wie eine wohlbekannte Stimme ans Ohr -- er brauchte sich nicht lange zu besinnen, -- es war die hohle Baßstimme Herrn Hennings, des Schriftsetzers. Sie kam aus dem sogenannten "Extrazimmer". Dahin schienen sich die Intimen des alten Kleindeutschlands für diesmal zu¬ rückgezogen zu haben.
Herr Henning sprach lebhaft, mit Feuer. Auch sein Aeußeres um¬ spielte ein gewisser Glanz, es lag wie ein erhöhter Moment, wie ein Goldstaub von "guten Tagen" auf ihm. Er war sorgfältig rasirt, sein Stirnhaar genial in die Höhe geworfen, seine Backen von einer leichten Röthe angehaucht, und ein feiner, blüthenweißer Hemdkragen, der in Erinnerung seiner schweren Kämpfe mit der Waschfrau wie eine wahre Siegesflagge prangte, lag breit über einem, wie es schien, seidenen Halstuche. Er war in einer aufgeweckten angenehm-nervösen Stimmung, ganz herausgetreten aus dem pflegmatisch-schlotterigen Cha¬ rakter früherer Tage. Bald hätte Moorfeld an eine wirkliche Glücks¬ wendung bei diesem Anblicke geglaubt, wenn nicht die jugendlich-strah¬ lende, fast kokette Laune des Schriftsetzers im Grunde ebenso viel schalkhafte Selbstironie durchzog, als früher seine scheinbare Abspan¬ nung und Todesahnung der phthisis pulmonalis. Auch sprach er laut genug, daß Moorfeld durch die dünne Glaswand jedes seiner Worte vernehmen konnte, und diese ließen allerdings keinen Zweifel über seine Glücksumstände zu, denn eben sie waren das Thema seiner Unterhaltung.
Ich bin Vorstand eines Vereins zur Verbreitung guter und nütz¬ licher Volksschriften -- rühmte Herr Henning von sich; -- der Verein liegt freilich noch in der Wiege, wenn sich anders behaupten läßt, daß ich, der lange Henning, ein Wiegenkind sei; denn die Wahrheit zu ge¬ stehen: ich selbst bin das einzige Mitglied meines Vereins. Das schadet aber nichts. Mein Verein wirkt nichts desto weniger segensreich, das heißt segensreich für mich und das ist doch wohl die unerläßlichste Probe jedes gemeinnützigen Unternehmens. Hört mich an. Seit wir uns das Letztemal nicht gesehen, haben einige von meinen sieben magern Kühen ihr Embonpoint wesentlich verbessert. Ich habe eine Fütterungs¬ methode erfunden, -- doch nein! nicht ich; der Zufall, der Vater aller merkwürdigen Entdeckungen, hat's gethan. Man muß sich auch nicht mehr Vaterschaften, als nöthig, zuschreiben. Nachdem Frau Appendage
wie eine wohlbekannte Stimme ans Ohr — er brauchte ſich nicht lange zu beſinnen, — es war die hohle Baßſtimme Herrn Hennings, des Schriftſetzers. Sie kam aus dem ſogenannten „Extrazimmer“. Dahin ſchienen ſich die Intimen des alten Kleindeutſchlands für diesmal zu¬ rückgezogen zu haben.
Herr Henning ſprach lebhaft, mit Feuer. Auch ſein Aeußeres um¬ ſpielte ein gewiſſer Glanz, es lag wie ein erhöhter Moment, wie ein Goldſtaub von „guten Tagen“ auf ihm. Er war ſorgfältig raſirt, ſein Stirnhaar genial in die Höhe geworfen, ſeine Backen von einer leichten Röthe angehaucht, und ein feiner, blüthenweißer Hemdkragen, der in Erinnerung ſeiner ſchweren Kämpfe mit der Waſchfrau wie eine wahre Siegesflagge prangte, lag breit über einem, wie es ſchien, ſeidenen Halstuche. Er war in einer aufgeweckten angenehm-nervöſen Stimmung, ganz herausgetreten aus dem pflegmatiſch-ſchlotterigen Cha¬ rakter früherer Tage. Bald hätte Moorfeld an eine wirkliche Glücks¬ wendung bei dieſem Anblicke geglaubt, wenn nicht die jugendlich-ſtrah¬ lende, faſt kokette Laune des Schriftſetzers im Grunde ebenſo viel ſchalkhafte Selbſtironie durchzog, als früher ſeine ſcheinbare Abſpan¬ nung und Todesahnung der phthisis pulmonalis. Auch ſprach er laut genug, daß Moorfeld durch die dünne Glaswand jedes ſeiner Worte vernehmen konnte, und dieſe ließen allerdings keinen Zweifel über ſeine Glücksumſtände zu, denn eben ſie waren das Thema ſeiner Unterhaltung.
Ich bin Vorſtand eines Vereins zur Verbreitung guter und nütz¬ licher Volksſchriften — rühmte Herr Henning von ſich; — der Verein liegt freilich noch in der Wiege, wenn ſich anders behaupten läßt, daß ich, der lange Henning, ein Wiegenkind ſei; denn die Wahrheit zu ge¬ ſtehen: ich ſelbſt bin das einzige Mitglied meines Vereins. Das ſchadet aber nichts. Mein Verein wirkt nichts deſto weniger ſegensreich, das heißt ſegensreich für mich und das iſt doch wohl die unerläßlichſte Probe jedes gemeinnützigen Unternehmens. Hört mich an. Seit wir uns das Letztemal nicht geſehen, haben einige von meinen ſieben magern Kühen ihr Embonpoint weſentlich verbeſſert. Ich habe eine Fütterungs¬ methode erfunden, — doch nein! nicht ich; der Zufall, der Vater aller merkwürdigen Entdeckungen, hat's gethan. Man muß ſich auch nicht mehr Vaterſchaften, als nöthig, zuſchreiben. Nachdem Frau Appendage
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[447/0465]
wie eine wohlbekannte Stimme ans Ohr — er brauchte ſich nicht lange
zu beſinnen, — es war die hohle Baßſtimme Herrn Hennings, des
Schriftſetzers. Sie kam aus dem ſogenannten „Extrazimmer“. Dahin
ſchienen ſich die Intimen des alten Kleindeutſchlands für diesmal zu¬
rückgezogen zu haben.
Herr Henning ſprach lebhaft, mit Feuer. Auch ſein Aeußeres um¬
ſpielte ein gewiſſer Glanz, es lag wie ein erhöhter Moment, wie ein
Goldſtaub von „guten Tagen“ auf ihm. Er war ſorgfältig raſirt,
ſein Stirnhaar genial in die Höhe geworfen, ſeine Backen von einer
leichten Röthe angehaucht, und ein feiner, blüthenweißer Hemdkragen,
der in Erinnerung ſeiner ſchweren Kämpfe mit der Waſchfrau wie
eine wahre Siegesflagge prangte, lag breit über einem, wie es ſchien,
ſeidenen Halstuche. Er war in einer aufgeweckten angenehm-nervöſen
Stimmung, ganz herausgetreten aus dem pflegmatiſch-ſchlotterigen Cha¬
rakter früherer Tage. Bald hätte Moorfeld an eine wirkliche Glücks¬
wendung bei dieſem Anblicke geglaubt, wenn nicht die jugendlich-ſtrah¬
lende, faſt kokette Laune des Schriftſetzers im Grunde ebenſo viel
ſchalkhafte Selbſtironie durchzog, als früher ſeine ſcheinbare Abſpan¬
nung und Todesahnung der phthisis pulmonalis. Auch ſprach er
laut genug, daß Moorfeld durch die dünne Glaswand jedes ſeiner
Worte vernehmen konnte, und dieſe ließen allerdings keinen Zweifel
über ſeine Glücksumſtände zu, denn eben ſie waren das Thema ſeiner
Unterhaltung.
Ich bin Vorſtand eines Vereins zur Verbreitung guter und nütz¬
licher Volksſchriften — rühmte Herr Henning von ſich; — der Verein
liegt freilich noch in der Wiege, wenn ſich anders behaupten läßt, daß
ich, der lange Henning, ein Wiegenkind ſei; denn die Wahrheit zu ge¬
ſtehen: ich ſelbſt bin das einzige Mitglied meines Vereins. Das ſchadet
aber nichts. Mein Verein wirkt nichts deſto weniger ſegensreich, das
heißt ſegensreich für mich und das iſt doch wohl die unerläßlichſte Probe
jedes gemeinnützigen Unternehmens. Hört mich an. Seit wir uns
das Letztemal nicht geſehen, haben einige von meinen ſieben magern
Kühen ihr Embonpoint weſentlich verbeſſert. Ich habe eine Fütterungs¬
methode erfunden, — doch nein! nicht ich; der Zufall, der Vater aller
merkwürdigen Entdeckungen, hat's gethan. Man muß ſich auch nicht
mehr Vaterſchaften, als nöthig, zuſchreiben. Nachdem Frau Appendage
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 447. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/465>, abgerufen am 25.11.2024.
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