei dem Schwaben nur mit beſonderer Stärke her¬ vortreten, in jedem Menſchenſchlage wahrzunehmen ſein. Friedrich wiſchte ſich die Augen mit der Hand aus, ſtieß ſeinen Wanderſtecken hart auf den Boden und ging in entſchloſſenem Reiſe¬ ſchritt die Straße hinab; da räuſperte ſich Jemand über ihm und eine Stimme rief: Wo 'naus ſchon, Frieder, wo 'naus? Er blickte ärgerlich in die Höhe und erkannte ſeinen Invaliden, der nach der Weiſe alter Leute nicht lange ſchlafen konnte und zu dieſer frühen Stunde aus ſeinem Ausgedingſtübchen zum Fenſter her¬ ausſah. In die Fremde! antwortete er, einen muthigen Ton in ſeine Stimme legend. Weiß ſchon, erwiderte der Invalide, und weiß eigentlich auch warum. Ja freilich! entgegnete Friedrich lachend, es gibt kein Warum, das nicht auch ſein Darum hätt'. Uebrigens ſagt man: die Fremde macht Leut'. Ich ſtreit's nicht. Wer nie hinaus kommt, kommt auch nie hin¬ ein. Und was das Heimweh betrifft, ſo hat ſelbiger Schwab' in der Fremde geſagt: „Schwaben iſt ein Land‚ ich will aber nit wieder heim: grob Brod, dünn Bier und große Stunden!“ Friedrich lachte und ſchlug ein paarmal mit dem Stab in die hartgefrorne Schneebahn; dann machte er eine Bewegung um ſeinen Weg fortzuſetzen.

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/169>, abgerufen am 25.11.2024.