Von der Landseite des Philadelphia-Bahnhofs bietet Newyork keine Avenüe wie von der Seeseite seines Hafens. Von Neu Lisbon zurück bot sie auch keine, wie von Europa heran! Im Aeußern und Innern verglich Moorfeld seine zweite Ankunft mit seiner ersten, und -- der Vergleich war traurig genug.
Deßungeachtet konnte er sich eines gewissen Heimathsgefühls nicht erwehren, wenigstens im ersten Augenblicke nicht. Diese Straßen -- diese Kirchenthürme, -- dieses Menschengewühl -- um wie viel näher stand es dem Europäer, als die blöde, glotzende Einsamkeit und Bar¬ barei des Urwaldes! Schon das Wehen der Seeluft, die Nähe des Oceans, -- wie lockend! wie beflügelnd! Ist das Meer nicht der Nach¬ bar aller Menschen, die Pforte aller Länder? Diese Welle hat den Dom von Rouen zurückgespiegelt, dort liegen die Länder Homer's, Shakespear's, Petrarka's! Und ein Stück Leinwand trägt hinüber leich¬ ter als vogel-leicht, denn selbst die Möwe ruht aus auf ihr! Wahrlich, jede Seestadt ist die Heimath jedes Menschen!
Leise und angenehm spielen diese Empfindungen in Moorfeld's Seele: -- sie sind ihr ahnungsreicher Hintergrund, indeß die strengen Sorgen des Tages in den vordersten Reihen einherdröhnen. Es war bei einbrechender Abenddämmerung, als er mit dem Philadelphia- Bahnzug in Newyork ankam. Er stieg in dem nächsten Boardinghouse am Bahnhofe ab, und eilte sogleich, Benthal zu sehen. Zwar erlaubte ihm die späte Tageszeit nicht mehr, bei Frau v. Milden vorzusprechen,
Erſtes Kapitel.
Von der Landſeite des Philadelphia-Bahnhofs bietet Newyork keine Avenüe wie von der Seeſeite ſeines Hafens. Von Neu Lisbon zurück bot ſie auch keine, wie von Europa heran! Im Aeußern und Innern verglich Moorfeld ſeine zweite Ankunft mit ſeiner erſten, und — der Vergleich war traurig genug.
Deßungeachtet konnte er ſich eines gewiſſen Heimathsgefühls nicht erwehren, wenigſtens im erſten Augenblicke nicht. Dieſe Straßen — dieſe Kirchenthürme, — dieſes Menſchengewühl — um wie viel näher ſtand es dem Europäer, als die blöde, glotzende Einſamkeit und Bar¬ barei des Urwaldes! Schon das Wehen der Seeluft, die Nähe des Oceans, — wie lockend! wie beflügelnd! Iſt das Meer nicht der Nach¬ bar aller Menſchen, die Pforte aller Länder? Dieſe Welle hat den Dom von Rouen zurückgeſpiegelt, dort liegen die Länder Homer's, Shakespear's, Petrarka's! Und ein Stück Leinwand trägt hinüber leich¬ ter als vogel-leicht, denn ſelbſt die Möwe ruht aus auf ihr! Wahrlich, jede Seeſtadt iſt die Heimath jedes Menſchen!
Leiſe und angenehm ſpielen dieſe Empfindungen in Moorfeld's Seele: — ſie ſind ihr ahnungsreicher Hintergrund, indeß die ſtrengen Sorgen des Tages in den vorderſten Reihen einherdröhnen. Es war bei einbrechender Abenddämmerung, als er mit dem Philadelphia- Bahnzug in Newyork ankam. Er ſtieg in dem nächſten Boardinghouſe am Bahnhofe ab, und eilte ſogleich, Benthal zu ſehen. Zwar erlaubte ihm die ſpäte Tageszeit nicht mehr, bei Frau v. Milden vorzuſprechen,
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Erſtes Kapitel.
Von der Landſeite des Philadelphia-Bahnhofs bietet Newyork
keine Avenüe wie von der Seeſeite ſeines Hafens. Von Neu Lisbon
zurück bot ſie auch keine, wie von Europa heran! Im Aeußern und
Innern verglich Moorfeld ſeine zweite Ankunft mit ſeiner erſten, und
— der Vergleich war traurig genug.
Deßungeachtet konnte er ſich eines gewiſſen Heimathsgefühls nicht
erwehren, wenigſtens im erſten Augenblicke nicht. Dieſe Straßen —
dieſe Kirchenthürme, — dieſes Menſchengewühl — um wie viel näher
ſtand es dem Europäer, als die blöde, glotzende Einſamkeit und Bar¬
barei des Urwaldes! Schon das Wehen der Seeluft, die Nähe des
Oceans, — wie lockend! wie beflügelnd! Iſt das Meer nicht der Nach¬
bar aller Menſchen, die Pforte aller Länder? Dieſe Welle hat den
Dom von Rouen zurückgeſpiegelt, dort liegen die Länder Homer's,
Shakespear's, Petrarka's! Und ein Stück Leinwand trägt hinüber leich¬
ter als vogel-leicht, denn ſelbſt die Möwe ruht aus auf ihr! Wahrlich,
jede Seeſtadt iſt die Heimath jedes Menſchen!
Leiſe und angenehm ſpielen dieſe Empfindungen in Moorfeld's
Seele: — ſie ſind ihr ahnungsreicher Hintergrund, indeß die ſtrengen
Sorgen des Tages in den vorderſten Reihen einherdröhnen. Es war
bei einbrechender Abenddämmerung, als er mit dem Philadelphia-
Bahnzug in Newyork ankam. Er ſtieg in dem nächſten Boardinghouſe
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ihm die ſpäte Tageszeit nicht mehr, bei Frau v. Milden vorzuſprechen,
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. [445]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/463>, abgerufen am 25.11.2024.
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