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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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eine Donna Elvira, welche ein ewiges Herz gegen die endliche Zeit zu
vertheidigen unternimmt, -- einen Gouverneur, welcher im Leben zur
Rettung für sein Heiligstes aufgefordert wird, nach dem Tode im Namen
des Allerheiligsten selber zur Rettung einer unsterblichen Seele auf¬
fordert, -- eine Donna Anna, welche von ein- und demselben Schick¬
sale zugleich auf den höchsten Gipfel und in den tiefsten Abgrund des
weiblichen Bewußtseins geschleudert wird, -- einen Don Ottavio, wel¬
cher in einer Welt, die aus ihren Fugen ist, um so berechtigter jenes
einfache Naturgesetz singen darf, durch das sie ewig sich neu ergänzt:
ich sehe Gestalten, welche Sie aus dem Banne der conventionellen
Menschheit, der sie angehören, mit dem glücklichsten Wurf in die volle
musikalische Strömung schleudern. Sie treten auf in den außerordent¬
lichsten und verständlichsten Zuständen, klar einfach, unmittelbar, ihre
eigene Erklärung, wie das Dasein selbst. Ihr erster Schritt auf die
Bühne schon ist die höchste pathetische Scene; und wahrlich nur aus
solch einem Eingang kann solch ein Finale herauswachsen! Welch ein
Ocean an Umfang und Tiefe dieses Finale! Zwei rächende Bräutigame,
drei beleidigte Frauen, ein Mord im Hintergrunde, Champagner und
Ballet im Vordergrunde, Blitz und Donner im Zenith, und mitten in
diesem Aufruhr ein verwilderter Gott, eine gesträubte Löwenmähne,
gepackt von dem Rachen, packend im Sinnenfieber der Liebe! So lang
eine Bühne steht, wird die kunstbegnadete Menschheit anbetend vor
diesem Finale liegen, und wenn wir nicht begreifen können, daß Mo¬
zart ein Mensch war, so wird Da Ponte in diesem Mysterium als
Mittler verehrt werden müssen!

So sprach Moorfeld hingerissen von seiner dichterischen Begeisterung.
Der alte Mann, auf dessen gebleichtem Scheitel der Name Da Ponte
ruhte, horchte aus der Ausdrucksweise eines vorgeschrittenen Ideenlebens
nur so viel heraus, daß das erste Don Juan-Finale gelobt wurde.
Er schien zufrieden mit dieser Anerkennung und bestätigte sie mit folgen¬
den Worten: Ja wohl will ein Finale gearbeitet sein! Sie sagen es recht,
Signor! Ein Finale ist eine Art Komödie, oder ein kleines Drama in
sich selbst; es muß mit der übrigen Oper eng verbunden sein, und doch
erfordert es einen neuen Eingang und ein neues Interesse. Im Finale
muß das Talent des Kapellmeisters, die Kunst und Kraft der Sänger
hauptsächlich hervortreten, es muß als Glanzpunkt der Oper den größten

eine Donna Elvira, welche ein ewiges Herz gegen die endliche Zeit zu
vertheidigen unternimmt, — einen Gouverneur, welcher im Leben zur
Rettung für ſein Heiligſtes aufgefordert wird, nach dem Tode im Namen
des Allerheiligſten ſelber zur Rettung einer unſterblichen Seele auf¬
fordert, — eine Donna Anna, welche von ein- und demſelben Schick¬
ſale zugleich auf den höchſten Gipfel und in den tiefſten Abgrund des
weiblichen Bewußtſeins geſchleudert wird, — einen Don Ottavio, wel¬
cher in einer Welt, die aus ihren Fugen iſt, um ſo berechtigter jenes
einfache Naturgeſetz ſingen darf, durch das ſie ewig ſich neu ergänzt:
ich ſehe Geſtalten, welche Sie aus dem Banne der conventionellen
Menſchheit, der ſie angehören, mit dem glücklichſten Wurf in die volle
muſikaliſche Strömung ſchleudern. Sie treten auf in den außerordent¬
lichſten und verſtändlichſten Zuſtänden, klar einfach, unmittelbar, ihre
eigene Erklärung, wie das Daſein ſelbſt. Ihr erſter Schritt auf die
Bühne ſchon iſt die höchſte pathetiſche Scene; und wahrlich nur aus
ſolch einem Eingang kann ſolch ein Finale herauswachſen! Welch ein
Ocean an Umfang und Tiefe dieſes Finale! Zwei rächende Bräutigame,
drei beleidigte Frauen, ein Mord im Hintergrunde, Champagner und
Ballet im Vordergrunde, Blitz und Donner im Zenith, und mitten in
dieſem Aufruhr ein verwilderter Gott, eine geſträubte Löwenmähne,
gepackt von dem Rachen, packend im Sinnenfieber der Liebe! So lang
eine Bühne ſteht, wird die kunſtbegnadete Menſchheit anbetend vor
dieſem Finale liegen, und wenn wir nicht begreifen können, daß Mo¬
zart ein Menſch war, ſo wird Da Ponte in dieſem Myſterium als
Mittler verehrt werden müſſen!

So ſprach Moorfeld hingeriſſen von ſeiner dichteriſchen Begeiſterung.
Der alte Mann, auf deſſen gebleichtem Scheitel der Name Da Ponte
ruhte, horchte aus der Ausdrucksweiſe eines vorgeſchrittenen Ideenlebens
nur ſo viel heraus, daß das erſte Don Juan-Finale gelobt wurde.
Er ſchien zufrieden mit dieſer Anerkennung und beſtätigte ſie mit folgen¬
den Worten: Ja wohl will ein Finale gearbeitet ſein! Sie ſagen es recht,
Signor! Ein Finale iſt eine Art Komödie, oder ein kleines Drama in
ſich ſelbſt; es muß mit der übrigen Oper eng verbunden ſein, und doch
erfordert es einen neuen Eingang und ein neues Intereſſe. Im Finale
muß das Talent des Kapellmeiſters, die Kunſt und Kraft der Sänger
hauptſächlich hervortreten, es muß als Glanzpunkt der Oper den größten

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[473/0491] eine Donna Elvira, welche ein ewiges Herz gegen die endliche Zeit zu vertheidigen unternimmt, — einen Gouverneur, welcher im Leben zur Rettung für ſein Heiligſtes aufgefordert wird, nach dem Tode im Namen des Allerheiligſten ſelber zur Rettung einer unſterblichen Seele auf¬ fordert, — eine Donna Anna, welche von ein- und demſelben Schick¬ ſale zugleich auf den höchſten Gipfel und in den tiefſten Abgrund des weiblichen Bewußtſeins geſchleudert wird, — einen Don Ottavio, wel¬ cher in einer Welt, die aus ihren Fugen iſt, um ſo berechtigter jenes einfache Naturgeſetz ſingen darf, durch das ſie ewig ſich neu ergänzt: ich ſehe Geſtalten, welche Sie aus dem Banne der conventionellen Menſchheit, der ſie angehören, mit dem glücklichſten Wurf in die volle muſikaliſche Strömung ſchleudern. Sie treten auf in den außerordent¬ lichſten und verſtändlichſten Zuſtänden, klar einfach, unmittelbar, ihre eigene Erklärung, wie das Daſein ſelbſt. Ihr erſter Schritt auf die Bühne ſchon iſt die höchſte pathetiſche Scene; und wahrlich nur aus ſolch einem Eingang kann ſolch ein Finale herauswachſen! Welch ein Ocean an Umfang und Tiefe dieſes Finale! Zwei rächende Bräutigame, drei beleidigte Frauen, ein Mord im Hintergrunde, Champagner und Ballet im Vordergrunde, Blitz und Donner im Zenith, und mitten in dieſem Aufruhr ein verwilderter Gott, eine geſträubte Löwenmähne, gepackt von dem Rachen, packend im Sinnenfieber der Liebe! So lang eine Bühne ſteht, wird die kunſtbegnadete Menſchheit anbetend vor dieſem Finale liegen, und wenn wir nicht begreifen können, daß Mo¬ zart ein Menſch war, ſo wird Da Ponte in dieſem Myſterium als Mittler verehrt werden müſſen! So ſprach Moorfeld hingeriſſen von ſeiner dichteriſchen Begeiſterung. Der alte Mann, auf deſſen gebleichtem Scheitel der Name Da Ponte ruhte, horchte aus der Ausdrucksweiſe eines vorgeſchrittenen Ideenlebens nur ſo viel heraus, daß das erſte Don Juan-Finale gelobt wurde. Er ſchien zufrieden mit dieſer Anerkennung und beſtätigte ſie mit folgen¬ den Worten: Ja wohl will ein Finale gearbeitet ſein! Sie ſagen es recht, Signor! Ein Finale iſt eine Art Komödie, oder ein kleines Drama in ſich ſelbſt; es muß mit der übrigen Oper eng verbunden ſein, und doch erfordert es einen neuen Eingang und ein neues Intereſſe. Im Finale muß das Talent des Kapellmeiſters, die Kunſt und Kraft der Sänger hauptſächlich hervortreten, es muß als Glanzpunkt der Oper den größten

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 473. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/491>, abgerufen am 22.11.2024.