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Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855.

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in stummer Bestürzung prüfend. Wir sind verrathen! rief sie wei¬
nend und verbarg das Gesicht an seiner Brust. Sei ruhig, der Wind
wird's gethan haben, sagte er; aber er selbst war keineswegs so ruhig
als er schien, denn er hatte noch eine andere Entdeckung gemacht, die
Christinens Argwohn nur zu sehr bestätigte. Auf den Staffeln der
Außentreppe waren im Schnee frische scharfe Fußstapfen wahrzunehmen.
Dies konnten nicht seine eigenen sein; denn zur Zeit seines Kommens
hatte es ziemlich stark geschneit und seine Tritte mußten daher bald
wieder verwischt worden sein. Es war ihm kaum zweifelhaft mehr,
daß, nachdem es zu schneien aufgehört, jemand sich die Stiege herauf¬
geschlichen und die Scheibe eingedrückt habe, worauf der Thäter wahr¬
scheinlich in der Meinung, durch das Klirren der Gläser in der Stube
einen Schreck erregt zu haben, schnell wieder entflohen war. Von
dieser Wahrnehmung aber theilte er Christinen nichts mit; vielmehr
suchte er sie, als sie ihn darauf aufmerksam machte, daß ja gar kein
Wind gehe, auf den Glauben zu bringen, die Katze werde es gethan
und vielleicht von außen durch das Fenster hereingewollt haben.
Dies war jedenfalls ein annehmbarer Grund, wenn die Eltern bei
ihrer Heimkunft der Sache nachfragten, und er hieß sie inzwischen
das Loch mit einem Tuch verstopfen.

Sie waren noch im Reden und Rathen über den Vorgang be¬
griffen und Christine hatte ihre Verstörung noch keineswegs überwun¬
den, als die große Glocke auf dem Thurme anschlug. Horch, die
Betglock'! rief sie, die Kirch' ist aus, jetzt mach' daß du fortkommst!

Sie küßten und herzten einander, während Christine ihn beständig
forttrieb.

Heut' Abend kommen wir zusammen, nicht wahr? sagte er.

Ja, sobald meine Leut' im Bett sind, und das ist ziemlich früh.

Ich treff dich hinterm Haus und dann spazieren wir ins Feld[ - 1 Zeichen fehlt]

Der Boden ist bestreut. Meinst nicht, es werd' dir
zu kalt sein?

Mich friert's nicht, wenn ich bei dir bin, aber jetzt mach' dich fort.

Sie wollte ihn bereden, das Haus durch die hintere Thüre zu
verlassen. Nein, sagte er, vorn wo ich herein bin, da will ich auch
wieder hinaus. Ich red' ohnehin nächster[ - 1 Zeichen fehlt]Tag' ganz frei und offen
mit deinen Eltern.

D. B. IV. Kurz, Sonnenwirth. 9

in ſtummer Beſtürzung prüfend. Wir ſind verrathen! rief ſie wei¬
nend und verbarg das Geſicht an ſeiner Bruſt. Sei ruhig, der Wind
wird's gethan haben, ſagte er; aber er ſelbſt war keineswegs ſo ruhig
als er ſchien, denn er hatte noch eine andere Entdeckung gemacht, die
Chriſtinens Argwohn nur zu ſehr beſtätigte. Auf den Staffeln der
Außentreppe waren im Schnee friſche ſcharfe Fußſtapfen wahrzunehmen.
Dies konnten nicht ſeine eigenen ſein; denn zur Zeit ſeines Kommens
hatte es ziemlich ſtark geſchneit und ſeine Tritte mußten daher bald
wieder verwiſcht worden ſein. Es war ihm kaum zweifelhaft mehr,
daß, nachdem es zu ſchneien aufgehört, jemand ſich die Stiege herauf¬
geſchlichen und die Scheibe eingedrückt habe, worauf der Thäter wahr¬
ſcheinlich in der Meinung, durch das Klirren der Gläſer in der Stube
einen Schreck erregt zu haben, ſchnell wieder entflohen war. Von
dieſer Wahrnehmung aber theilte er Chriſtinen nichts mit; vielmehr
ſuchte er ſie, als ſie ihn darauf aufmerkſam machte, daß ja gar kein
Wind gehe, auf den Glauben zu bringen, die Katze werde es gethan
und vielleicht von außen durch das Fenſter hereingewollt haben.
Dies war jedenfalls ein annehmbarer Grund, wenn die Eltern bei
ihrer Heimkunft der Sache nachfragten, und er hieß ſie inzwiſchen
das Loch mit einem Tuch verſtopfen.

Sie waren noch im Reden und Rathen über den Vorgang be¬
griffen und Chriſtine hatte ihre Verſtörung noch keineswegs überwun¬
den, als die große Glocke auf dem Thurme anſchlug. Horch, die
Betglock'! rief ſie, die Kirch' iſt aus, jetzt mach' daß du fortkommſt!

Sie küßten und herzten einander, während Chriſtine ihn beſtändig
forttrieb.

Heut' Abend kommen wir zuſammen, nicht wahr? ſagte er.

Ja, ſobald meine Leut' im Bett ſind, und das iſt ziemlich früh.

Ich treff dich hinterm Haus und dann ſpazieren wir ins Feld[ – 1 Zeichen fehlt]

Der Boden iſt beſtreut. Meinſt nicht, es werd' dir
zu kalt ſein?

Mich friert's nicht, wenn ich bei dir bin, aber jetzt mach' dich fort.

Sie wollte ihn bereden, das Haus durch die hintere Thüre zu
verlaſſen. Nein, ſagte er, vorn wo ich herein bin, da will ich auch
wieder hinaus. Ich red' ohnehin nächſter[ – 1 Zeichen fehlt]Tag' ganz frei und offen
mit deinen Eltern.

D. B. IV. Kurz, Sonnenwirth. 9
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[129/0145] in ſtummer Beſtürzung prüfend. Wir ſind verrathen! rief ſie wei¬ nend und verbarg das Geſicht an ſeiner Bruſt. Sei ruhig, der Wind wird's gethan haben, ſagte er; aber er ſelbſt war keineswegs ſo ruhig als er ſchien, denn er hatte noch eine andere Entdeckung gemacht, die Chriſtinens Argwohn nur zu ſehr beſtätigte. Auf den Staffeln der Außentreppe waren im Schnee friſche ſcharfe Fußſtapfen wahrzunehmen. Dies konnten nicht ſeine eigenen ſein; denn zur Zeit ſeines Kommens hatte es ziemlich ſtark geſchneit und ſeine Tritte mußten daher bald wieder verwiſcht worden ſein. Es war ihm kaum zweifelhaft mehr, daß, nachdem es zu ſchneien aufgehört, jemand ſich die Stiege herauf¬ geſchlichen und die Scheibe eingedrückt habe, worauf der Thäter wahr¬ ſcheinlich in der Meinung, durch das Klirren der Gläſer in der Stube einen Schreck erregt zu haben, ſchnell wieder entflohen war. Von dieſer Wahrnehmung aber theilte er Chriſtinen nichts mit; vielmehr ſuchte er ſie, als ſie ihn darauf aufmerkſam machte, daß ja gar kein Wind gehe, auf den Glauben zu bringen, die Katze werde es gethan und vielleicht von außen durch das Fenſter hereingewollt haben. Dies war jedenfalls ein annehmbarer Grund, wenn die Eltern bei ihrer Heimkunft der Sache nachfragten, und er hieß ſie inzwiſchen das Loch mit einem Tuch verſtopfen. Sie waren noch im Reden und Rathen über den Vorgang be¬ griffen und Chriſtine hatte ihre Verſtörung noch keineswegs überwun¬ den, als die große Glocke auf dem Thurme anſchlug. Horch, die Betglock'! rief ſie, die Kirch' iſt aus, jetzt mach' daß du fortkommſt! Sie küßten und herzten einander, während Chriſtine ihn beſtändig forttrieb. Heut' Abend kommen wir zuſammen, nicht wahr? ſagte er. Ja, ſobald meine Leut' im Bett ſind, und das iſt ziemlich früh. Ich treff dich hinterm Haus und dann ſpazieren wir ins Feld_ Der Boden iſt beſtreut. Meinſt nicht, es werd' dir zu kalt ſein? Mich friert's nicht, wenn ich bei dir bin, aber jetzt mach' dich fort. Sie wollte ihn bereden, das Haus durch die hintere Thüre zu verlaſſen. Nein, ſagte er, vorn wo ich herein bin, da will ich auch wieder hinaus. Ich red' ohnehin nächſter_Tag' ganz frei und offen mit deinen Eltern. D. B. IV. Kurz, Sonnenwirth. 9

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Zitationshilfe: Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 129. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/145>, abgerufen am 21.11.2024.