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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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ein Uebel, eine Art Geschwür, das man um keinen Preis aufkommen
lassen und im Nothfall mit Schneiden oder Brennen beseitigen müßte.
Jedennoch möcht' ich unmaßgeblich rathen, nicht alsofort zum Aeußer¬
sten zu schreiten, sondern erst gelindere und wo möglich auflösende
Mittel zu versuchen. Der Schwager ist zwar -- hm, hm -- kann's
nicht in Abrede ziehen -- er ist ein wenig ein Springinsfeld, aber
er hat doch, mit Salvenia zu reden, kein so ungattiges Temperament,
daß man gleich die Beinsäge bei ihm in Anwendung bringen muß.
Ich schmeichle mir, bereits eine Arznei ausfindig gemacht zu haben,
welche sich als probat erweisen dürfte. Für jetzt wäre es wohl nicht
angemessen, den Herrn Vater länger mit dem fatalen Handel zu be¬
helligen, der, wie ich zu sagen mir erlauben muß, nicht zu ganz rich¬
tiger Zeit an ihn gebracht worden ist; denn bei Reden und Mitthei¬
lungen, insonderheit wenn ihnen etwas Bitteres beigemischt ist, sollte man,
wie bei den Latwergen aus der Apotheke, immer die passende Stunde
beobachten. Zur Essenszeit beigebracht aber kann eine unverhoffte und
widrige Nachricht leicht eine Indigestion effectuiren, woraus dann, je
nach Beschaffenheit der Leibesconstitution, vielfache Infirmitäten fließen
können. Aus diesem Grunde würde ich dem Herrn Vater rathen, sich
jetzo eine kleine Bewegung in der frischen Luft zu machen, damit die
etwas gestörten Lebensgeister wieder erwecket werden. Was aber den
Schwager anbelangt, so muß man ihn mehr wie einen Patienten, denn
wie einen Delinquenten ansehen, und wenn man den rechten Punkt bei
ihm trifft, so hoffe ich, er werde noch zu curiren sein. Man muß ihn
nicht ganz wegwerfen.

Ja, setzte seine Frau mit einem Seitenblick auf die Krämerin
hinzu, und seine Schwestern sollten's doch nicht so leicht vergessen,
wie er sich ihrer angenommen hat und ihnen immer ein guter Bruder
gewesen ist.

Die Sonnenwirthin hatte die anzüglichen Bemerkungen ihres ab¬
trünnigen Tochtermannes mit einem giftigen Lächeln verschluckt und ei¬
nen Blick mit dem Krämer zu wechseln versucht, der aber, in der Er¬
kenntniß, daß er es aus zu großer Dienstbarkeit gegen die Schwieger¬
mutter mit dem Schwiegervater verschüttet habe, die Augen verlegen
zu Boden schlug. Als jedoch ihre Stieftochter daran zu erinnern
wagte, daß Friedrich seine Schwestern gegen sie in Schutz genommen,

ein Uebel, eine Art Geſchwür, das man um keinen Preis aufkommen
laſſen und im Nothfall mit Schneiden oder Brennen beſeitigen müßte.
Jedennoch möcht' ich unmaßgeblich rathen, nicht alſofort zum Aeußer¬
ſten zu ſchreiten, ſondern erſt gelindere und wo möglich auflöſende
Mittel zu verſuchen. Der Schwager iſt zwar — hm, hm — kann's
nicht in Abrede ziehen — er iſt ein wenig ein Springinsfeld, aber
er hat doch, mit Salvenia zu reden, kein ſo ungattiges Temperament,
daß man gleich die Beinſäge bei ihm in Anwendung bringen muß.
Ich ſchmeichle mir, bereits eine Arznei ausfindig gemacht zu haben,
welche ſich als probat erweiſen dürfte. Für jetzt wäre es wohl nicht
angemeſſen, den Herrn Vater länger mit dem fatalen Handel zu be¬
helligen, der, wie ich zu ſagen mir erlauben muß, nicht zu ganz rich¬
tiger Zeit an ihn gebracht worden iſt; denn bei Reden und Mitthei¬
lungen, inſonderheit wenn ihnen etwas Bitteres beigemiſcht iſt, ſollte man,
wie bei den Latwergen aus der Apotheke, immer die paſſende Stunde
beobachten. Zur Eſſenszeit beigebracht aber kann eine unverhoffte und
widrige Nachricht leicht eine Indigeſtion effectuiren, woraus dann, je
nach Beſchaffenheit der Leibesconſtitution, vielfache Infirmitäten fließen
können. Aus dieſem Grunde würde ich dem Herrn Vater rathen, ſich
jetzo eine kleine Bewegung in der friſchen Luft zu machen, damit die
etwas geſtörten Lebensgeiſter wieder erwecket werden. Was aber den
Schwager anbelangt, ſo muß man ihn mehr wie einen Patienten, denn
wie einen Delinquenten anſehen, und wenn man den rechten Punkt bei
ihm trifft, ſo hoffe ich, er werde noch zu curiren ſein. Man muß ihn
nicht ganz wegwerfen.

Ja, ſetzte ſeine Frau mit einem Seitenblick auf die Krämerin
hinzu, und ſeine Schweſtern ſollten's doch nicht ſo leicht vergeſſen,
wie er ſich ihrer angenommen hat und ihnen immer ein guter Bruder
geweſen iſt.

Die Sonnenwirthin hatte die anzüglichen Bemerkungen ihres ab¬
trünnigen Tochtermannes mit einem giftigen Lächeln verſchluckt und ei¬
nen Blick mit dem Krämer zu wechſeln verſucht, der aber, in der Er¬
kenntniß, daß er es aus zu großer Dienſtbarkeit gegen die Schwieger¬
mutter mit dem Schwiegervater verſchüttet habe, die Augen verlegen
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wagte, daß Friedrich ſeine Schweſtern gegen ſie in Schutz genommen,

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[136/0152] ein Uebel, eine Art Geſchwür, das man um keinen Preis aufkommen laſſen und im Nothfall mit Schneiden oder Brennen beſeitigen müßte. Jedennoch möcht' ich unmaßgeblich rathen, nicht alſofort zum Aeußer¬ ſten zu ſchreiten, ſondern erſt gelindere und wo möglich auflöſende Mittel zu verſuchen. Der Schwager iſt zwar — hm, hm — kann's nicht in Abrede ziehen — er iſt ein wenig ein Springinsfeld, aber er hat doch, mit Salvenia zu reden, kein ſo ungattiges Temperament, daß man gleich die Beinſäge bei ihm in Anwendung bringen muß. Ich ſchmeichle mir, bereits eine Arznei ausfindig gemacht zu haben, welche ſich als probat erweiſen dürfte. Für jetzt wäre es wohl nicht angemeſſen, den Herrn Vater länger mit dem fatalen Handel zu be¬ helligen, der, wie ich zu ſagen mir erlauben muß, nicht zu ganz rich¬ tiger Zeit an ihn gebracht worden iſt; denn bei Reden und Mitthei¬ lungen, inſonderheit wenn ihnen etwas Bitteres beigemiſcht iſt, ſollte man, wie bei den Latwergen aus der Apotheke, immer die paſſende Stunde beobachten. Zur Eſſenszeit beigebracht aber kann eine unverhoffte und widrige Nachricht leicht eine Indigeſtion effectuiren, woraus dann, je nach Beſchaffenheit der Leibesconſtitution, vielfache Infirmitäten fließen können. Aus dieſem Grunde würde ich dem Herrn Vater rathen, ſich jetzo eine kleine Bewegung in der friſchen Luft zu machen, damit die etwas geſtörten Lebensgeiſter wieder erwecket werden. Was aber den Schwager anbelangt, ſo muß man ihn mehr wie einen Patienten, denn wie einen Delinquenten anſehen, und wenn man den rechten Punkt bei ihm trifft, ſo hoffe ich, er werde noch zu curiren ſein. Man muß ihn nicht ganz wegwerfen. Ja, ſetzte ſeine Frau mit einem Seitenblick auf die Krämerin hinzu, und ſeine Schweſtern ſollten's doch nicht ſo leicht vergeſſen, wie er ſich ihrer angenommen hat und ihnen immer ein guter Bruder geweſen iſt. Die Sonnenwirthin hatte die anzüglichen Bemerkungen ihres ab¬ trünnigen Tochtermannes mit einem giftigen Lächeln verſchluckt und ei¬ nen Blick mit dem Krämer zu wechſeln verſucht, der aber, in der Er¬ kenntniß, daß er es aus zu großer Dienſtbarkeit gegen die Schwieger¬ mutter mit dem Schwiegervater verſchüttet habe, die Augen verlegen zu Boden ſchlug. Als jedoch ihre Stieftochter daran zu erinnern wagte, daß Friedrich ſeine Schweſtern gegen ſie in Schutz genommen,

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 136. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/152>, abgerufen am 24.11.2024.