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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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kann diese Vorgänge unmöglich bestimmter schildern, als sie mir selbst
erschienen, und Sie sehen wohl, ihr Licht war trübe genug. Herr
Staunton bediente sich ohne Zweifel gegen Theodor des Vorgebens,
und wer sagt mir, ob und wieweit dieser es nicht gegen uns gethan?
Augenscheinlich aber war es allerdings, daß Theodor selbst zwischen Hoff¬
nung und Täuschung unendlich herumgetrieben wurde, daß er Tantalus¬
qualen litt, daß man ihn wie einen Schweißhund an der Leine gehen
ließ, daß ein unerbittlicher Rechner es darauf abgesehen hatte, ihn
durch und durch moralisch mürbe zu machen, ehe er den vorhabenden
Zwecken zugeführt wurde. All seine Leidenschaften waren aufgeregt
und keine einzige befriedigt; es griff wirklich seinen Körper an; er sah
oft recht elend aus.

In solch einem Augenblick fragte ihn Pauline einmal: ob er schon
Briefe aus den Urwäldern Ohio's habe? Ich verstand diese Frage
wohl und auch Theodor hat die Erinnerung an das stille Naturleben
mitten aus seinen städtischen Geschäftsfoltern heraus keineswegs mi߬
verstanden. Deßungeachtet gab er ihr als Antwort zurück: Frägst du
des Urwalds, oder des Doctors wegen so? Sie hören es! Das geschah
in meiner Gegenwart. Pauline erblaßte, stand auf, ging in das
Nebenzimmer und weinte den ganzen Abend darin. Auch ich gerieth
außer Fassung diesmal. Ich bin sonst geneigt, manche Ungezogenheit,
manche Laune dem Geschlechte nachzusehen, das, wenn es nicht das
starke, doch gewiß das freie ist: aber diese niedrige Bosheit empörte
mich. Ich ließ dem Menschen eine ernsthafte Rüge angedeihen. Es ist wahr,
das Mädchen ist eine etwas schwere Natur, sie artet viel ihrem Vater nach.
Es mochte nicht ganz gewählt sein, daß sie einem Manne, der mit vollen
Segeln dem high life zuzufliegen meint, zu verstehen gibt, sie sehe die
rauhe Farmersaxt lieber in seiner Faust. Es ist wahr, sie hat die
ganze Wendung seines Geschicks mehr mit einem stillen ahnungsvollen
Grauen, als mit lachendem Mitgenuß angesehen. Aber wenn sie kei¬
nen Begriff davon hat, daß das Weib, unbeschadet seiner tiefen und
wahren Empfindungen scheinen muß: so kannte Theodor längst ihr
Naturell, und hat sie, eben so wie sie ist, gewählt, geschätzt, vergöttert.
Sie ist unverfälscht wie die Elemente! war sein Lieblingsausdruck.
Und er hatte Recht damit. Das Mädchen ist eine strenge, geradlinige
Weiblichkeit. Sie ist wie eine Fackel, sie flammt in jeder Richtung

kann dieſe Vorgänge unmöglich beſtimmter ſchildern, als ſie mir ſelbſt
erſchienen, und Sie ſehen wohl, ihr Licht war trübe genug. Herr
Staunton bediente ſich ohne Zweifel gegen Theodor des Vorgebens,
und wer ſagt mir, ob und wieweit dieſer es nicht gegen uns gethan?
Augenſcheinlich aber war es allerdings, daß Theodor ſelbſt zwiſchen Hoff¬
nung und Täuſchung unendlich herumgetrieben wurde, daß er Tantalus¬
qualen litt, daß man ihn wie einen Schweißhund an der Leine gehen
ließ, daß ein unerbittlicher Rechner es darauf abgeſehen hatte, ihn
durch und durch moraliſch mürbe zu machen, ehe er den vorhabenden
Zwecken zugeführt wurde. All ſeine Leidenſchaften waren aufgeregt
und keine einzige befriedigt; es griff wirklich ſeinen Körper an; er ſah
oft recht elend aus.

In ſolch einem Augenblick fragte ihn Pauline einmal: ob er ſchon
Briefe aus den Urwäldern Ohio's habe? Ich verſtand dieſe Frage
wohl und auch Theodor hat die Erinnerung an das ſtille Naturleben
mitten aus ſeinen ſtädtiſchen Geſchäftsfoltern heraus keineswegs mi߬
verſtanden. Deßungeachtet gab er ihr als Antwort zurück: Frägſt du
des Urwalds, oder des Doctors wegen ſo? Sie hören es! Das geſchah
in meiner Gegenwart. Pauline erblaßte, ſtand auf, ging in das
Nebenzimmer und weinte den ganzen Abend darin. Auch ich gerieth
außer Faſſung diesmal. Ich bin ſonſt geneigt, manche Ungezogenheit,
manche Laune dem Geſchlechte nachzuſehen, das, wenn es nicht das
ſtarke, doch gewiß das freie iſt: aber dieſe niedrige Bosheit empörte
mich. Ich ließ dem Menſchen eine ernſthafte Rüge angedeihen. Es iſt wahr,
das Mädchen iſt eine etwas ſchwere Natur, ſie artet viel ihrem Vater nach.
Es mochte nicht ganz gewählt ſein, daß ſie einem Manne, der mit vollen
Segeln dem high life zuzufliegen meint, zu verſtehen gibt, ſie ſehe die
rauhe Farmersaxt lieber in ſeiner Fauſt. Es iſt wahr, ſie hat die
ganze Wendung ſeines Geſchicks mehr mit einem ſtillen ahnungsvollen
Grauen, als mit lachendem Mitgenuß angeſehen. Aber wenn ſie kei¬
nen Begriff davon hat, daß das Weib, unbeſchadet ſeiner tiefen und
wahren Empfindungen ſcheinen muß: ſo kannte Theodor längſt ihr
Naturell, und hat ſie, eben ſo wie ſie iſt, gewählt, geſchätzt, vergöttert.
Sie iſt unverfälſcht wie die Elemente! war ſein Lieblingsausdruck.
Und er hatte Recht damit. Das Mädchen iſt eine ſtrenge, geradlinige
Weiblichkeit. Sie iſt wie eine Fackel, ſie flammt in jeder Richtung

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[465/0483] kann dieſe Vorgänge unmöglich beſtimmter ſchildern, als ſie mir ſelbſt erſchienen, und Sie ſehen wohl, ihr Licht war trübe genug. Herr Staunton bediente ſich ohne Zweifel gegen Theodor des Vorgebens, und wer ſagt mir, ob und wieweit dieſer es nicht gegen uns gethan? Augenſcheinlich aber war es allerdings, daß Theodor ſelbſt zwiſchen Hoff¬ nung und Täuſchung unendlich herumgetrieben wurde, daß er Tantalus¬ qualen litt, daß man ihn wie einen Schweißhund an der Leine gehen ließ, daß ein unerbittlicher Rechner es darauf abgeſehen hatte, ihn durch und durch moraliſch mürbe zu machen, ehe er den vorhabenden Zwecken zugeführt wurde. All ſeine Leidenſchaften waren aufgeregt und keine einzige befriedigt; es griff wirklich ſeinen Körper an; er ſah oft recht elend aus. In ſolch einem Augenblick fragte ihn Pauline einmal: ob er ſchon Briefe aus den Urwäldern Ohio's habe? Ich verſtand dieſe Frage wohl und auch Theodor hat die Erinnerung an das ſtille Naturleben mitten aus ſeinen ſtädtiſchen Geſchäftsfoltern heraus keineswegs mi߬ verſtanden. Deßungeachtet gab er ihr als Antwort zurück: Frägſt du des Urwalds, oder des Doctors wegen ſo? Sie hören es! Das geſchah in meiner Gegenwart. Pauline erblaßte, ſtand auf, ging in das Nebenzimmer und weinte den ganzen Abend darin. Auch ich gerieth außer Faſſung diesmal. Ich bin ſonſt geneigt, manche Ungezogenheit, manche Laune dem Geſchlechte nachzuſehen, das, wenn es nicht das ſtarke, doch gewiß das freie iſt: aber dieſe niedrige Bosheit empörte mich. Ich ließ dem Menſchen eine ernſthafte Rüge angedeihen. Es iſt wahr, das Mädchen iſt eine etwas ſchwere Natur, ſie artet viel ihrem Vater nach. Es mochte nicht ganz gewählt ſein, daß ſie einem Manne, der mit vollen Segeln dem high life zuzufliegen meint, zu verſtehen gibt, ſie ſehe die rauhe Farmersaxt lieber in ſeiner Fauſt. Es iſt wahr, ſie hat die ganze Wendung ſeines Geſchicks mehr mit einem ſtillen ahnungsvollen Grauen, als mit lachendem Mitgenuß angeſehen. Aber wenn ſie kei¬ nen Begriff davon hat, daß das Weib, unbeſchadet ſeiner tiefen und wahren Empfindungen ſcheinen muß: ſo kannte Theodor längſt ihr Naturell, und hat ſie, eben ſo wie ſie iſt, gewählt, geſchätzt, vergöttert. Sie iſt unverfälſcht wie die Elemente! war ſein Lieblingsausdruck. Und er hatte Recht damit. Das Mädchen iſt eine ſtrenge, geradlinige Weiblichkeit. Sie iſt wie eine Fackel, ſie flammt in jeder Richtung

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 465. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/483>, abgerufen am 22.11.2024.