Echo in sich hörte: "Ich danke Ihnen für dieses deutsche Wort," so begleitete ihn jetzt ein zweites: "Anche gli giorni!"
Für das unerquickliche Leben in Staunton's Haus bot zuletzt die Lage desselben einigen Trost. Hatte doch Moorfeld schon in Eu¬ ropa dieser Bedingung wahrgenommen, und hier mindestens war ihm alle Genugthuung geworden. Er erkannte es mit dankbarem Genusse. Wir sehen ihn manches Stündchen in seinem Fenster ver¬ rauchen oder vergeigen, das sonst vielleicht ein Spaziergang geworden wäre. Bei der anwachsenden Hitze der zweiten Maihälfte und dem un¬ auslöschlichen Staub der Newyorker Straßen lachte ihm der trockene tiefglühende Himmel des vierzigsten Breitegrades mit grenzenloser Be¬ quemlichkeit in's Haus herein. Unter seinen Fenstern blaute der Hud¬ son, breit, wie der Hellespont. Am andern Ufer, stromabwärts zur Linken, nagelten und hobelten Zimmerleute eine neue Stadt, Jersey- City, in die äußerste Landspitze hinaus; stromaufwärts, zur Rechten, grünte der schattige Baumgürtel von Hoboken herüber, der alte Hol¬ länder-Park, Newyorks classische Promenade. Mit seinem Dollond in der Hand mischte sich Moorfeld oft in's Menschengedränge der breiten Ulmenalleen, und las dem speculirenden Kaufmann, dem leichtsinnigen Matrosen, dem verhimmelten Quäcker und dem adonisirten Dandy die Prätensionen ihrer unsterblichen Seele von der Stirn. Ueber Jersey-City und Hoboken hinaus, erhob sich der Horizont zu sanften Hügelschwellen, auf welchen die Kaufleute Newyork's in weitver¬ streuten Landhäusern saßen und Sommerruhe hielten. Auf diese Eliten-Colonie, auf dieses Blumen-Bouquet Fortuna's richtete Moor¬ feld sein Fernrohr mit besonderm Wohlwollen. Das vis-a-vis so vieler Glücklichen erquickte ihn. Er wurde aus der Ferne Familien¬ freund ihrer Aller, er war ihnen dankbar dafür, wie rosenfarbig ihr Wohlstand einherging. Mochte er erworben sein, wie er wollte; ein Comptoir ist noch einmal so tugendhaft, wenn es in der Oran¬ gerie liegt; und wer fordert auch eine bessere Tugend vom Menschen, als daß er lache? Lachend aber waren sie wirklich, jene Villen und Gärten, lachend in des Wortes verwegenster Bedeutung; nur Eins mußte ihnen Moorfeld zu ihrer Ueppigkeit wünschen -- Geschmack. Hierin glichen sie vollständig Kindern, welche mit den Süßigkeiten ihres Lebens sich Backen, Mund, Kinn und Näschen coloriren, und
Echo in ſich hörte: „Ich danke Ihnen für dieſes deutſche Wort,” ſo begleitete ihn jetzt ein zweites: „Anche gli giorni!”
Für das unerquickliche Leben in Staunton's Haus bot zuletzt die Lage deſſelben einigen Troſt. Hatte doch Moorfeld ſchon in Eu¬ ropa dieſer Bedingung wahrgenommen, und hier mindeſtens war ihm alle Genugthuung geworden. Er erkannte es mit dankbarem Genuſſe. Wir ſehen ihn manches Stündchen in ſeinem Fenſter ver¬ rauchen oder vergeigen, das ſonſt vielleicht ein Spaziergang geworden wäre. Bei der anwachſenden Hitze der zweiten Maihälfte und dem un¬ auslöſchlichen Staub der Newyorker Straßen lachte ihm der trockene tiefglühende Himmel des vierzigſten Breitegrades mit grenzenloſer Be¬ quemlichkeit in's Haus herein. Unter ſeinen Fenſtern blaute der Hud¬ ſon, breit, wie der Hellespont. Am andern Ufer, ſtromabwärts zur Linken, nagelten und hobelten Zimmerleute eine neue Stadt, Jerſey- City, in die äußerſte Landſpitze hinaus; ſtromaufwärts, zur Rechten, grünte der ſchattige Baumgürtel von Hoboken herüber, der alte Hol¬ länder-Park, Newyorks claſſiſche Promenade. Mit ſeinem Dollond in der Hand miſchte ſich Moorfeld oft in's Menſchengedränge der breiten Ulmenalleen, und las dem ſpeculirenden Kaufmann, dem leichtſinnigen Matroſen, dem verhimmelten Quäcker und dem adoniſirten Dandy die Prätenſionen ihrer unſterblichen Seele von der Stirn. Ueber Jerſey-City und Hoboken hinaus, erhob ſich der Horizont zu ſanften Hügelſchwellen, auf welchen die Kaufleute Newyork's in weitver¬ ſtreuten Landhäuſern ſaßen und Sommerruhe hielten. Auf dieſe Eliten-Colonie, auf dieſes Blumen-Bouquet Fortuna's richtete Moor¬ feld ſein Fernrohr mit beſonderm Wohlwollen. Das vis-à-vis ſo vieler Glücklichen erquickte ihn. Er wurde aus der Ferne Familien¬ freund ihrer Aller, er war ihnen dankbar dafür, wie roſenfarbig ihr Wohlſtand einherging. Mochte er erworben ſein, wie er wollte; ein Comptoir iſt noch einmal ſo tugendhaft, wenn es in der Oran¬ gerie liegt; und wer fordert auch eine beſſere Tugend vom Menſchen, als daß er lache? Lachend aber waren ſie wirklich, jene Villen und Gärten, lachend in des Wortes verwegenſter Bedeutung; nur Eins mußte ihnen Moorfeld zu ihrer Ueppigkeit wünſchen — Geſchmack. Hierin glichen ſie vollſtändig Kindern, welche mit den Süßigkeiten ihres Lebens ſich Backen, Mund, Kinn und Näschen coloriren, und
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Echo in ſich hörte: „Ich danke Ihnen für dieſes deutſche Wort,”
ſo begleitete ihn jetzt ein zweites: „Anche gli giorni!”
Für das unerquickliche Leben in Staunton's Haus bot zuletzt
die Lage deſſelben einigen Troſt. Hatte doch Moorfeld ſchon in Eu¬
ropa dieſer Bedingung wahrgenommen, und hier mindeſtens war
ihm alle Genugthuung geworden. Er erkannte es mit dankbarem
Genuſſe. Wir ſehen ihn manches Stündchen in ſeinem Fenſter ver¬
rauchen oder vergeigen, das ſonſt vielleicht ein Spaziergang geworden
wäre. Bei der anwachſenden Hitze der zweiten Maihälfte und dem un¬
auslöſchlichen Staub der Newyorker Straßen lachte ihm der trockene
tiefglühende Himmel des vierzigſten Breitegrades mit grenzenloſer Be¬
quemlichkeit in's Haus herein. Unter ſeinen Fenſtern blaute der Hud¬
ſon, breit, wie der Hellespont. Am andern Ufer, ſtromabwärts zur
Linken, nagelten und hobelten Zimmerleute eine neue Stadt, Jerſey-
City, in die äußerſte Landſpitze hinaus; ſtromaufwärts, zur Rechten,
grünte der ſchattige Baumgürtel von Hoboken herüber, der alte Hol¬
länder-Park, Newyorks claſſiſche Promenade. Mit ſeinem Dollond in
der Hand miſchte ſich Moorfeld oft in's Menſchengedränge der breiten
Ulmenalleen, und las dem ſpeculirenden Kaufmann, dem leichtſinnigen
Matroſen, dem verhimmelten Quäcker und dem adoniſirten Dandy die
Prätenſionen ihrer unſterblichen Seele von der Stirn. Ueber
Jerſey-City und Hoboken hinaus, erhob ſich der Horizont zu ſanften
Hügelſchwellen, auf welchen die Kaufleute Newyork's in weitver¬
ſtreuten Landhäuſern ſaßen und Sommerruhe hielten. Auf dieſe
Eliten-Colonie, auf dieſes Blumen-Bouquet Fortuna's richtete Moor¬
feld ſein Fernrohr mit beſonderm Wohlwollen. Das vis-à-vis ſo
vieler Glücklichen erquickte ihn. Er wurde aus der Ferne Familien¬
freund ihrer Aller, er war ihnen dankbar dafür, wie roſenfarbig
ihr Wohlſtand einherging. Mochte er erworben ſein, wie er wollte;
ein Comptoir iſt noch einmal ſo tugendhaft, wenn es in der Oran¬
gerie liegt; und wer fordert auch eine beſſere Tugend vom Menſchen,
als daß er lache? Lachend aber waren ſie wirklich, jene Villen und
Gärten, lachend in des Wortes verwegenſter Bedeutung; nur Eins
mußte ihnen Moorfeld zu ihrer Ueppigkeit wünſchen — Geſchmack.
Hierin glichen ſie vollſtändig Kindern, welche mit den Süßigkeiten
ihres Lebens ſich Backen, Mund, Kinn und Näschen coloriren, und
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/94>, abgerufen am 24.11.2024.
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