Als Moorfeld zum Dejeuner in die gestrige Gruppe eintrat, fiel ihm "unser Daniel" wieder mit neuer Schwere auf die Seele. Er beschloß sogleich die Conversation darauf hinzuleiten. Er glaubte mit einer Artigkeit beginnen zu müssen, und drückte dem Hause Staun¬ ton sein Bedauern aus, daß er heut morgen seine Sabbathruhe ent¬ weiht. Er hätte sein Violinspiel sogleich mit einem Spaziergang ver¬ tauscht, als er vernommen -- aber die Damen Staunton sahen sich in diesem Augenblicke so bedenklich an, daß Moorfeld, ohne mehr zu sagen, vielmehr das schon Gesagte in eine erschrockene Erwägung zog.
Herr Staunton beschwichtigte die dreifache Verlegenheit und sagte mit einem liberalen Ausdruck: Die Vernünftigeren in Newyork wer¬ den nicht lange mehr einen Spaziergang für eine Profanation des Sonntags halten. Und macht es auch zur Zeit noch Niemand mit, namentlich während der Kirchenstunde nicht, so denkt man hier doch nachsichtiger darüber als z. B. in Boston. Ein Spaziergang, rath' ich, wird bald ein erlaubtes Sonntagsvergnügen in unsrer erleuchteten Weltstadt sein.
Ist's möglich?! rief Moorfeld auf dem Gange draußen, denn er hatte bei Herrn Staunton's Worten -- was hilft es, die Wahrheit zu mildern -- mit einem wahren Grimm seine Serviette nieder¬ gelegt. Unter dem Vorwande der gestrigen Indigestion war er auf¬ gestanden.
Auf dem Corridor begegnete ihm Jack, der aufwartende Neger. Der Bursche lachte ihn mit verzücktem Augenzwicken an, machte die Gebärde des Violinspielens, zuckte tanzend mit den Fußspitzen und sagte kopfnickend: Sar, schön! schön! heut morgen; Banjo in Ihrer Hand spricht gute Sprache, Sar! Mehr aus seinen Gebärden als aus seinen Worten errieth Moorfeld die Meinung des Schwarzen. Er drückte ihm beide Hände, indem er dem drolligen Gesichte gerührt, fast begeistert in's Auge sah. Aber wir haben eine Sünde begangen, Jack, fügte er wehmüthig lächelnd hinzu, der heilige Sonntag verbietet's. Ach, was macht man mit eurem Sonntag hier! -- Man geht zum Feuer, Sar, sagte der Neger, indem er den Ausruf für eine Frage nahm und als solche gewissenhaft beantwortete. Zum Feuer, wieder¬ holte Moorfeld verwundert, zu welchem Feuer? -- Ei, antwortete Jack, die jungen Herren von den Löschcompagnien vertreiben sich den
Als Moorfeld zum Dejeuner in die geſtrige Gruppe eintrat, fiel ihm „unſer Daniel“ wieder mit neuer Schwere auf die Seele. Er beſchloß ſogleich die Converſation darauf hinzuleiten. Er glaubte mit einer Artigkeit beginnen zu müſſen, und drückte dem Hauſe Staun¬ ton ſein Bedauern aus, daß er heut morgen ſeine Sabbathruhe ent¬ weiht. Er hätte ſein Violinſpiel ſogleich mit einem Spaziergang ver¬ tauſcht, als er vernommen — aber die Damen Staunton ſahen ſich in dieſem Augenblicke ſo bedenklich an, daß Moorfeld, ohne mehr zu ſagen, vielmehr das ſchon Geſagte in eine erſchrockene Erwägung zog.
Herr Staunton beſchwichtigte die dreifache Verlegenheit und ſagte mit einem liberalen Ausdruck: Die Vernünftigeren in Newyork wer¬ den nicht lange mehr einen Spaziergang für eine Profanation des Sonntags halten. Und macht es auch zur Zeit noch Niemand mit, namentlich während der Kirchenſtunde nicht, ſo denkt man hier doch nachſichtiger darüber als z. B. in Boſton. Ein Spaziergang, rath' ich, wird bald ein erlaubtes Sonntagsvergnügen in unſrer erleuchteten Weltſtadt ſein.
Iſt's möglich?! rief Moorfeld auf dem Gange draußen, denn er hatte bei Herrn Staunton's Worten — was hilft es, die Wahrheit zu mildern — mit einem wahren Grimm ſeine Serviette nieder¬ gelegt. Unter dem Vorwande der geſtrigen Indigeſtion war er auf¬ geſtanden.
Auf dem Corridor begegnete ihm Jack, der aufwartende Neger. Der Burſche lachte ihn mit verzücktem Augenzwicken an, machte die Gebärde des Violinſpielens, zuckte tanzend mit den Fußſpitzen und ſagte kopfnickend: Sar, ſchön! ſchön! heut morgen; Banjo in Ihrer Hand ſpricht gute Sprache, Sar! Mehr aus ſeinen Gebärden als aus ſeinen Worten errieth Moorfeld die Meinung des Schwarzen. Er drückte ihm beide Hände, indem er dem drolligen Geſichte gerührt, faſt begeiſtert in's Auge ſah. Aber wir haben eine Sünde begangen, Jack, fügte er wehmüthig lächelnd hinzu, der heilige Sonntag verbietet's. Ach, was macht man mit eurem Sonntag hier! — Man geht zum Feuer, Sar, ſagte der Neger, indem er den Ausruf für eine Frage nahm und als ſolche gewiſſenhaft beantwortete. Zum Feuer, wieder¬ holte Moorfeld verwundert, zu welchem Feuer? — Ei, antwortete Jack, die jungen Herren von den Löſchcompagnien vertreiben ſich den
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Als Moorfeld zum Dejeuner in die geſtrige Gruppe eintrat,
fiel ihm „unſer Daniel“ wieder mit neuer Schwere auf die Seele.
Er beſchloß ſogleich die Converſation darauf hinzuleiten. Er glaubte
mit einer Artigkeit beginnen zu müſſen, und drückte dem Hauſe Staun¬
ton ſein Bedauern aus, daß er heut morgen ſeine Sabbathruhe ent¬
weiht. Er hätte ſein Violinſpiel ſogleich mit einem Spaziergang ver¬
tauſcht, als er vernommen — aber die Damen Staunton ſahen ſich
in dieſem Augenblicke ſo bedenklich an, daß Moorfeld, ohne mehr zu
ſagen, vielmehr das ſchon Geſagte in eine erſchrockene Erwägung zog.
Herr Staunton beſchwichtigte die dreifache Verlegenheit und ſagte
mit einem liberalen Ausdruck: Die Vernünftigeren in Newyork wer¬
den nicht lange mehr einen Spaziergang für eine Profanation des
Sonntags halten. Und macht es auch zur Zeit noch Niemand mit,
namentlich während der Kirchenſtunde nicht, ſo denkt man hier doch
nachſichtiger darüber als z. B. in Boſton. Ein Spaziergang, rath'
ich, wird bald ein erlaubtes Sonntagsvergnügen in unſrer erleuchteten
Weltſtadt ſein.
Iſt's möglich?! rief Moorfeld auf dem Gange draußen, denn er
hatte bei Herrn Staunton's Worten — was hilft es, die Wahrheit
zu mildern — mit einem wahren Grimm ſeine Serviette nieder¬
gelegt. Unter dem Vorwande der geſtrigen Indigeſtion war er auf¬
geſtanden.
Auf dem Corridor begegnete ihm Jack, der aufwartende Neger.
Der Burſche lachte ihn mit verzücktem Augenzwicken an, machte die
Gebärde des Violinſpielens, zuckte tanzend mit den Fußſpitzen und
ſagte kopfnickend: Sar, ſchön! ſchön! heut morgen; Banjo in Ihrer
Hand ſpricht gute Sprache, Sar! Mehr aus ſeinen Gebärden als
aus ſeinen Worten errieth Moorfeld die Meinung des Schwarzen. Er
drückte ihm beide Hände, indem er dem drolligen Geſichte gerührt, faſt
begeiſtert in's Auge ſah. Aber wir haben eine Sünde begangen, Jack,
fügte er wehmüthig lächelnd hinzu, der heilige Sonntag verbietet's.
Ach, was macht man mit eurem Sonntag hier! — Man geht zum
Feuer, Sar, ſagte der Neger, indem er den Ausruf für eine Frage
nahm und als ſolche gewiſſenhaft beantwortete. Zum Feuer, wieder¬
holte Moorfeld verwundert, zu welchem Feuer? — Ei, antwortete
Jack, die jungen Herren von den Löſchcompagnien vertreiben ſich den
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/57>, abgerufen am 23.11.2024.
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