Ohne Besinnen befahl er dem Kutscher, in das nördliche Stadt¬ quartier zu fahren. Der Kutscher weigerte sich. Nach langem Wort¬ wechsel entschloß sich Moorfeld, auszusteigen und die unermeßliche Strecke zu Fuß auf sich zu nehmen, dem Zufall überlassend, ob ihm unterwegs ein willigerer Kutscher aufstoßen würde.
Aber kaum hatte er einige hundert Schritte zurückgelegt, als ihm wiederholt Menschen entgegen kamen, welche mit hastigen Schritten und erschrockenen Mienen ihm die Worte zuriefen: Kehren Sie um, Sir, die Stadt ist heute in schlimmen Händen! Und je weiter er vordrang, desto sprechender bestätigte Alles diese Warnung. Er fand hier einen Revolver, dort einen Schlagriemen, hier eine grimmig zertretene Alarm¬ trommel, dort Blutspuren auf seinem Wege.
So erreichte er City-Hall. Welch ein Schauspiel! Das Stadthaus, der Sitz der Ordnung und Gewalt, der Thron der bürgerlichen Maje¬ stät, der Herzmuskel, von welchem Gesetzes-Kraft und Ansehen, wie das Blut, bis in die fernsten Aeste des öffentlichen Gemeinwesens aus¬ strömen sollte: das Stadthaus fand er wie einen hilflosen Hirsch, an dem die Meute der Hunde mit tödtlichen Bissen hängt. Tausende von Rowdies belagerten das Haus. Sie stacken theils in den eleganten Uniformen der Löschcompagnien, theils waren sie anständig, ja fein in Civil gekleidet -- ein fürchterliches Gesindel, das mit seinem Wohl¬ stande nicht den brutalen Thiertrieb, sondern die raffinirte, teuflische Bosheit verräth. All diese Banden waren mehr oder minder betrun¬ ken, zerfetzt, besudelt, der Part selbst von den vielen Feuerspritzen in einen Sumpf verwandelt, in welchem sich die Herren des Platzes mit johlender Wollust wälzten. Geschrei, Flüche und Pistolengeknall erfüllte die Luft, vermengt mit dem Rufe: Heraus die Deutschen! die deutschen Mordbrenner heraus! welches mit einer so kanibalischen Mord¬ gier gebrüllt wurde, als sollte der Marmor des Stadthauses, wie Jerichos Mauern, davor in Trümmern springen.
An dieser Stelle hatte Moorfeld zugleich das Ziel seines Vordrin¬ gens erreicht. Nach jeder nördlichen Richtung hin fand er die Straße gesperrt. Die Fortsetzung des Broadways, die Centre-Street, die Cha¬ tam-Street, keine Ausmündung war zugänglich. Tief in all diese Straßen hinein lagerten die Banden der Rowdies, trieben sich Gestal¬ ten von Ruß, Blut und Brandy in wilde Thiere verwandelt, pol¬
Ohne Beſinnen befahl er dem Kutſcher, in das nördliche Stadt¬ quartier zu fahren. Der Kutſcher weigerte ſich. Nach langem Wort¬ wechſel entſchloß ſich Moorfeld, auszuſteigen und die unermeßliche Strecke zu Fuß auf ſich zu nehmen, dem Zufall überlaſſend, ob ihm unterwegs ein willigerer Kutſcher aufſtoßen würde.
Aber kaum hatte er einige hundert Schritte zurückgelegt, als ihm wiederholt Menſchen entgegen kamen, welche mit haſtigen Schritten und erſchrockenen Mienen ihm die Worte zuriefen: Kehren Sie um, Sir, die Stadt iſt heute in ſchlimmen Händen! Und je weiter er vordrang, deſto ſprechender beſtätigte Alles dieſe Warnung. Er fand hier einen Revolver, dort einen Schlagriemen, hier eine grimmig zertretene Alarm¬ trommel, dort Blutſpuren auf ſeinem Wege.
So erreichte er City-Hall. Welch ein Schauſpiel! Das Stadthaus, der Sitz der Ordnung und Gewalt, der Thron der bürgerlichen Maje¬ ſtät, der Herzmuskel, von welchem Geſetzes-Kraft und Anſehen, wie das Blut, bis in die fernſten Aeſte des öffentlichen Gemeinweſens aus¬ ſtrömen ſollte: das Stadthaus fand er wie einen hilfloſen Hirſch, an dem die Meute der Hunde mit tödtlichen Biſſen hängt. Tauſende von Rowdies belagerten das Haus. Sie ſtacken theils in den eleganten Uniformen der Löſchcompagnien, theils waren ſie anſtändig, ja fein in Civil gekleidet — ein fürchterliches Geſindel, das mit ſeinem Wohl¬ ſtande nicht den brutalen Thiertrieb, ſondern die raffinirte, teufliſche Bosheit verräth. All dieſe Banden waren mehr oder minder betrun¬ ken, zerfetzt, beſudelt, der Part ſelbſt von den vielen Feuerſpritzen in einen Sumpf verwandelt, in welchem ſich die Herren des Platzes mit johlender Wolluſt wälzten. Geſchrei, Flüche und Piſtolengeknall erfüllte die Luft, vermengt mit dem Rufe: Heraus die Deutſchen! die deutſchen Mordbrenner heraus! welches mit einer ſo kanibaliſchen Mord¬ gier gebrüllt wurde, als ſollte der Marmor des Stadthauſes, wie Jerichos Mauern, davor in Trümmern ſpringen.
An dieſer Stelle hatte Moorfeld zugleich das Ziel ſeines Vordrin¬ gens erreicht. Nach jeder nördlichen Richtung hin fand er die Straße geſperrt. Die Fortſetzung des Broadways, die Centre-Street, die Cha¬ tam-Street, keine Ausmündung war zugänglich. Tief in all dieſe Straßen hinein lagerten die Banden der Rowdies, trieben ſich Geſtal¬ ten von Ruß, Blut und Brandy in wilde Thiere verwandelt, pol¬
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0515"n="497"/><p>Ohne Beſinnen befahl er dem Kutſcher, in das nördliche Stadt¬<lb/>
quartier zu fahren. Der Kutſcher weigerte ſich. Nach langem Wort¬<lb/>
wechſel entſchloß ſich Moorfeld, auszuſteigen und die unermeßliche Strecke<lb/>
zu Fuß auf ſich zu nehmen, dem Zufall überlaſſend, ob ihm unterwegs<lb/>
ein willigerer Kutſcher aufſtoßen würde.</p><lb/><p>Aber kaum hatte er einige hundert Schritte zurückgelegt, als ihm<lb/>
wiederholt Menſchen entgegen kamen, welche mit haſtigen Schritten und<lb/>
erſchrockenen Mienen ihm die Worte zuriefen: Kehren Sie um, Sir,<lb/>
die Stadt iſt heute in ſchlimmen Händen! Und je weiter er vordrang,<lb/>
deſto ſprechender beſtätigte Alles dieſe Warnung. Er fand hier einen<lb/>
Revolver, dort einen Schlagriemen, hier eine grimmig zertretene Alarm¬<lb/>
trommel, dort Blutſpuren auf ſeinem Wege.</p><lb/><p>So erreichte er City-Hall. Welch ein Schauſpiel! Das Stadthaus,<lb/>
der Sitz der Ordnung und Gewalt, der Thron der bürgerlichen Maje¬<lb/>ſtät, der Herzmuskel, von welchem Geſetzes-Kraft und Anſehen, wie<lb/>
das Blut, bis in die fernſten Aeſte des öffentlichen Gemeinweſens aus¬<lb/>ſtrömen ſollte: das Stadthaus fand er wie einen hilfloſen Hirſch, an<lb/>
dem die Meute der Hunde mit tödtlichen Biſſen hängt. Tauſende von<lb/>
Rowdies belagerten das Haus. Sie ſtacken theils in den eleganten<lb/>
Uniformen der Löſchcompagnien, theils waren ſie anſtändig, ja fein in<lb/>
Civil gekleidet — ein fürchterliches Geſindel, das mit ſeinem Wohl¬<lb/>ſtande nicht den brutalen Thiertrieb, ſondern die raffinirte, teufliſche<lb/>
Bosheit verräth. All dieſe Banden waren mehr oder minder betrun¬<lb/>
ken, zerfetzt, beſudelt, der Part ſelbſt von den vielen Feuerſpritzen in<lb/>
einen Sumpf verwandelt, in welchem ſich die Herren des Platzes mit<lb/>
johlender Wolluſt wälzten. Geſchrei, Flüche und Piſtolengeknall<lb/>
erfüllte die Luft, vermengt mit dem Rufe: Heraus die Deutſchen! die<lb/>
deutſchen Mordbrenner heraus! welches mit einer ſo kanibaliſchen Mord¬<lb/>
gier gebrüllt wurde, als ſollte der Marmor des Stadthauſes, wie<lb/>
Jerichos Mauern, davor in Trümmern ſpringen.</p><lb/><p>An dieſer Stelle hatte Moorfeld zugleich das Ziel ſeines Vordrin¬<lb/>
gens erreicht. Nach jeder nördlichen Richtung hin fand er die Straße<lb/>
geſperrt. Die Fortſetzung des Broadways, die Centre-Street, die Cha¬<lb/>
tam-Street, keine Ausmündung war zugänglich. Tief in all dieſe<lb/>
Straßen hinein lagerten die Banden der Rowdies, trieben ſich Geſtal¬<lb/>
ten von Ruß, Blut und Brandy in wilde Thiere verwandelt, pol¬<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[497/0515]
Ohne Beſinnen befahl er dem Kutſcher, in das nördliche Stadt¬
quartier zu fahren. Der Kutſcher weigerte ſich. Nach langem Wort¬
wechſel entſchloß ſich Moorfeld, auszuſteigen und die unermeßliche Strecke
zu Fuß auf ſich zu nehmen, dem Zufall überlaſſend, ob ihm unterwegs
ein willigerer Kutſcher aufſtoßen würde.
Aber kaum hatte er einige hundert Schritte zurückgelegt, als ihm
wiederholt Menſchen entgegen kamen, welche mit haſtigen Schritten und
erſchrockenen Mienen ihm die Worte zuriefen: Kehren Sie um, Sir,
die Stadt iſt heute in ſchlimmen Händen! Und je weiter er vordrang,
deſto ſprechender beſtätigte Alles dieſe Warnung. Er fand hier einen
Revolver, dort einen Schlagriemen, hier eine grimmig zertretene Alarm¬
trommel, dort Blutſpuren auf ſeinem Wege.
So erreichte er City-Hall. Welch ein Schauſpiel! Das Stadthaus,
der Sitz der Ordnung und Gewalt, der Thron der bürgerlichen Maje¬
ſtät, der Herzmuskel, von welchem Geſetzes-Kraft und Anſehen, wie
das Blut, bis in die fernſten Aeſte des öffentlichen Gemeinweſens aus¬
ſtrömen ſollte: das Stadthaus fand er wie einen hilfloſen Hirſch, an
dem die Meute der Hunde mit tödtlichen Biſſen hängt. Tauſende von
Rowdies belagerten das Haus. Sie ſtacken theils in den eleganten
Uniformen der Löſchcompagnien, theils waren ſie anſtändig, ja fein in
Civil gekleidet — ein fürchterliches Geſindel, das mit ſeinem Wohl¬
ſtande nicht den brutalen Thiertrieb, ſondern die raffinirte, teufliſche
Bosheit verräth. All dieſe Banden waren mehr oder minder betrun¬
ken, zerfetzt, beſudelt, der Part ſelbſt von den vielen Feuerſpritzen in
einen Sumpf verwandelt, in welchem ſich die Herren des Platzes mit
johlender Wolluſt wälzten. Geſchrei, Flüche und Piſtolengeknall
erfüllte die Luft, vermengt mit dem Rufe: Heraus die Deutſchen! die
deutſchen Mordbrenner heraus! welches mit einer ſo kanibaliſchen Mord¬
gier gebrüllt wurde, als ſollte der Marmor des Stadthauſes, wie
Jerichos Mauern, davor in Trümmern ſpringen.
An dieſer Stelle hatte Moorfeld zugleich das Ziel ſeines Vordrin¬
gens erreicht. Nach jeder nördlichen Richtung hin fand er die Straße
geſperrt. Die Fortſetzung des Broadways, die Centre-Street, die Cha¬
tam-Street, keine Ausmündung war zugänglich. Tief in all dieſe
Straßen hinein lagerten die Banden der Rowdies, trieben ſich Geſtal¬
ten von Ruß, Blut und Brandy in wilde Thiere verwandelt, pol¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 497. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/515>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.