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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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Moorfeld erwiederte: ein ritterlicher Zug habe ihn vor Allem an¬
gesprochen. In Europa sei es gebräuchlich, nur über dem Grabe
eines verdienten Kriegers Gewehrsalven zu geben, höchstens erweise noch
der romantische Waidmann dem letzten Röcheln eines verendenden
Edelwilds diese Ehre. In Amerika aber sei es ausnehmend zart und
sinnig, daß man auch das überwältigte Element mit militärischer Cour¬
toisie behandle, und über dem gelöschten Brande, wie über einem ge¬
fallenen Helden, die Gewehre abfeuere. Ja, der Eifer für diese rühm¬
liche Sitte ginge so weit, daß die edle Jugend dieses Erlöschen oft
nicht einmal abwarte, sondern mitten im robustesten Brande Feuer
gebe, und zwar auf sich selbst und das Publikum. Dieser letztere Zug
habe ihm wieder heroische Bilder vor den Geist gebracht, nämlich die
Fechterspiele der Römer an vornehmen Scheiterhaufen, oder auch jenes
aufopferungsvolle Schlachten getreuer Waffenträger am Grabe ihres
Herrn, welches bei den meisten Kriegervölkern des Alterthums geherrscht
habe. Nur schienen ihm die Revolvers über eine ganz geringe Distanz
hinaus kein sicheres Feuergeschoß mehr, so daß er glaube, die morgigen
Zeitungen werden blos von Verwundungen, nicht aber von einem
eigentlichen Opfertod zu berichten haben. -- Herr Staunton erblaßte,
als er in dieser ganzen Lobrede von einer jener Rowdie-Schlachten
hörte, welche auf dem öffentlichen Leben Amerika's mit so großer
Schande lasten; Moorfeld fuhr aber in seiner ironischen Anerkennung
fort: daß die Sonntagsruhe Amerika's durch diese Sonntagsthätigkeit
erst ihr eigentliches Relief erhalte, habe er überhaupt mit aufrichtiger
Genugthuung erfahren. Es stand von den ungeheuren Energien
Amerika's zu erwarten, daß das zurückgepreßte Leben auf irgend eine
Weise sich zu entfesseln wisse, und zwar um so gewaltsamer, je stren¬
ger es gefesselt sei -- ganz nach den physischen Kraftverhältnissen von
Druck und Gegendruck. Dieses sonntägliche Kampfspiel der Newyorker-
Feuerwehr sei ihm daher ein schätzbarer Commentar gewesen zu dem
Briefe Paulus an die Römer XIV. 5, da er schreibt: "Welcher auf
die Tage hält, der thut es dem Herrn, und welcher nichts darauf
hält, der thut es auch dem Herrn."

Das ist von allen verdammten Deutschen der verdammteste! mur¬
melte Herr Staunton zwischen seine eingesetzten Zähne, als sein Gast
mit einem verbindlichen Gruße vom Tische aufgestanden. -- --

Moorfeld erwiederte: ein ritterlicher Zug habe ihn vor Allem an¬
geſprochen. In Europa ſei es gebräuchlich, nur über dem Grabe
eines verdienten Kriegers Gewehrſalven zu geben, höchſtens erweiſe noch
der romantiſche Waidmann dem letzten Röcheln eines verendenden
Edelwilds dieſe Ehre. In Amerika aber ſei es ausnehmend zart und
ſinnig, daß man auch das überwältigte Element mit militäriſcher Cour¬
toiſie behandle, und über dem gelöſchten Brande, wie über einem ge¬
fallenen Helden, die Gewehre abfeuere. Ja, der Eifer für dieſe rühm¬
liche Sitte ginge ſo weit, daß die edle Jugend dieſes Erlöſchen oft
nicht einmal abwarte, ſondern mitten im robuſteſten Brande Feuer
gebe, und zwar auf ſich ſelbſt und das Publikum. Dieſer letztere Zug
habe ihm wieder heroiſche Bilder vor den Geiſt gebracht, nämlich die
Fechterſpiele der Römer an vornehmen Scheiterhaufen, oder auch jenes
aufopferungsvolle Schlachten getreuer Waffenträger am Grabe ihres
Herrn, welches bei den meiſten Kriegervölkern des Alterthums geherrſcht
habe. Nur ſchienen ihm die Revolvers über eine ganz geringe Diſtanz
hinaus kein ſicheres Feuergeſchoß mehr, ſo daß er glaube, die morgigen
Zeitungen werden blos von Verwundungen, nicht aber von einem
eigentlichen Opfertod zu berichten haben. — Herr Staunton erblaßte,
als er in dieſer ganzen Lobrede von einer jener Rowdie-Schlachten
hörte, welche auf dem öffentlichen Leben Amerika's mit ſo großer
Schande laſten; Moorfeld fuhr aber in ſeiner ironiſchen Anerkennung
fort: daß die Sonntagsruhe Amerika's durch dieſe Sonntagsthätigkeit
erſt ihr eigentliches Relief erhalte, habe er überhaupt mit aufrichtiger
Genugthuung erfahren. Es ſtand von den ungeheuren Energien
Amerika's zu erwarten, daß das zurückgepreßte Leben auf irgend eine
Weiſe ſich zu entfeſſeln wiſſe, und zwar um ſo gewaltſamer, je ſtren¬
ger es gefeſſelt ſei — ganz nach den phyſiſchen Kraftverhältniſſen von
Druck und Gegendruck. Dieſes ſonntägliche Kampfſpiel der Newyorker-
Feuerwehr ſei ihm daher ein ſchätzbarer Commentar geweſen zu dem
Briefe Paulus an die Römer XIV. 5, da er ſchreibt: „Welcher auf
die Tage hält, der thut es dem Herrn, und welcher nichts darauf
hält, der thut es auch dem Herrn.“

Das iſt von allen verdammten Deutſchen der verdammteſte! mur¬
melte Herr Staunton zwiſchen ſeine eingeſetzten Zähne, als ſein Gaſt
mit einem verbindlichen Gruße vom Tiſche aufgeſtanden. — —

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[45/0063] Moorfeld erwiederte: ein ritterlicher Zug habe ihn vor Allem an¬ geſprochen. In Europa ſei es gebräuchlich, nur über dem Grabe eines verdienten Kriegers Gewehrſalven zu geben, höchſtens erweiſe noch der romantiſche Waidmann dem letzten Röcheln eines verendenden Edelwilds dieſe Ehre. In Amerika aber ſei es ausnehmend zart und ſinnig, daß man auch das überwältigte Element mit militäriſcher Cour¬ toiſie behandle, und über dem gelöſchten Brande, wie über einem ge¬ fallenen Helden, die Gewehre abfeuere. Ja, der Eifer für dieſe rühm¬ liche Sitte ginge ſo weit, daß die edle Jugend dieſes Erlöſchen oft nicht einmal abwarte, ſondern mitten im robuſteſten Brande Feuer gebe, und zwar auf ſich ſelbſt und das Publikum. Dieſer letztere Zug habe ihm wieder heroiſche Bilder vor den Geiſt gebracht, nämlich die Fechterſpiele der Römer an vornehmen Scheiterhaufen, oder auch jenes aufopferungsvolle Schlachten getreuer Waffenträger am Grabe ihres Herrn, welches bei den meiſten Kriegervölkern des Alterthums geherrſcht habe. Nur ſchienen ihm die Revolvers über eine ganz geringe Diſtanz hinaus kein ſicheres Feuergeſchoß mehr, ſo daß er glaube, die morgigen Zeitungen werden blos von Verwundungen, nicht aber von einem eigentlichen Opfertod zu berichten haben. — Herr Staunton erblaßte, als er in dieſer ganzen Lobrede von einer jener Rowdie-Schlachten hörte, welche auf dem öffentlichen Leben Amerika's mit ſo großer Schande laſten; Moorfeld fuhr aber in ſeiner ironiſchen Anerkennung fort: daß die Sonntagsruhe Amerika's durch dieſe Sonntagsthätigkeit erſt ihr eigentliches Relief erhalte, habe er überhaupt mit aufrichtiger Genugthuung erfahren. Es ſtand von den ungeheuren Energien Amerika's zu erwarten, daß das zurückgepreßte Leben auf irgend eine Weiſe ſich zu entfeſſeln wiſſe, und zwar um ſo gewaltſamer, je ſtren¬ ger es gefeſſelt ſei — ganz nach den phyſiſchen Kraftverhältniſſen von Druck und Gegendruck. Dieſes ſonntägliche Kampfſpiel der Newyorker- Feuerwehr ſei ihm daher ein ſchätzbarer Commentar geweſen zu dem Briefe Paulus an die Römer XIV. 5, da er ſchreibt: „Welcher auf die Tage hält, der thut es dem Herrn, und welcher nichts darauf hält, der thut es auch dem Herrn.“ Das iſt von allen verdammten Deutſchen der verdammteſte! mur¬ melte Herr Staunton zwiſchen ſeine eingeſetzten Zähne, als ſein Gaſt mit einem verbindlichen Gruße vom Tiſche aufgeſtanden. — —

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/63>, abgerufen am 24.11.2024.