hätte ihm der Stolz und der Groll nicht zugelassen. Doch lobte er die alte Muskete und verglich sie in seinem Sinn mit David's Saitenspiel, vor welchem der böse Geist von Saul entwich; denn mit jedem Schusse, der aus dem schwergeladenen Laufe fuhr, meinte er um einen Theil seines Unmuths erleichtert zu sein, und es war ihm als ob er alle Hindernisse, die sich ihm in dieser schnöden Welt entge¬ genstellten, über den Haufen schieße.
Dazwischen ging er einmal in die Sonne, um nachzusehen, ob man seiner nicht bei der Bedienung der Gäste bedürfe. Die Einkehr war diesen Abend nicht so stark wie sonst, weil sich die Neujahrsnachtgäste in die vielen Wirthshäuser des Fleckens vertheilten, und weil man wußte, daß der Sonnenwirth auf eine zeitige Ruhe mehr hielt als auf eine lange Sylvesterfeier. Derselbe war jedoch heute ungewöhn¬ lich aufgeräumt, er trank, schwatzte, lachte und kneipte abwechselnd ein paar junge Weiber, die mit ihren Männern zum Weine gekommen waren, in die Backen, so daß einer der Anwesenden dem Wirthssohne zuflüsterte: Du, dein Gestrenger hat 'n Sturm. Da braucht's keine Brille um das zu sehen, erwiderte Friedrich. Die Sonnenwirthin, die vor den Leuten gute Miene zum bösen Spiele machen mußte, suchte ihrem Manne sein Betragen, womit er vielleicht bloß den um¬ laufenden Gerüchten zu trotzen beabsichtigte, durch Spottreden zu ver¬ leiden: Du bist so alt, sagte sie, daß die Männer da nicht einmal mehr eifersüchtig auf dich werden. Es ist auch ziemlich lang her, entgegnete der Sonnenwirth lachend, daß du ein junger Drach' gewe¬ sen bist, und euer Gift ist doch nur süß, so lang die Drachen jung sind. Ich weiß nicht, setzte er gegen die Gesellschaft gewendet hinzu, meine Alte ist das Leben ziemlich gewöhnt, sie ist verhärtet, aber wenn sie unser Herrgott oben hielt' und ich an den Füßen, ich glaub', ich ließ' schnappen und nähm' mir eine Junge. Ich wollt' auch, rief die Sonnenwirthin, unser Herrgott nähm' Eins von uns Beiden zu sich, dann ging' ich wieder nach Strümpfelbach. Das Gelächter, womit diese Reden aufgenommen wurden, bezeugte, daß an und für sich nichts Feindseliges damit gesagt sein sollte, wie man denn auch wußte, daß die Sonnenwirthin nicht von Strümpfelbach gebürtig war; es waren uralte landläufige Witze, die man im Scherze von den verträglichsten Ehepaaren hören konnte. Hier aber war ihnen viel geheime Galle
hätte ihm der Stolz und der Groll nicht zugelaſſen. Doch lobte er die alte Muskete und verglich ſie in ſeinem Sinn mit David's Saitenſpiel, vor welchem der böſe Geiſt von Saul entwich; denn mit jedem Schuſſe, der aus dem ſchwergeladenen Laufe fuhr, meinte er um einen Theil ſeines Unmuths erleichtert zu ſein, und es war ihm als ob er alle Hinderniſſe, die ſich ihm in dieſer ſchnöden Welt entge¬ genſtellten, über den Haufen ſchieße.
Dazwiſchen ging er einmal in die Sonne, um nachzuſehen, ob man ſeiner nicht bei der Bedienung der Gäſte bedürfe. Die Einkehr war dieſen Abend nicht ſo ſtark wie ſonſt, weil ſich die Neujahrsnachtgäſte in die vielen Wirthshäuſer des Fleckens vertheilten, und weil man wußte, daß der Sonnenwirth auf eine zeitige Ruhe mehr hielt als auf eine lange Sylveſterfeier. Derſelbe war jedoch heute ungewöhn¬ lich aufgeräumt, er trank, ſchwatzte, lachte und kneipte abwechſelnd ein paar junge Weiber, die mit ihren Männern zum Weine gekommen waren, in die Backen, ſo daß einer der Anweſenden dem Wirthsſohne zuflüſterte: Du, dein Geſtrenger hat 'n Sturm. Da braucht's keine Brille um das zu ſehen, erwiderte Friedrich. Die Sonnenwirthin, die vor den Leuten gute Miene zum böſen Spiele machen mußte, ſuchte ihrem Manne ſein Betragen, womit er vielleicht bloß den um¬ laufenden Gerüchten zu trotzen beabſichtigte, durch Spottreden zu ver¬ leiden: Du biſt ſo alt, ſagte ſie, daß die Männer da nicht einmal mehr eiferſüchtig auf dich werden. Es iſt auch ziemlich lang her, entgegnete der Sonnenwirth lachend, daß du ein junger Drach' gewe¬ ſen biſt, und euer Gift iſt doch nur ſüß, ſo lang die Drachen jung ſind. Ich weiß nicht, ſetzte er gegen die Geſellſchaft gewendet hinzu, meine Alte iſt das Leben ziemlich gewöhnt, ſie iſt verhärtet, aber wenn ſie unſer Herrgott oben hielt' und ich an den Füßen, ich glaub', ich ließ' ſchnappen und nähm' mir eine Junge. Ich wollt' auch, rief die Sonnenwirthin, unſer Herrgott nähm' Eins von uns Beiden zu ſich, dann ging' ich wieder nach Strümpfelbach. Das Gelächter, womit dieſe Reden aufgenommen wurden, bezeugte, daß an und für ſich nichts Feindſeliges damit geſagt ſein ſollte, wie man denn auch wußte, daß die Sonnenwirthin nicht von Strümpfelbach gebürtig war; es waren uralte landläufige Witze, die man im Scherze von den verträglichſten Ehepaaren hören konnte. Hier aber war ihnen viel geheime Galle
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0105"n="89"/>
hätte ihm der Stolz und der Groll nicht zugelaſſen. Doch lobte er<lb/>
die alte Muskete und verglich ſie in ſeinem Sinn mit David's<lb/>
Saitenſpiel, vor welchem der böſe Geiſt von Saul entwich; denn mit<lb/>
jedem Schuſſe, der aus dem ſchwergeladenen Laufe fuhr, meinte er<lb/>
um einen Theil ſeines Unmuths erleichtert zu ſein, und es war ihm<lb/>
als ob er alle Hinderniſſe, die ſich ihm in dieſer ſchnöden Welt entge¬<lb/>
genſtellten, über den Haufen ſchieße.</p><lb/><p>Dazwiſchen ging er einmal in die Sonne, um nachzuſehen, ob man<lb/>ſeiner nicht bei der Bedienung der Gäſte bedürfe. Die Einkehr war<lb/>
dieſen Abend nicht ſo ſtark wie ſonſt, weil ſich die Neujahrsnachtgäſte<lb/>
in die vielen Wirthshäuſer des Fleckens vertheilten, und weil man<lb/>
wußte, daß der Sonnenwirth auf eine zeitige Ruhe mehr hielt als<lb/>
auf eine lange Sylveſterfeier. Derſelbe war jedoch heute ungewöhn¬<lb/>
lich aufgeräumt, er trank, ſchwatzte, lachte und kneipte abwechſelnd<lb/>
ein paar junge Weiber, die mit ihren Männern zum Weine gekommen<lb/>
waren, in die Backen, ſo daß einer der Anweſenden dem Wirthsſohne<lb/>
zuflüſterte: Du, dein Geſtrenger hat 'n Sturm. Da braucht's keine<lb/>
Brille um das zu ſehen, erwiderte Friedrich. Die Sonnenwirthin,<lb/>
die vor den Leuten gute Miene zum böſen Spiele machen mußte,<lb/>ſuchte ihrem Manne ſein Betragen, womit er vielleicht bloß den um¬<lb/>
laufenden Gerüchten zu trotzen beabſichtigte, durch Spottreden zu ver¬<lb/>
leiden: Du biſt ſo alt, ſagte ſie, daß die Männer da nicht einmal<lb/>
mehr eiferſüchtig auf dich werden. Es iſt auch ziemlich lang her,<lb/>
entgegnete der Sonnenwirth lachend, daß du ein junger Drach' gewe¬<lb/>ſen biſt, und euer Gift iſt doch nur ſüß, ſo lang die Drachen jung<lb/>ſind. Ich weiß nicht, ſetzte er gegen die Geſellſchaft gewendet hinzu,<lb/>
meine Alte iſt das Leben ziemlich gewöhnt, ſie iſt verhärtet, aber<lb/>
wenn ſie unſer Herrgott oben hielt' und ich an den Füßen, ich glaub',<lb/>
ich ließ' ſchnappen und nähm' mir eine Junge. Ich wollt' auch, rief<lb/>
die Sonnenwirthin, unſer Herrgott nähm' Eins von uns Beiden zu<lb/>ſich, dann ging' ich wieder nach Strümpfelbach. Das Gelächter, womit<lb/>
dieſe Reden aufgenommen wurden, bezeugte, daß an und für ſich<lb/>
nichts Feindſeliges damit geſagt ſein ſollte, wie man denn auch wußte, daß<lb/>
die Sonnenwirthin nicht von Strümpfelbach gebürtig war; es waren<lb/>
uralte landläufige Witze, die man im Scherze von den verträglichſten<lb/>
Ehepaaren hören konnte. Hier aber war ihnen viel geheime Galle<lb/></p></div></body></text></TEI>
[89/0105]
hätte ihm der Stolz und der Groll nicht zugelaſſen. Doch lobte er
die alte Muskete und verglich ſie in ſeinem Sinn mit David's
Saitenſpiel, vor welchem der böſe Geiſt von Saul entwich; denn mit
jedem Schuſſe, der aus dem ſchwergeladenen Laufe fuhr, meinte er
um einen Theil ſeines Unmuths erleichtert zu ſein, und es war ihm
als ob er alle Hinderniſſe, die ſich ihm in dieſer ſchnöden Welt entge¬
genſtellten, über den Haufen ſchieße.
Dazwiſchen ging er einmal in die Sonne, um nachzuſehen, ob man
ſeiner nicht bei der Bedienung der Gäſte bedürfe. Die Einkehr war
dieſen Abend nicht ſo ſtark wie ſonſt, weil ſich die Neujahrsnachtgäſte
in die vielen Wirthshäuſer des Fleckens vertheilten, und weil man
wußte, daß der Sonnenwirth auf eine zeitige Ruhe mehr hielt als
auf eine lange Sylveſterfeier. Derſelbe war jedoch heute ungewöhn¬
lich aufgeräumt, er trank, ſchwatzte, lachte und kneipte abwechſelnd
ein paar junge Weiber, die mit ihren Männern zum Weine gekommen
waren, in die Backen, ſo daß einer der Anweſenden dem Wirthsſohne
zuflüſterte: Du, dein Geſtrenger hat 'n Sturm. Da braucht's keine
Brille um das zu ſehen, erwiderte Friedrich. Die Sonnenwirthin,
die vor den Leuten gute Miene zum böſen Spiele machen mußte,
ſuchte ihrem Manne ſein Betragen, womit er vielleicht bloß den um¬
laufenden Gerüchten zu trotzen beabſichtigte, durch Spottreden zu ver¬
leiden: Du biſt ſo alt, ſagte ſie, daß die Männer da nicht einmal
mehr eiferſüchtig auf dich werden. Es iſt auch ziemlich lang her,
entgegnete der Sonnenwirth lachend, daß du ein junger Drach' gewe¬
ſen biſt, und euer Gift iſt doch nur ſüß, ſo lang die Drachen jung
ſind. Ich weiß nicht, ſetzte er gegen die Geſellſchaft gewendet hinzu,
meine Alte iſt das Leben ziemlich gewöhnt, ſie iſt verhärtet, aber
wenn ſie unſer Herrgott oben hielt' und ich an den Füßen, ich glaub',
ich ließ' ſchnappen und nähm' mir eine Junge. Ich wollt' auch, rief
die Sonnenwirthin, unſer Herrgott nähm' Eins von uns Beiden zu
ſich, dann ging' ich wieder nach Strümpfelbach. Das Gelächter, womit
dieſe Reden aufgenommen wurden, bezeugte, daß an und für ſich
nichts Feindſeliges damit geſagt ſein ſollte, wie man denn auch wußte, daß
die Sonnenwirthin nicht von Strümpfelbach gebürtig war; es waren
uralte landläufige Witze, die man im Scherze von den verträglichſten
Ehepaaren hören konnte. Hier aber war ihnen viel geheime Galle
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Kurz, Hermann: Der Sonnenwirth. Frankfurt (Main), 1855, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kurz_sonnenwirth_1855/105>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.