stellen konnte, aus der Masse des Stoffes zusammenstellen. Dazu bedurfte er der Zeitungen und Bibliotheken Newyorks. Er entschied sich daher in der Versuchung, jene Ferien in Reiseausflügen zu ge¬ nießen, oder sie an seinen städtischen Aufenthalt zu wenden, gewissen¬ haft für's letztere. Er kehrte in Mr. Staunton's Haus zurück.
Denn noch sah er keine dringende Ursache vor sich, mit diesem Hause zu wechseln, zumal da er den Tag größtentheils auswärts zu¬ brachte. Genußvoll war aber sein Aufenthalt darin nicht. Ja, wenn wir später eine Summe von Ursachen zu einer betrübnißvollen Wir¬ kung anwachsen sehen, so dürfen wir die ersten Posten dieser Summe vielleicht schon dem Hause Staunton anrechnen, das mit seiner still¬ corrosiven Langweile und Kaltherzigkeit ein energisch-empfindendes Ge¬ müth gewiß gründlicher als es ihm selbst bewußt geworden ist, auf den folgenden Umschlag vorbereitet hat. Sein Verhältniß, oder viel¬ mehr seine Verhältnißlosigkeit zu diesem Hause war aber folgendes:
Mr. Josua Staunton öffnete über Tisch -- und sonst sah ihn Moorfeld nicht -- kaum auf eine andre Veranlassung den Mund, als um Amerika's Lob zu verkünden. Er war im Ausdrucke seiner Na¬ tionaleitelkeit eben so kindisch-übertrieben, als in der Nichtachtung fremder Nationalitäten naiv-unverschämt. Moorfeld ließ ihn das Lächer¬ liche dieser Schwäche, wie gleich zuerst so auch fortwährend, durch die Figur der Ironie fühlen; er antwortete ironisch, wenn er überhaupt ant¬ wortete. Manchmal that er's auch nicht. Denn was sollte er einem Mann erwiedern, der sich mit vollen Backen rühmt: unser südlicher Himmel, unsre nordische Thätigkeit, Geist und Natur im Verein erhalten uns vor allen Völkern der Erde bei ewiger Jugend; Sie werden in Amerika keinen alten Mann sehen -- wenn die Backen desselben Redners ge¬ schminkt, seine Zähne falsch, seine Haare gefärbt und die Rundung seiner Glieder Baumwolle ist? Eine solche Herausforderung anzuneh¬ men, fand unser Freund nicht einmal im Scherze gentil: mitleidiges Achselzucken blieb ihm allein übrig. Und doch schien der Gentleman noch immer näher auf Staunton's, als auf Moorfeld's blühender Seite zu stehen; denn jener hatte, wie er auch übertreiben mochte, ein achtunggebietendes Vaterland zu seiner Folie, diesem fehlte es. Um so sittlicher es aber ist, eine Nation als ein Ich zu vertreten, um so mehr lag Staunton's Stellung innerhalb und Moorfeld's außerhalb
ſtellen konnte, aus der Maſſe des Stoffes zuſammenſtellen. Dazu bedurfte er der Zeitungen und Bibliotheken Newyorks. Er entſchied ſich daher in der Verſuchung, jene Ferien in Reiſeausflügen zu ge¬ nießen, oder ſie an ſeinen ſtädtiſchen Aufenthalt zu wenden, gewiſſen¬ haft für's letztere. Er kehrte in Mr. Staunton's Haus zurück.
Denn noch ſah er keine dringende Urſache vor ſich, mit dieſem Hauſe zu wechſeln, zumal da er den Tag größtentheils auswärts zu¬ brachte. Genußvoll war aber ſein Aufenthalt darin nicht. Ja, wenn wir ſpäter eine Summe von Urſachen zu einer betrübnißvollen Wir¬ kung anwachſen ſehen, ſo dürfen wir die erſten Poſten dieſer Summe vielleicht ſchon dem Hauſe Staunton anrechnen, das mit ſeiner ſtill¬ corroſiven Langweile und Kaltherzigkeit ein energiſch-empfindendes Ge¬ müth gewiß gründlicher als es ihm ſelbſt bewußt geworden iſt, auf den folgenden Umſchlag vorbereitet hat. Sein Verhältniß, oder viel¬ mehr ſeine Verhältnißloſigkeit zu dieſem Hauſe war aber folgendes:
Mr. Joſua Staunton öffnete über Tiſch — und ſonſt ſah ihn Moorfeld nicht — kaum auf eine andre Veranlaſſung den Mund, als um Amerika's Lob zu verkünden. Er war im Ausdrucke ſeiner Na¬ tionaleitelkeit eben ſo kindiſch-übertrieben, als in der Nichtachtung fremder Nationalitäten naiv-unverſchämt. Moorfeld ließ ihn das Lächer¬ liche dieſer Schwäche, wie gleich zuerſt ſo auch fortwährend, durch die Figur der Ironie fühlen; er antwortete ironiſch, wenn er überhaupt ant¬ wortete. Manchmal that er's auch nicht. Denn was ſollte er einem Mann erwiedern, der ſich mit vollen Backen rühmt: unſer ſüdlicher Himmel, unſre nordiſche Thätigkeit, Geiſt und Natur im Verein erhalten uns vor allen Völkern der Erde bei ewiger Jugend; Sie werden in Amerika keinen alten Mann ſehen — wenn die Backen deſſelben Redners ge¬ ſchminkt, ſeine Zähne falſch, ſeine Haare gefärbt und die Rundung ſeiner Glieder Baumwolle iſt? Eine ſolche Herausforderung anzuneh¬ men, fand unſer Freund nicht einmal im Scherze gentil: mitleidiges Achſelzucken blieb ihm allein übrig. Und doch ſchien der Gentleman noch immer näher auf Staunton's, als auf Moorfeld's blühender Seite zu ſtehen; denn jener hatte, wie er auch übertreiben mochte, ein achtunggebietendes Vaterland zu ſeiner Folie, dieſem fehlte es. Um ſo ſittlicher es aber iſt, eine Nation als ein Ich zu vertreten, um ſo mehr lag Staunton's Stellung innerhalb und Moorfeld's außerhalb
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[69/0087]
ſtellen konnte, aus der Maſſe des Stoffes zuſammenſtellen. Dazu
bedurfte er der Zeitungen und Bibliotheken Newyorks. Er entſchied
ſich daher in der Verſuchung, jene Ferien in Reiſeausflügen zu ge¬
nießen, oder ſie an ſeinen ſtädtiſchen Aufenthalt zu wenden, gewiſſen¬
haft für's letztere. Er kehrte in Mr. Staunton's Haus zurück.
Denn noch ſah er keine dringende Urſache vor ſich, mit dieſem
Hauſe zu wechſeln, zumal da er den Tag größtentheils auswärts zu¬
brachte. Genußvoll war aber ſein Aufenthalt darin nicht. Ja, wenn
wir ſpäter eine Summe von Urſachen zu einer betrübnißvollen Wir¬
kung anwachſen ſehen, ſo dürfen wir die erſten Poſten dieſer Summe
vielleicht ſchon dem Hauſe Staunton anrechnen, das mit ſeiner ſtill¬
corroſiven Langweile und Kaltherzigkeit ein energiſch-empfindendes Ge¬
müth gewiß gründlicher als es ihm ſelbſt bewußt geworden iſt, auf
den folgenden Umſchlag vorbereitet hat. Sein Verhältniß, oder viel¬
mehr ſeine Verhältnißloſigkeit zu dieſem Hauſe war aber folgendes:
Mr. Joſua Staunton öffnete über Tiſch — und ſonſt ſah ihn
Moorfeld nicht — kaum auf eine andre Veranlaſſung den Mund, als
um Amerika's Lob zu verkünden. Er war im Ausdrucke ſeiner Na¬
tionaleitelkeit eben ſo kindiſch-übertrieben, als in der Nichtachtung
fremder Nationalitäten naiv-unverſchämt. Moorfeld ließ ihn das Lächer¬
liche dieſer Schwäche, wie gleich zuerſt ſo auch fortwährend, durch die
Figur der Ironie fühlen; er antwortete ironiſch, wenn er überhaupt ant¬
wortete. Manchmal that er's auch nicht. Denn was ſollte er einem Mann
erwiedern, der ſich mit vollen Backen rühmt: unſer ſüdlicher Himmel,
unſre nordiſche Thätigkeit, Geiſt und Natur im Verein erhalten uns vor
allen Völkern der Erde bei ewiger Jugend; Sie werden in Amerika
keinen alten Mann ſehen — wenn die Backen deſſelben Redners ge¬
ſchminkt, ſeine Zähne falſch, ſeine Haare gefärbt und die Rundung
ſeiner Glieder Baumwolle iſt? Eine ſolche Herausforderung anzuneh¬
men, fand unſer Freund nicht einmal im Scherze gentil: mitleidiges
Achſelzucken blieb ihm allein übrig. Und doch ſchien der Gentleman
noch immer näher auf Staunton's, als auf Moorfeld's blühender
Seite zu ſtehen; denn jener hatte, wie er auch übertreiben mochte, ein
achtunggebietendes Vaterland zu ſeiner Folie, dieſem fehlte es. Um
ſo ſittlicher es aber iſt, eine Nation als ein Ich zu vertreten, um ſo
mehr lag Staunton's Stellung innerhalb und Moorfeld's außerhalb
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 69. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/87>, abgerufen am 24.11.2024.
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