Nicht mehr Weiblichkeit als in der Mutter, konnte Moorfeld in der Tochter entdecken. Miß Sarah Staunton begegnete dem Haus¬ genossen mit der pflichtschuldigen Würde einer amerikanischen Jung¬ frau. Freilich wissen wir nicht, ob sie diese Würde um ihrer selbst willen repräsentirte, oder des Eindrucks wegen, den sie damit hervorzubringen meinte. Vermuthlich das Letztere. Und wenn sie ihre hochgewachsene Figur, die wir artiger aber erlogener eine maje¬ stätische nennen sollten, in das stolzeste Aufrecht zu schwingen meinte, so zuckte oft plötzlich ein seltsamer Geist durch diesen künstlichen Strebe¬ pfeilerbau, der seine architektonischen Linien wunderlich verschob, ihre Haltung bekam etwas Einseitiges, Hinhorchendes, ihr trübblaues Auge fing zu lauern, zu lauschen und zu rechnen an, ihr ganzes Wesen hatte etwas zwecklos Geheimnißvolles; sie glich einem schlechten Räthsel, das theils zu dunkel, theils zu deutlich und in seiner schließlichen Auflösung nichtig ist. Moorfeld hatte es längst aufgelöst und war eben nicht der Mann, einem Mädchen die Tugend der Koketterie für ein Laster anzurechnen; als sie aber nach Tagen und Wochen einer anständigen Vertraulichkeit Moorfeld's mit erhobenem Finger die Er¬ innerung zudrohte: Sie wissen, ich habe Ihnen noch zu verzeihen, Mr. Muhrfield -- da erschrak er doch über die Armuth ihrer Mittel. Wenn sie schon das traurigste Genre von Koketten sind, jene Unver¬ söhnlichen, die sich stets zu versöhnen haben, so war Sarah's Thema für dieses Spiel bereits in der ersten Stunde ein so erfindungsloses, unglückliches, daß die Fortführung desselben gegen all ihre weiblichen Instincte zeugte. Was konnte Moorfeld anders, als dieser platten Talentlosigkeit den Rücken wenden?
Damit aber war das Haus Staunton für ihn zu Ende. Die Dome¬ stiken des Hauses schied nämlich in Amerika so gut, wie in Europa die sociale Sitte von ihm; ja sie dictirte hier gegen den weiblichen Theil eine Zurückhaltung und gegen den männlichen, der größtentheils der schwarzen Farbe angehörte, ein Racenvorurtheil, wie beides der frei¬ sinnigere Europäer nicht kennt. Und doch lehrte ihn der erste Blick, daß in diesem Hause, wie häufig, den Dienenden mehr menschlicher Fond innewohnen möge, als den Herrschenden.
Hariet, das Kammermädchen, oder die "Gehilfin" wie der Sprach¬ gebrauch sich ausdrückte, besaß schon den Vorzug einer großen weib¬
Nicht mehr Weiblichkeit als in der Mutter, konnte Moorfeld in der Tochter entdecken. Miß Sarah Staunton begegnete dem Haus¬ genoſſen mit der pflichtſchuldigen Würde einer amerikaniſchen Jung¬ frau. Freilich wiſſen wir nicht, ob ſie dieſe Würde um ihrer ſelbſt willen repräſentirte, oder des Eindrucks wegen, den ſie damit hervorzubringen meinte. Vermuthlich das Letztere. Und wenn ſie ihre hochgewachſene Figur, die wir artiger aber erlogener eine maje¬ ſtätiſche nennen ſollten, in das ſtolzeſte Aufrecht zu ſchwingen meinte, ſo zuckte oft plötzlich ein ſeltſamer Geiſt durch dieſen künſtlichen Strebe¬ pfeilerbau, der ſeine architektoniſchen Linien wunderlich verſchob, ihre Haltung bekam etwas Einſeitiges, Hinhorchendes, ihr trübblaues Auge fing zu lauern, zu lauſchen und zu rechnen an, ihr ganzes Weſen hatte etwas zwecklos Geheimnißvolles; ſie glich einem ſchlechten Räthſel, das theils zu dunkel, theils zu deutlich und in ſeiner ſchließlichen Auflöſung nichtig iſt. Moorfeld hatte es längſt aufgelöst und war eben nicht der Mann, einem Mädchen die Tugend der Koketterie für ein Laſter anzurechnen; als ſie aber nach Tagen und Wochen einer anſtändigen Vertraulichkeit Moorfeld's mit erhobenem Finger die Er¬ innerung zudrohte: Sie wiſſen, ich habe Ihnen noch zu verzeihen, Mr. Muhrfield — da erſchrak er doch über die Armuth ihrer Mittel. Wenn ſie ſchon das traurigſte Genre von Koketten ſind, jene Unver¬ ſöhnlichen, die ſich ſtets zu verſöhnen haben, ſo war Sarah's Thema für dieſes Spiel bereits in der erſten Stunde ein ſo erfindungsloſes, unglückliches, daß die Fortführung deſſelben gegen all ihre weiblichen Inſtincte zeugte. Was konnte Moorfeld anders, als dieſer platten Talentloſigkeit den Rücken wenden?
Damit aber war das Haus Staunton für ihn zu Ende. Die Dome¬ ſtiken des Hauſes ſchied nämlich in Amerika ſo gut, wie in Europa die ſociale Sitte von ihm; ja ſie dictirte hier gegen den weiblichen Theil eine Zurückhaltung und gegen den männlichen, der größtentheils der ſchwarzen Farbe angehörte, ein Racenvorurtheil, wie beides der frei¬ ſinnigere Europäer nicht kennt. Und doch lehrte ihn der erſte Blick, daß in dieſem Hauſe, wie häufig, den Dienenden mehr menſchlicher Fond innewohnen möge, als den Herrſchenden.
Hariet, das Kammermädchen, oder die „Gehilfin” wie der Sprach¬ gebrauch ſich ausdrückte, beſaß ſchon den Vorzug einer großen weib¬
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Nicht mehr Weiblichkeit als in der Mutter, konnte Moorfeld in
der Tochter entdecken. Miß Sarah Staunton begegnete dem Haus¬
genoſſen mit der pflichtſchuldigen Würde einer amerikaniſchen Jung¬
frau. Freilich wiſſen wir nicht, ob ſie dieſe Würde um ihrer
ſelbſt willen repräſentirte, oder des Eindrucks wegen, den ſie damit
hervorzubringen meinte. Vermuthlich das Letztere. Und wenn ſie
ihre hochgewachſene Figur, die wir artiger aber erlogener eine maje¬
ſtätiſche nennen ſollten, in das ſtolzeſte Aufrecht zu ſchwingen meinte,
ſo zuckte oft plötzlich ein ſeltſamer Geiſt durch dieſen künſtlichen Strebe¬
pfeilerbau, der ſeine architektoniſchen Linien wunderlich verſchob, ihre
Haltung bekam etwas Einſeitiges, Hinhorchendes, ihr trübblaues Auge
fing zu lauern, zu lauſchen und zu rechnen an, ihr ganzes Weſen
hatte etwas zwecklos Geheimnißvolles; ſie glich einem ſchlechten Räthſel,
das theils zu dunkel, theils zu deutlich und in ſeiner ſchließlichen
Auflöſung nichtig iſt. Moorfeld hatte es längſt aufgelöst und war
eben nicht der Mann, einem Mädchen die Tugend der Koketterie für
ein Laſter anzurechnen; als ſie aber nach Tagen und Wochen einer
anſtändigen Vertraulichkeit Moorfeld's mit erhobenem Finger die Er¬
innerung zudrohte: Sie wiſſen, ich habe Ihnen noch zu verzeihen,
Mr. Muhrfield — da erſchrak er doch über die Armuth ihrer Mittel.
Wenn ſie ſchon das traurigſte Genre von Koketten ſind, jene Unver¬
ſöhnlichen, die ſich ſtets zu verſöhnen haben, ſo war Sarah's Thema
für dieſes Spiel bereits in der erſten Stunde ein ſo erfindungsloſes,
unglückliches, daß die Fortführung deſſelben gegen all ihre weiblichen
Inſtincte zeugte. Was konnte Moorfeld anders, als dieſer platten
Talentloſigkeit den Rücken wenden?
Damit aber war das Haus Staunton für ihn zu Ende. Die Dome¬
ſtiken des Hauſes ſchied nämlich in Amerika ſo gut, wie in Europa die
ſociale Sitte von ihm; ja ſie dictirte hier gegen den weiblichen Theil
eine Zurückhaltung und gegen den männlichen, der größtentheils der
ſchwarzen Farbe angehörte, ein Racenvorurtheil, wie beides der frei¬
ſinnigere Europäer nicht kennt. Und doch lehrte ihn der erſte Blick,
daß in dieſem Hauſe, wie häufig, den Dienenden mehr menſchlicher
Fond innewohnen möge, als den Herrſchenden.
Hariet, das Kammermädchen, oder die „Gehilfin” wie der Sprach¬
gebrauch ſich ausdrückte, beſaß ſchon den Vorzug einer großen weib¬
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/90>, abgerufen am 24.11.2024.
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