Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

Bild:
<< vorherige Seite

Ohne Besinnen befahl er dem Kutscher, in das nördliche Stadt¬
quartier zu fahren. Der Kutscher weigerte sich. Nach langem Wort¬
wechsel entschloß sich Moorfeld, auszusteigen und die unermeßliche Strecke
zu Fuß auf sich zu nehmen, dem Zufall überlassend, ob ihm unterwegs
ein willigerer Kutscher aufstoßen würde.

Aber kaum hatte er einige hundert Schritte zurückgelegt, als ihm
wiederholt Menschen entgegen kamen, welche mit hastigen Schritten und
erschrockenen Mienen ihm die Worte zuriefen: Kehren Sie um, Sir,
die Stadt ist heute in schlimmen Händen! Und je weiter er vordrang,
desto sprechender bestätigte Alles diese Warnung. Er fand hier einen
Revolver, dort einen Schlagriemen, hier eine grimmig zertretene Alarm¬
trommel, dort Blutspuren auf seinem Wege.

So erreichte er City-Hall. Welch ein Schauspiel! Das Stadthaus,
der Sitz der Ordnung und Gewalt, der Thron der bürgerlichen Maje¬
stät, der Herzmuskel, von welchem Gesetzes-Kraft und Ansehen, wie
das Blut, bis in die fernsten Aeste des öffentlichen Gemeinwesens aus¬
strömen sollte: das Stadthaus fand er wie einen hilflosen Hirsch, an
dem die Meute der Hunde mit tödtlichen Bissen hängt. Tausende von
Rowdies belagerten das Haus. Sie stacken theils in den eleganten
Uniformen der Löschcompagnien, theils waren sie anständig, ja fein in
Civil gekleidet -- ein fürchterliches Gesindel, das mit seinem Wohl¬
stande nicht den brutalen Thiertrieb, sondern die raffinirte, teuflische
Bosheit verräth. All diese Banden waren mehr oder minder betrun¬
ken, zerfetzt, besudelt, der Part selbst von den vielen Feuerspritzen in
einen Sumpf verwandelt, in welchem sich die Herren des Platzes mit
johlender Wollust wälzten. Geschrei, Flüche und Pistolengeknall
erfüllte die Luft, vermengt mit dem Rufe: Heraus die Deutschen! die
deutschen Mordbrenner heraus! welches mit einer so kanibalischen Mord¬
gier gebrüllt wurde, als sollte der Marmor des Stadthauses, wie
Jerichos Mauern, davor in Trümmern springen.

An dieser Stelle hatte Moorfeld zugleich das Ziel seines Vordrin¬
gens erreicht. Nach jeder nördlichen Richtung hin fand er die Straße
gesperrt. Die Fortsetzung des Broadways, die Centre-Street, die Cha¬
tam-Street, keine Ausmündung war zugänglich. Tief in all diese
Straßen hinein lagerten die Banden der Rowdies, trieben sich Gestal¬
ten von Ruß, Blut und Brandy in wilde Thiere verwandelt, pol¬

Ohne Beſinnen befahl er dem Kutſcher, in das nördliche Stadt¬
quartier zu fahren. Der Kutſcher weigerte ſich. Nach langem Wort¬
wechſel entſchloß ſich Moorfeld, auszuſteigen und die unermeßliche Strecke
zu Fuß auf ſich zu nehmen, dem Zufall überlaſſend, ob ihm unterwegs
ein willigerer Kutſcher aufſtoßen würde.

Aber kaum hatte er einige hundert Schritte zurückgelegt, als ihm
wiederholt Menſchen entgegen kamen, welche mit haſtigen Schritten und
erſchrockenen Mienen ihm die Worte zuriefen: Kehren Sie um, Sir,
die Stadt iſt heute in ſchlimmen Händen! Und je weiter er vordrang,
deſto ſprechender beſtätigte Alles dieſe Warnung. Er fand hier einen
Revolver, dort einen Schlagriemen, hier eine grimmig zertretene Alarm¬
trommel, dort Blutſpuren auf ſeinem Wege.

So erreichte er City-Hall. Welch ein Schauſpiel! Das Stadthaus,
der Sitz der Ordnung und Gewalt, der Thron der bürgerlichen Maje¬
ſtät, der Herzmuskel, von welchem Geſetzes-Kraft und Anſehen, wie
das Blut, bis in die fernſten Aeſte des öffentlichen Gemeinweſens aus¬
ſtrömen ſollte: das Stadthaus fand er wie einen hilfloſen Hirſch, an
dem die Meute der Hunde mit tödtlichen Biſſen hängt. Tauſende von
Rowdies belagerten das Haus. Sie ſtacken theils in den eleganten
Uniformen der Löſchcompagnien, theils waren ſie anſtändig, ja fein in
Civil gekleidet — ein fürchterliches Geſindel, das mit ſeinem Wohl¬
ſtande nicht den brutalen Thiertrieb, ſondern die raffinirte, teufliſche
Bosheit verräth. All dieſe Banden waren mehr oder minder betrun¬
ken, zerfetzt, beſudelt, der Part ſelbſt von den vielen Feuerſpritzen in
einen Sumpf verwandelt, in welchem ſich die Herren des Platzes mit
johlender Wolluſt wälzten. Geſchrei, Flüche und Piſtolengeknall
erfüllte die Luft, vermengt mit dem Rufe: Heraus die Deutſchen! die
deutſchen Mordbrenner heraus! welches mit einer ſo kanibaliſchen Mord¬
gier gebrüllt wurde, als ſollte der Marmor des Stadthauſes, wie
Jerichos Mauern, davor in Trümmern ſpringen.

An dieſer Stelle hatte Moorfeld zugleich das Ziel ſeines Vordrin¬
gens erreicht. Nach jeder nördlichen Richtung hin fand er die Straße
geſperrt. Die Fortſetzung des Broadways, die Centre-Street, die Cha¬
tam-Street, keine Ausmündung war zugänglich. Tief in all dieſe
Straßen hinein lagerten die Banden der Rowdies, trieben ſich Geſtal¬
ten von Ruß, Blut und Brandy in wilde Thiere verwandelt, pol¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <pb facs="#f0515" n="497"/>
          <p>Ohne Be&#x017F;innen befahl er dem Kut&#x017F;cher, in das nördliche Stadt¬<lb/>
quartier zu fahren. Der Kut&#x017F;cher weigerte &#x017F;ich. Nach langem Wort¬<lb/>
wech&#x017F;el ent&#x017F;chloß &#x017F;ich Moorfeld, auszu&#x017F;teigen und die unermeßliche Strecke<lb/>
zu Fuß auf &#x017F;ich zu nehmen, dem Zufall überla&#x017F;&#x017F;end, ob ihm unterwegs<lb/>
ein willigerer Kut&#x017F;cher auf&#x017F;toßen würde.</p><lb/>
          <p>Aber kaum hatte er einige hundert Schritte zurückgelegt, als ihm<lb/>
wiederholt Men&#x017F;chen entgegen kamen, welche mit ha&#x017F;tigen Schritten und<lb/>
er&#x017F;chrockenen Mienen ihm die Worte zuriefen: Kehren Sie um, Sir,<lb/>
die Stadt i&#x017F;t heute in &#x017F;chlimmen Händen! Und je weiter er vordrang,<lb/>
de&#x017F;to &#x017F;prechender be&#x017F;tätigte Alles die&#x017F;e Warnung. Er fand hier einen<lb/>
Revolver, dort einen Schlagriemen, hier eine grimmig zertretene Alarm¬<lb/>
trommel, dort Blut&#x017F;puren auf &#x017F;einem Wege.</p><lb/>
          <p>So erreichte er City-Hall. Welch ein Schau&#x017F;piel! Das Stadthaus,<lb/>
der Sitz der Ordnung und Gewalt, der Thron der bürgerlichen Maje¬<lb/>
&#x017F;tät, der Herzmuskel, von welchem Ge&#x017F;etzes-Kraft und An&#x017F;ehen, wie<lb/>
das Blut, bis in die fern&#x017F;ten Ae&#x017F;te des öffentlichen Gemeinwe&#x017F;ens aus¬<lb/>
&#x017F;trömen &#x017F;ollte: das Stadthaus fand er wie einen hilflo&#x017F;en Hir&#x017F;ch, an<lb/>
dem die Meute der Hunde mit tödtlichen Bi&#x017F;&#x017F;en hängt. Tau&#x017F;ende von<lb/>
Rowdies belagerten das Haus. Sie &#x017F;tacken theils in den eleganten<lb/>
Uniformen der Lö&#x017F;chcompagnien, theils waren &#x017F;ie an&#x017F;tändig, ja fein in<lb/>
Civil gekleidet &#x2014; ein fürchterliches Ge&#x017F;indel, das mit &#x017F;einem Wohl¬<lb/>
&#x017F;tande nicht den brutalen Thiertrieb, &#x017F;ondern die raffinirte, teufli&#x017F;che<lb/>
Bosheit verräth. All die&#x017F;e Banden waren mehr oder minder betrun¬<lb/>
ken, zerfetzt, be&#x017F;udelt, der Part &#x017F;elb&#x017F;t von den vielen Feuer&#x017F;pritzen in<lb/>
einen Sumpf verwandelt, in welchem &#x017F;ich die Herren des Platzes mit<lb/>
johlender Wollu&#x017F;t wälzten. Ge&#x017F;chrei, Flüche und Pi&#x017F;tolengeknall<lb/>
erfüllte die Luft, vermengt mit dem Rufe: Heraus die Deut&#x017F;chen! die<lb/>
deut&#x017F;chen Mordbrenner heraus! welches mit einer &#x017F;o kanibali&#x017F;chen Mord¬<lb/>
gier gebrüllt wurde, als &#x017F;ollte der Marmor des Stadthau&#x017F;es, wie<lb/>
Jerichos Mauern, davor in Trümmern &#x017F;pringen.</p><lb/>
          <p>An die&#x017F;er Stelle hatte Moorfeld zugleich das Ziel &#x017F;eines Vordrin¬<lb/>
gens erreicht. Nach jeder nördlichen Richtung hin fand er die Straße<lb/>
ge&#x017F;perrt. Die Fort&#x017F;etzung des Broadways, die Centre-Street, die Cha¬<lb/>
tam-Street, keine Ausmündung war zugänglich. Tief in all die&#x017F;e<lb/>
Straßen hinein lagerten die Banden der Rowdies, trieben &#x017F;ich Ge&#x017F;tal¬<lb/>
ten von Ruß, Blut und Brandy in wilde Thiere verwandelt, pol¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[497/0515] Ohne Beſinnen befahl er dem Kutſcher, in das nördliche Stadt¬ quartier zu fahren. Der Kutſcher weigerte ſich. Nach langem Wort¬ wechſel entſchloß ſich Moorfeld, auszuſteigen und die unermeßliche Strecke zu Fuß auf ſich zu nehmen, dem Zufall überlaſſend, ob ihm unterwegs ein willigerer Kutſcher aufſtoßen würde. Aber kaum hatte er einige hundert Schritte zurückgelegt, als ihm wiederholt Menſchen entgegen kamen, welche mit haſtigen Schritten und erſchrockenen Mienen ihm die Worte zuriefen: Kehren Sie um, Sir, die Stadt iſt heute in ſchlimmen Händen! Und je weiter er vordrang, deſto ſprechender beſtätigte Alles dieſe Warnung. Er fand hier einen Revolver, dort einen Schlagriemen, hier eine grimmig zertretene Alarm¬ trommel, dort Blutſpuren auf ſeinem Wege. So erreichte er City-Hall. Welch ein Schauſpiel! Das Stadthaus, der Sitz der Ordnung und Gewalt, der Thron der bürgerlichen Maje¬ ſtät, der Herzmuskel, von welchem Geſetzes-Kraft und Anſehen, wie das Blut, bis in die fernſten Aeſte des öffentlichen Gemeinweſens aus¬ ſtrömen ſollte: das Stadthaus fand er wie einen hilfloſen Hirſch, an dem die Meute der Hunde mit tödtlichen Biſſen hängt. Tauſende von Rowdies belagerten das Haus. Sie ſtacken theils in den eleganten Uniformen der Löſchcompagnien, theils waren ſie anſtändig, ja fein in Civil gekleidet — ein fürchterliches Geſindel, das mit ſeinem Wohl¬ ſtande nicht den brutalen Thiertrieb, ſondern die raffinirte, teufliſche Bosheit verräth. All dieſe Banden waren mehr oder minder betrun¬ ken, zerfetzt, beſudelt, der Part ſelbſt von den vielen Feuerſpritzen in einen Sumpf verwandelt, in welchem ſich die Herren des Platzes mit johlender Wolluſt wälzten. Geſchrei, Flüche und Piſtolengeknall erfüllte die Luft, vermengt mit dem Rufe: Heraus die Deutſchen! die deutſchen Mordbrenner heraus! welches mit einer ſo kanibaliſchen Mord¬ gier gebrüllt wurde, als ſollte der Marmor des Stadthauſes, wie Jerichos Mauern, davor in Trümmern ſpringen. An dieſer Stelle hatte Moorfeld zugleich das Ziel ſeines Vordrin¬ gens erreicht. Nach jeder nördlichen Richtung hin fand er die Straße geſperrt. Die Fortſetzung des Broadways, die Centre-Street, die Cha¬ tam-Street, keine Ausmündung war zugänglich. Tief in all dieſe Straßen hinein lagerten die Banden der Rowdies, trieben ſich Geſtal¬ ten von Ruß, Blut und Brandy in wilde Thiere verwandelt, pol¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/515
Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 497. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/515>, abgerufen am 22.11.2024.