Passage sperrte, gegen den sich nicht aufkommen ließ. Durch seine Ueberzahl und das Dunkel der Nacht ermuthigt, fühlte sich der Haufe im souveränsten Besitze des Platzes. Es waren, was Moorfeld beim Lampenscheine sehen konnte, wohlgekleidete, aber stark bewaffnete Banden, und fast wie die Stimme der Würde klang es, womit diese Straßen¬ macht dem Kutscher die drohendsten Befehle entgegenschleuderte. Der arme Neger (denn ein solcher war er) erbat sich endlich von Moor¬ feld die Erlaubniß, umkehren zu dürfen, obwohl, wie er sagte, das Clubbhaus nur noch hundert Schritte weit drüben liege. Moorfeld sprang aus dem Wagen, als er dieses hörte, und schritt zu Fuß hin¬ über. Der leere Wagen kehrte um.
Kaum hatte Moorfeld das Gedränge der Rowdies durchbrochen und seinen Weg in die Tiefe der bezeichneten Straße eingeschlagen, als er einige Schritte vor sich einen Menschen in Ohnmacht sinken sah. Die Gestalt hatte sich erst gegen die Mauer eines Hauses gelehnt, und war dann längs derselben langsam zu Boden geglitten. Rasch eilte Moorfeld hinzu. Hat Ihnen das wilde Volk Gewaltthätigkeiten zugefügt? fragte er den Verunglückten, indem er ihn aufhob. Der Mann schüttelte, ohne aufzublicken, schwach und zitternd den Kopf vor sich hin. Aber in demselben Augenblicke glaubte Moorfeld die Gestalt zu erkennen. Schon der faltenreiche Mantel mit den vielen kurzen über¬ einanderliegenden Kragen gehörte in das Inventar seiner Erinnerungen. "Anche gli giorni!" war das Schlagwort dieser Erinnerungen. Ohne sich zu besinnen, redete er den Alten an: Se non m'inganno, Signore, e la sua lingua materna, in cui la saluto? Der Fremde zuckte zusammen. Ah, non e Americano, Signore, seufzte er aufathmend, -- per grazia di Dio, un bichiere di vino! *) Moorfeld erschrack. So war der alte Mann aus Hunger und Durst hier zusammen gebrochen? Seine Bitte ließ keinen Zweifel darüber.
Moorfeld warf seine Blicke schnell nach einem Gasthofe umher und entdeckte wenigstens, womit Newyork damals schon übersäet war, die illuminirte Aufschrift einer Kellerwirthschaft in der Nähe. Er führte oder trug den Verschmachtenden dahin.
*) Wenn ich nicht irre, mein Herr, so ist es Ihre Muttersprache, in welcher ich Sie begrüße? Ah, Sie sind kein Amerikaner, mein Herr, -- um Gotteswillen, ein Glas Wein!
D.B. VIII. Der Amerika-Müde. 31
Paſſage ſperrte, gegen den ſich nicht aufkommen ließ. Durch ſeine Ueberzahl und das Dunkel der Nacht ermuthigt, fühlte ſich der Haufe im ſouveränſten Beſitze des Platzes. Es waren, was Moorfeld beim Lampenſcheine ſehen konnte, wohlgekleidete, aber ſtark bewaffnete Banden, und faſt wie die Stimme der Würde klang es, womit dieſe Straßen¬ macht dem Kutſcher die drohendſten Befehle entgegenſchleuderte. Der arme Neger (denn ein ſolcher war er) erbat ſich endlich von Moor¬ feld die Erlaubniß, umkehren zu dürfen, obwohl, wie er ſagte, das Clubbhaus nur noch hundert Schritte weit drüben liege. Moorfeld ſprang aus dem Wagen, als er dieſes hörte, und ſchritt zu Fuß hin¬ über. Der leere Wagen kehrte um.
Kaum hatte Moorfeld das Gedränge der Rowdies durchbrochen und ſeinen Weg in die Tiefe der bezeichneten Straße eingeſchlagen, als er einige Schritte vor ſich einen Menſchen in Ohnmacht ſinken ſah. Die Geſtalt hatte ſich erſt gegen die Mauer eines Hauſes gelehnt, und war dann längs derſelben langſam zu Boden geglitten. Raſch eilte Moorfeld hinzu. Hat Ihnen das wilde Volk Gewaltthätigkeiten zugefügt? fragte er den Verunglückten, indem er ihn aufhob. Der Mann ſchüttelte, ohne aufzublicken, ſchwach und zitternd den Kopf vor ſich hin. Aber in demſelben Augenblicke glaubte Moorfeld die Geſtalt zu erkennen. Schon der faltenreiche Mantel mit den vielen kurzen über¬ einanderliegenden Kragen gehörte in das Inventar ſeiner Erinnerungen. „Anche gli giorni!“ war das Schlagwort dieſer Erinnerungen. Ohne ſich zu beſinnen, redete er den Alten an: Se non m'inganno, Signore, é la sua lingua materna, in cui la saluto? Der Fremde zuckte zuſammen. Ah, non é Americano, Signore, ſeufzte er aufathmend, — per grazia di Dio, un bichiere di vino! *) Moorfeld erſchrack. So war der alte Mann aus Hunger und Durſt hier zuſammen gebrochen? Seine Bitte ließ keinen Zweifel darüber.
Moorfeld warf ſeine Blicke ſchnell nach einem Gaſthofe umher und entdeckte wenigſtens, womit Newyork damals ſchon überſäet war, die illuminirte Aufſchrift einer Kellerwirthſchaft in der Nähe. Er führte oder trug den Verſchmachtenden dahin.
*) Wenn ich nicht irre, mein Herr, ſo iſt es Ihre Mutterſprache, in welcher ich Sie begrüße? Ah, Sie ſind kein Amerikaner, mein Herr, — um Gotteswillen, ein Glas Wein!
D.B. VIII. Der Amerika-Müde. 31
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im ſouveränſten Beſitze des Platzes. Es waren, was Moorfeld beim
Lampenſcheine ſehen konnte, wohlgekleidete, aber ſtark bewaffnete Banden,
und faſt wie die Stimme der Würde klang es, womit dieſe Straßen¬
macht dem Kutſcher die drohendſten Befehle entgegenſchleuderte. Der
arme Neger (denn ein ſolcher war er) erbat ſich endlich von Moor¬
feld die Erlaubniß, umkehren zu dürfen, obwohl, wie er ſagte, das
Clubbhaus nur noch hundert Schritte weit drüben liege. Moorfeld
ſprang aus dem Wagen, als er dieſes hörte, und ſchritt zu Fuß hin¬
über. Der leere Wagen kehrte um.
Kaum hatte Moorfeld das Gedränge der Rowdies durchbrochen
und ſeinen Weg in die Tiefe der bezeichneten Straße eingeſchlagen,
als er einige Schritte vor ſich einen Menſchen in Ohnmacht ſinken
ſah. Die Geſtalt hatte ſich erſt gegen die Mauer eines Hauſes gelehnt,
und war dann längs derſelben langſam zu Boden geglitten. Raſch
eilte Moorfeld hinzu. Hat Ihnen das wilde Volk Gewaltthätigkeiten
zugefügt? fragte er den Verunglückten, indem er ihn aufhob. Der
Mann ſchüttelte, ohne aufzublicken, ſchwach und zitternd den Kopf vor
ſich hin. Aber in demſelben Augenblicke glaubte Moorfeld die Geſtalt
zu erkennen. Schon der faltenreiche Mantel mit den vielen kurzen über¬
einanderliegenden Kragen gehörte in das Inventar ſeiner Erinnerungen.
„Anche gli giorni!“ war das Schlagwort dieſer Erinnerungen. Ohne
ſich zu beſinnen, redete er den Alten an: Se non m'inganno, Signore,
é la sua lingua materna, in cui la saluto? Der Fremde zuckte
zuſammen. Ah, non é Americano, Signore, ſeufzte er aufathmend, —
per grazia di Dio, un bichiere di vino! *) Moorfeld erſchrack. So
war der alte Mann aus Hunger und Durſt hier zuſammen gebrochen?
Seine Bitte ließ keinen Zweifel darüber.
Moorfeld warf ſeine Blicke ſchnell nach einem Gaſthofe umher und
entdeckte wenigſtens, womit Newyork damals ſchon überſäet war, die
illuminirte Aufſchrift einer Kellerwirthſchaft in der Nähe. Er führte
oder trug den Verſchmachtenden dahin.
*) Wenn ich nicht irre, mein Herr, ſo iſt es Ihre Mutterſprache, in welcher
ich Sie begrüße?
Ah, Sie ſind kein Amerikaner, mein Herr, — um Gotteswillen, ein Glas Wein!
D.B. VIII. Der Amerika-Müde. 31
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 469. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/487>, abgerufen am 22.11.2024.
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