Kürnberger, Ferdinand: Der Drache. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 11. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. [263]–310. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.der wenigen Zeilen wegen, die ihn angingen. Diese lernte er auswendig, wie ein Evangelium. Alles lachte und zitterte an ihm vor Freude, und preisend rief er ein über das andere Mal: Ja, der versteht noch das Weltregiment da droben! Rojas! Negeraufstand! -- lauter Lügen. Der Kreishauptmann sagte mir's gleich. Aber nun hat er die Schläge doch gekriegt, -- nur wie jener Schuljunge dort, wo er's am wenigsten vermuthend war. Siehste, du gelber Hallunk, es giebt noch Erdbeben, -- Schiffbrüche giebt's noch; -- der liebe Gott hat mehr als Eine Hand, du verlogener Strick! Der Doctor stellte sich unschuldig und fragte den Bauer, ob er jetzt auch noch wünsche, daß die Sache verschwiegen bleibe, oder ob er sein Ehrenwort wieder zurückbekäme? -- Tausend Spatzen lass' ich einfangen und heft' ihnen's an Schwanz, sagte Raithmeyer. -- Der Doctor trieb die Täuschung fast zu weit, indem er die ganze Wichtigkeit dieses Briefes so lau und langsam zu würdigen schien, da doch der Andere Feuer und Flamme war. Doch benützte er das erste Hochgefühl seines Patienten klüglich, um nun auch die nöthige Leibes-Diät von ihm auszufechten. Denn der Herzpolyp, sagte er, würde zwar nicht mehr wachsen, sollte er aber ganz und gar absterben, so müsse man ihn möglichst kurz halten u. s. w. Der Bauer lächelte in sich und dachte: er kann das "Doctern" nicht lassen, denn er fühlte sich schon wie ein Gesunder. Doch versprach er's, und ein wirkliches Zeichen seiner Genesung war es, daß er mit Selbstbekenntniß hinzufügte: er hätte ja nur aus Desperation ein Uebriges gethan, er wolle künftig dabei bleiben, wie er aufgewachsen. Dem glücklichen Ausgange dieser Geschichte würde nun nichts mehr hinzuzufügen erübrigen, wenn nicht der Bauer im Drange seines dankbaren Herzens gleich der wenigen Zeilen wegen, die ihn angingen. Diese lernte er auswendig, wie ein Evangelium. Alles lachte und zitterte an ihm vor Freude, und preisend rief er ein über das andere Mal: Ja, der versteht noch das Weltregiment da droben! Rojas! Negeraufstand! — lauter Lügen. Der Kreishauptmann sagte mir's gleich. Aber nun hat er die Schläge doch gekriegt, — nur wie jener Schuljunge dort, wo er's am wenigsten vermuthend war. Siehste, du gelber Hallunk, es giebt noch Erdbeben, — Schiffbrüche giebt's noch; — der liebe Gott hat mehr als Eine Hand, du verlogener Strick! Der Doctor stellte sich unschuldig und fragte den Bauer, ob er jetzt auch noch wünsche, daß die Sache verschwiegen bleibe, oder ob er sein Ehrenwort wieder zurückbekäme? — Tausend Spatzen lass' ich einfangen und heft' ihnen's an Schwanz, sagte Raithmeyer. — Der Doctor trieb die Täuschung fast zu weit, indem er die ganze Wichtigkeit dieses Briefes so lau und langsam zu würdigen schien, da doch der Andere Feuer und Flamme war. Doch benützte er das erste Hochgefühl seines Patienten klüglich, um nun auch die nöthige Leibes-Diät von ihm auszufechten. Denn der Herzpolyp, sagte er, würde zwar nicht mehr wachsen, sollte er aber ganz und gar absterben, so müsse man ihn möglichst kurz halten u. s. w. Der Bauer lächelte in sich und dachte: er kann das „Doctern“ nicht lassen, denn er fühlte sich schon wie ein Gesunder. Doch versprach er's, und ein wirkliches Zeichen seiner Genesung war es, daß er mit Selbstbekenntniß hinzufügte: er hätte ja nur aus Desperation ein Uebriges gethan, er wolle künftig dabei bleiben, wie er aufgewachsen. Dem glücklichen Ausgange dieser Geschichte würde nun nichts mehr hinzuzufügen erübrigen, wenn nicht der Bauer im Drange seines dankbaren Herzens gleich <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="3"> <p><pb facs="#f0047"/> der wenigen Zeilen wegen, die ihn angingen. Diese lernte er auswendig, wie ein Evangelium. Alles lachte und zitterte an ihm vor Freude, und preisend rief er ein über das andere Mal: Ja, der versteht noch das Weltregiment da droben! Rojas! Negeraufstand! — lauter Lügen. Der Kreishauptmann sagte mir's gleich. Aber nun hat er die Schläge doch gekriegt, — nur wie jener Schuljunge dort, wo er's am wenigsten vermuthend war. Siehste, du gelber Hallunk, es giebt noch Erdbeben, — Schiffbrüche giebt's noch; — der liebe Gott hat mehr als Eine Hand, du verlogener Strick!</p><lb/> <p>Der Doctor stellte sich unschuldig und fragte den Bauer, ob er jetzt auch noch wünsche, daß die Sache verschwiegen bleibe, oder ob er sein Ehrenwort wieder zurückbekäme? — Tausend Spatzen lass' ich einfangen und heft' ihnen's an Schwanz, sagte Raithmeyer. — Der Doctor trieb die Täuschung fast zu weit, indem er die ganze Wichtigkeit dieses Briefes so lau und langsam zu würdigen schien, da doch der Andere Feuer und Flamme war.</p><lb/> <p>Doch benützte er das erste Hochgefühl seines Patienten klüglich, um nun auch die nöthige Leibes-Diät von ihm auszufechten. Denn der Herzpolyp, sagte er, würde zwar nicht mehr wachsen, sollte er aber ganz und gar absterben, so müsse man ihn möglichst kurz halten u. s. w. Der Bauer lächelte in sich und dachte: er kann das „Doctern“ nicht lassen, denn er fühlte sich schon wie ein Gesunder. Doch versprach er's, und ein wirkliches Zeichen seiner Genesung war es, daß er mit Selbstbekenntniß hinzufügte: er hätte ja nur aus Desperation ein Uebriges gethan, er wolle künftig dabei bleiben, wie er aufgewachsen.</p><lb/> <p>Dem glücklichen Ausgange dieser Geschichte würde nun nichts mehr hinzuzufügen erübrigen, wenn nicht der Bauer im Drange seines dankbaren Herzens gleich<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0047]
der wenigen Zeilen wegen, die ihn angingen. Diese lernte er auswendig, wie ein Evangelium. Alles lachte und zitterte an ihm vor Freude, und preisend rief er ein über das andere Mal: Ja, der versteht noch das Weltregiment da droben! Rojas! Negeraufstand! — lauter Lügen. Der Kreishauptmann sagte mir's gleich. Aber nun hat er die Schläge doch gekriegt, — nur wie jener Schuljunge dort, wo er's am wenigsten vermuthend war. Siehste, du gelber Hallunk, es giebt noch Erdbeben, — Schiffbrüche giebt's noch; — der liebe Gott hat mehr als Eine Hand, du verlogener Strick!
Der Doctor stellte sich unschuldig und fragte den Bauer, ob er jetzt auch noch wünsche, daß die Sache verschwiegen bleibe, oder ob er sein Ehrenwort wieder zurückbekäme? — Tausend Spatzen lass' ich einfangen und heft' ihnen's an Schwanz, sagte Raithmeyer. — Der Doctor trieb die Täuschung fast zu weit, indem er die ganze Wichtigkeit dieses Briefes so lau und langsam zu würdigen schien, da doch der Andere Feuer und Flamme war.
Doch benützte er das erste Hochgefühl seines Patienten klüglich, um nun auch die nöthige Leibes-Diät von ihm auszufechten. Denn der Herzpolyp, sagte er, würde zwar nicht mehr wachsen, sollte er aber ganz und gar absterben, so müsse man ihn möglichst kurz halten u. s. w. Der Bauer lächelte in sich und dachte: er kann das „Doctern“ nicht lassen, denn er fühlte sich schon wie ein Gesunder. Doch versprach er's, und ein wirkliches Zeichen seiner Genesung war es, daß er mit Selbstbekenntniß hinzufügte: er hätte ja nur aus Desperation ein Uebriges gethan, er wolle künftig dabei bleiben, wie er aufgewachsen.
Dem glücklichen Ausgange dieser Geschichte würde nun nichts mehr hinzuzufügen erübrigen, wenn nicht der Bauer im Drange seines dankbaren Herzens gleich
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription.
(2017-03-15T13:57:16Z)
Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition.
(2017-03-15T13:57:16Z)
Weitere Informationen:Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |