allen ihren Reden aus mütterlichem Herzen bei und brachte dieselben, nachdem sie mit der Amtmännin viel darüber gespottet, welch' eine Wirthin das Bauernmensch geben würde, freigebig mit Zusätzen ver¬ mehrt ihrem Manne heim.
Nach dieser vorläufigen Verlässigung begab sich der Sonnenwirth mit dem Chirurgus zum Amtmann, dem er mit Hilfe des Letzteren vortrug, er habe, wie dem Herrn Amtmann wohl bewußt sein werde, einen Sohn, der unerachtet aller väterlichen Bemühungen und trotzdem daß er viel Geld auf seine rechtliche und christliche Erziehung verwendet, bis jetzt nicht habe einschlagen wollen und ihm nun gar noch das Kreuz mache, in seiner Minderjährigkeit an eine ganz ungleiche Heirath mit einer Bauern¬ tochter, die nichts sei und nichts habe, zu denken. Da nun das Sprichwort mit Recht sage: "Wohl aus den Augen, wohl aus dem Sinn", so habe er sich resolvirt, ihn in die Fremde zu schicken. Er habe in Frankfurt oder vielmehr in Sachsenhausen, welches gleich da¬ neben über'm Mainstrom liege, einen leiblichen Bruder, der daselbst gleichfalls Wirth zur Sonne und in jungen Jahren durch eine Glücks¬ heirath mit einer Wittwe in den Besitz derselben gekommen sei. Dem wolle er seinen Sohn zuschicken, in der Hoffnung, daß derselbe unter einem fremden Himmel und bei andern Leuten seine Thorheit ver¬ gessen und sich vielleicht den Kopf auf eine zuträgliche Art verstoßen und die Hörner ablaufen werde. Er habe sich nun die Freiheit neh¬ men wollen, zu fragen was der Herr Amtmann von der Sache denke. Der Amtmann erwiderte, der Gedanke habe seinen ganzen Beifall, denn fremde Städte und fremde Menschen sehen, das putze den Kopf aus. In dem Frankfort, sagte er, bin ich auch schon gewesen, worauf der Sonnenwirth und der Chirurgus ihre unterthänige Verwunderung ausdrückten, daß der Herr Amtmann schon so weit gereiset sei. Die Amtmännin, welche sich ungesäumt im Rathe eingefunden hatte, sprach davon, wie wohlthätig es überhaupt wäre, wenn man alle ungeschlachte junge Leute ein wenig in die weite Welt schicken könnte, um dort gehobelt zu werden. Als sodann der Sonnenwirth die Möglichkeit zur Sprache brachte, daß sein Sohn es etwa an der gewünschten Reiselust fehlen lassen könnte, hieß ihn der Amtmann ganz außer Sorgen sein, denn er werde jedenfalls mit seiner vollen Autorität dazwischen fahren und gedenke mit einem jungen Trotz- und Querkopf
allen ihren Reden aus mütterlichem Herzen bei und brachte dieſelben, nachdem ſie mit der Amtmännin viel darüber geſpottet, welch' eine Wirthin das Bauernmenſch geben würde, freigebig mit Zuſätzen ver¬ mehrt ihrem Manne heim.
Nach dieſer vorläufigen Verläſſigung begab ſich der Sonnenwirth mit dem Chirurgus zum Amtmann, dem er mit Hilfe des Letzteren vortrug, er habe, wie dem Herrn Amtmann wohl bewußt ſein werde, einen Sohn, der unerachtet aller väterlichen Bemühungen und trotzdem daß er viel Geld auf ſeine rechtliche und chriſtliche Erziehung verwendet, bis jetzt nicht habe einſchlagen wollen und ihm nun gar noch das Kreuz mache, in ſeiner Minderjährigkeit an eine ganz ungleiche Heirath mit einer Bauern¬ tochter, die nichts ſei und nichts habe, zu denken. Da nun das Sprichwort mit Recht ſage: „Wohl aus den Augen, wohl aus dem Sinn“, ſo habe er ſich reſolvirt, ihn in die Fremde zu ſchicken. Er habe in Frankfurt oder vielmehr in Sachſenhauſen, welches gleich da¬ neben über'm Mainſtrom liege, einen leiblichen Bruder, der daſelbſt gleichfalls Wirth zur Sonne und in jungen Jahren durch eine Glücks¬ heirath mit einer Wittwe in den Beſitz derſelben gekommen ſei. Dem wolle er ſeinen Sohn zuſchicken, in der Hoffnung, daß derſelbe unter einem fremden Himmel und bei andern Leuten ſeine Thorheit ver¬ geſſen und ſich vielleicht den Kopf auf eine zuträgliche Art verſtoßen und die Hörner ablaufen werde. Er habe ſich nun die Freiheit neh¬ men wollen, zu fragen was der Herr Amtmann von der Sache denke. Der Amtmann erwiderte, der Gedanke habe ſeinen ganzen Beifall, denn fremde Städte und fremde Menſchen ſehen, das putze den Kopf aus. In dem Frankfort, ſagte er, bin ich auch ſchon geweſen, worauf der Sonnenwirth und der Chirurgus ihre unterthänige Verwunderung ausdrückten, daß der Herr Amtmann ſchon ſo weit gereiſet ſei. Die Amtmännin, welche ſich ungeſäumt im Rathe eingefunden hatte, ſprach davon, wie wohlthätig es überhaupt wäre, wenn man alle ungeſchlachte junge Leute ein wenig in die weite Welt ſchicken könnte, um dort gehobelt zu werden. Als ſodann der Sonnenwirth die Möglichkeit zur Sprache brachte, daß ſein Sohn es etwa an der gewünſchten Reiſeluſt fehlen laſſen könnte, hieß ihn der Amtmann ganz außer Sorgen ſein, denn er werde jedenfalls mit ſeiner vollen Autorität dazwiſchen fahren und gedenke mit einem jungen Trotz- und Querkopf
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0158"n="142"/>
allen ihren Reden aus mütterlichem Herzen bei und brachte dieſelben,<lb/>
nachdem ſie mit der Amtmännin viel darüber geſpottet, welch' eine<lb/>
Wirthin das Bauernmenſch geben würde, freigebig mit Zuſätzen ver¬<lb/>
mehrt ihrem Manne heim.</p><lb/><p>Nach dieſer vorläufigen Verläſſigung begab ſich der Sonnenwirth mit<lb/>
dem Chirurgus zum Amtmann, dem er mit Hilfe des Letzteren vortrug, er<lb/>
habe, wie dem Herrn Amtmann wohl bewußt ſein werde, einen Sohn, der<lb/>
unerachtet aller väterlichen Bemühungen und trotzdem daß er viel Geld<lb/>
auf ſeine rechtliche und chriſtliche Erziehung verwendet, bis jetzt nicht<lb/>
habe einſchlagen wollen und ihm nun gar noch das Kreuz mache, in<lb/>ſeiner Minderjährigkeit an eine ganz ungleiche Heirath mit einer Bauern¬<lb/>
tochter, die nichts ſei und nichts habe, zu denken. Da nun das<lb/>
Sprichwort mit Recht ſage: „Wohl aus den Augen, wohl aus dem<lb/>
Sinn“, ſo habe er ſich reſolvirt, ihn in die Fremde zu ſchicken. Er<lb/>
habe in Frankfurt oder vielmehr in Sachſenhauſen, welches gleich da¬<lb/>
neben über'm Mainſtrom liege, einen leiblichen Bruder, der daſelbſt<lb/>
gleichfalls Wirth zur Sonne und in jungen Jahren durch eine Glücks¬<lb/>
heirath mit einer Wittwe in den Beſitz derſelben gekommen ſei. Dem<lb/>
wolle er ſeinen Sohn zuſchicken, in der Hoffnung, daß derſelbe unter<lb/>
einem fremden Himmel und bei andern Leuten ſeine Thorheit ver¬<lb/>
geſſen und ſich vielleicht den Kopf auf eine zuträgliche Art verſtoßen<lb/>
und die Hörner ablaufen werde. Er habe ſich nun die Freiheit neh¬<lb/>
men wollen, zu fragen was der Herr Amtmann von der Sache denke.<lb/>
Der Amtmann erwiderte, der Gedanke habe ſeinen ganzen Beifall,<lb/>
denn fremde Städte und fremde Menſchen ſehen, das putze den Kopf<lb/>
aus. In dem Frankfort, ſagte er, bin ich auch ſchon geweſen, worauf<lb/>
der Sonnenwirth und der Chirurgus ihre unterthänige Verwunderung<lb/>
ausdrückten, daß der Herr Amtmann ſchon ſo weit gereiſet ſei. Die<lb/>
Amtmännin, welche ſich ungeſäumt im Rathe eingefunden hatte, ſprach<lb/>
davon, wie wohlthätig es überhaupt wäre, wenn man alle ungeſchlachte<lb/>
junge Leute ein wenig in die weite Welt ſchicken könnte, um dort<lb/>
gehobelt zu werden. Als ſodann der Sonnenwirth die Möglichkeit<lb/>
zur Sprache brachte, daß ſein Sohn es etwa an der gewünſchten<lb/>
Reiſeluſt fehlen laſſen könnte, hieß ihn der Amtmann ganz außer<lb/>
Sorgen ſein, denn er werde jedenfalls mit ſeiner vollen Autorität<lb/>
dazwiſchen fahren und gedenke mit einem jungen Trotz- und Querkopf<lb/></p></div></body></text></TEI>
[142/0158]
allen ihren Reden aus mütterlichem Herzen bei und brachte dieſelben,
nachdem ſie mit der Amtmännin viel darüber geſpottet, welch' eine
Wirthin das Bauernmenſch geben würde, freigebig mit Zuſätzen ver¬
mehrt ihrem Manne heim.
Nach dieſer vorläufigen Verläſſigung begab ſich der Sonnenwirth mit
dem Chirurgus zum Amtmann, dem er mit Hilfe des Letzteren vortrug, er
habe, wie dem Herrn Amtmann wohl bewußt ſein werde, einen Sohn, der
unerachtet aller väterlichen Bemühungen und trotzdem daß er viel Geld
auf ſeine rechtliche und chriſtliche Erziehung verwendet, bis jetzt nicht
habe einſchlagen wollen und ihm nun gar noch das Kreuz mache, in
ſeiner Minderjährigkeit an eine ganz ungleiche Heirath mit einer Bauern¬
tochter, die nichts ſei und nichts habe, zu denken. Da nun das
Sprichwort mit Recht ſage: „Wohl aus den Augen, wohl aus dem
Sinn“, ſo habe er ſich reſolvirt, ihn in die Fremde zu ſchicken. Er
habe in Frankfurt oder vielmehr in Sachſenhauſen, welches gleich da¬
neben über'm Mainſtrom liege, einen leiblichen Bruder, der daſelbſt
gleichfalls Wirth zur Sonne und in jungen Jahren durch eine Glücks¬
heirath mit einer Wittwe in den Beſitz derſelben gekommen ſei. Dem
wolle er ſeinen Sohn zuſchicken, in der Hoffnung, daß derſelbe unter
einem fremden Himmel und bei andern Leuten ſeine Thorheit ver¬
geſſen und ſich vielleicht den Kopf auf eine zuträgliche Art verſtoßen
und die Hörner ablaufen werde. Er habe ſich nun die Freiheit neh¬
men wollen, zu fragen was der Herr Amtmann von der Sache denke.
Der Amtmann erwiderte, der Gedanke habe ſeinen ganzen Beifall,
denn fremde Städte und fremde Menſchen ſehen, das putze den Kopf
aus. In dem Frankfort, ſagte er, bin ich auch ſchon geweſen, worauf
der Sonnenwirth und der Chirurgus ihre unterthänige Verwunderung
ausdrückten, daß der Herr Amtmann ſchon ſo weit gereiſet ſei. Die
Amtmännin, welche ſich ungeſäumt im Rathe eingefunden hatte, ſprach
davon, wie wohlthätig es überhaupt wäre, wenn man alle ungeſchlachte
junge Leute ein wenig in die weite Welt ſchicken könnte, um dort
gehobelt zu werden. Als ſodann der Sonnenwirth die Möglichkeit
zur Sprache brachte, daß ſein Sohn es etwa an der gewünſchten
Reiſeluſt fehlen laſſen könnte, hieß ihn der Amtmann ganz außer
Sorgen ſein, denn er werde jedenfalls mit ſeiner vollen Autorität
dazwiſchen fahren und gedenke mit einem jungen Trotz- und Querkopf
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 142. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/158>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.