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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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Der Meißel, der ihm bestimmt war, ging auf Jenny, meine zweite
Tochter über. Die duldet, so weit sich dulden läßt. Charakterfester wie¬
der ist mein viertes Kind, Cöleste. Ihre Specialität ist die Poesie.
Die Entscheidung dafür dadirt von einem Zufalle. Wir erwarteten
den Papa von seiner zweiten europäischen Reise zurück, es war im
Jahre zweiundzwanzig. Cölestine stand im siebenten Jahre. Ma, sagte
sie, ich will den Pa mit einem Gedichte empfangen. In der That
schrieb das Kind in diesem Alter ein paar französische Strophen, an
denen ich wenig oder nichts zu corrigiren fand. Bennet aber kam direct
von Genua, von der poetischen Hofhaltung Lord Byron's. In welchem
Zustand seiner Imagination, mögen Sie selbst denken. So trat ihm
nun ein kleines, stammelndes Kind an der Schwelle seines Hauses
entgegen, mit einem Orangeblüthenzweig in der Hand, mit dem Wohl¬
laut selbstgedichteter Verse auf den Lippen -- verhängnißvoller Eindruck!
Wer dieses Kind nicht für den ersten Genius seiner Zeit hielt, der
verlor seinen Anspruch auf Bildung. Bennet war außer sich. Auf,
auf, Bücher! Lehrer! Studirlampen! welche Vaterpflichten sind hier
zu erfüllen! Schlaf, Spiel, Erholung, -- gemeine Einreden! Der
versteht den Genius schlecht, der nicht weiß, daß er an sich selbst sich
erholt. Es gibt nur Eine Erholung von der Arbeit, -- die Arbeit!

Nun ist aber Cöleste eigen geartet. Die ganze Wucht der väter¬
lichen Erziehungstyrannei drückte auf sie überwiegend, und doch war sie
es zugleich, die am wenigsten klagte. Sie hatte Ehrgeiz. Was immer
ihr auferlegt wurde, sie verrichtete es nicht nur, sie that noch drüber.
Sie rivalisirte gleichsam mit ihrem Vater. Die Thränen traten mir
oft ins Auge, das Mädchen zu sehen. Statt mit dem Roth der Ge¬
sundheit, mit der seinen geistigen Glut des Wetteifers auf den Wan¬
gen saß sie da, überbot ihre Aufgabe, überbot sich selbst und brannte vor
Begierde, zu überraschen. Nicht der Vater, der Gentleman nur allein, hätte
seinen Degen senken müssen vor der Galanterie seines Kindes. Leider!
Bennet war nicht zu überraschen. Seine Ansprüche wuchsen mit der
Befriedigung, und das arme Kind erarbeitete sich nur Mißhandlungen.
Da wandte sich ihr Herz. Mit dem Stolze des beleidigten Adels trat
sie in sich zurück. Ihre Stimmung wurde eine gereizte, feindselige.
Sie ließ alle Forderungen über sich ergehen und schärfte sich trotzig
die Lippen dazu. Sie machte nicht den Eindruck einer leidenden Na¬

Der Meißel, der ihm beſtimmt war, ging auf Jenny, meine zweite
Tochter über. Die duldet, ſo weit ſich dulden läßt. Charakterfeſter wie¬
der iſt mein viertes Kind, Cöleſte. Ihre Specialität iſt die Poeſie.
Die Entſcheidung dafür dadirt von einem Zufalle. Wir erwarteten
den Papa von ſeiner zweiten europäiſchen Reiſe zurück, es war im
Jahre zweiundzwanzig. Cöleſtine ſtand im ſiebenten Jahre. Ma, ſagte
ſie, ich will den Pa mit einem Gedichte empfangen. In der That
ſchrieb das Kind in dieſem Alter ein paar franzöſiſche Strophen, an
denen ich wenig oder nichts zu corrigiren fand. Bennet aber kam direct
von Genua, von der poetiſchen Hofhaltung Lord Byron's. In welchem
Zuſtand ſeiner Imagination, mögen Sie ſelbſt denken. So trat ihm
nun ein kleines, ſtammelndes Kind an der Schwelle ſeines Hauſes
entgegen, mit einem Orangeblüthenzweig in der Hand, mit dem Wohl¬
laut ſelbſtgedichteter Verſe auf den Lippen — verhängnißvoller Eindruck!
Wer dieſes Kind nicht für den erſten Genius ſeiner Zeit hielt, der
verlor ſeinen Anſpruch auf Bildung. Bennet war außer ſich. Auf,
auf, Bücher! Lehrer! Studirlampen! welche Vaterpflichten ſind hier
zu erfüllen! Schlaf, Spiel, Erholung, — gemeine Einreden! Der
verſteht den Genius ſchlecht, der nicht weiß, daß er an ſich ſelbſt ſich
erholt. Es gibt nur Eine Erholung von der Arbeit, — die Arbeit!

Nun iſt aber Cöleſte eigen geartet. Die ganze Wucht der väter¬
lichen Erziehungstyrannei drückte auf ſie überwiegend, und doch war ſie
es zugleich, die am wenigſten klagte. Sie hatte Ehrgeiz. Was immer
ihr auferlegt wurde, ſie verrichtete es nicht nur, ſie that noch drüber.
Sie rivaliſirte gleichſam mit ihrem Vater. Die Thränen traten mir
oft ins Auge, das Mädchen zu ſehen. Statt mit dem Roth der Ge¬
ſundheit, mit der ſeinen geiſtigen Glut des Wetteifers auf den Wan¬
gen ſaß ſie da, überbot ihre Aufgabe, überbot ſich ſelbſt und brannte vor
Begierde, zu überraſchen. Nicht der Vater, der Gentleman nur allein, hätte
ſeinen Degen ſenken müſſen vor der Galanterie ſeines Kindes. Leider!
Bennet war nicht zu überraſchen. Seine Anſprüche wuchſen mit der
Befriedigung, und das arme Kind erarbeitete ſich nur Mißhandlungen.
Da wandte ſich ihr Herz. Mit dem Stolze des beleidigten Adels trat
ſie in ſich zurück. Ihre Stimmung wurde eine gereizte, feindſelige.
Sie ließ alle Forderungen über ſich ergehen und ſchärfte ſich trotzig
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[489/0507] Der Meißel, der ihm beſtimmt war, ging auf Jenny, meine zweite Tochter über. Die duldet, ſo weit ſich dulden läßt. Charakterfeſter wie¬ der iſt mein viertes Kind, Cöleſte. Ihre Specialität iſt die Poeſie. Die Entſcheidung dafür dadirt von einem Zufalle. Wir erwarteten den Papa von ſeiner zweiten europäiſchen Reiſe zurück, es war im Jahre zweiundzwanzig. Cöleſtine ſtand im ſiebenten Jahre. Ma, ſagte ſie, ich will den Pa mit einem Gedichte empfangen. In der That ſchrieb das Kind in dieſem Alter ein paar franzöſiſche Strophen, an denen ich wenig oder nichts zu corrigiren fand. Bennet aber kam direct von Genua, von der poetiſchen Hofhaltung Lord Byron's. In welchem Zuſtand ſeiner Imagination, mögen Sie ſelbſt denken. So trat ihm nun ein kleines, ſtammelndes Kind an der Schwelle ſeines Hauſes entgegen, mit einem Orangeblüthenzweig in der Hand, mit dem Wohl¬ laut ſelbſtgedichteter Verſe auf den Lippen — verhängnißvoller Eindruck! Wer dieſes Kind nicht für den erſten Genius ſeiner Zeit hielt, der verlor ſeinen Anſpruch auf Bildung. Bennet war außer ſich. Auf, auf, Bücher! Lehrer! Studirlampen! welche Vaterpflichten ſind hier zu erfüllen! Schlaf, Spiel, Erholung, — gemeine Einreden! Der verſteht den Genius ſchlecht, der nicht weiß, daß er an ſich ſelbſt ſich erholt. Es gibt nur Eine Erholung von der Arbeit, — die Arbeit! Nun iſt aber Cöleſte eigen geartet. Die ganze Wucht der väter¬ lichen Erziehungstyrannei drückte auf ſie überwiegend, und doch war ſie es zugleich, die am wenigſten klagte. Sie hatte Ehrgeiz. Was immer ihr auferlegt wurde, ſie verrichtete es nicht nur, ſie that noch drüber. Sie rivaliſirte gleichſam mit ihrem Vater. Die Thränen traten mir oft ins Auge, das Mädchen zu ſehen. Statt mit dem Roth der Ge¬ ſundheit, mit der ſeinen geiſtigen Glut des Wetteifers auf den Wan¬ gen ſaß ſie da, überbot ihre Aufgabe, überbot ſich ſelbſt und brannte vor Begierde, zu überraſchen. Nicht der Vater, der Gentleman nur allein, hätte ſeinen Degen ſenken müſſen vor der Galanterie ſeines Kindes. Leider! Bennet war nicht zu überraſchen. Seine Anſprüche wuchſen mit der Befriedigung, und das arme Kind erarbeitete ſich nur Mißhandlungen. Da wandte ſich ihr Herz. Mit dem Stolze des beleidigten Adels trat ſie in ſich zurück. Ihre Stimmung wurde eine gereizte, feindſelige. Sie ließ alle Forderungen über ſich ergehen und ſchärfte ſich trotzig die Lippen dazu. Sie machte nicht den Eindruck einer leidenden Na¬

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 489. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/507>, abgerufen am 25.11.2024.