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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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einem Hause sitzt und befinden sich selber außer dem Hause. Wird so
leicht nicht gehen, Mister. Unter welchem Titel locomoviren Sie Mr.
Wogan von seiner Feuerstelle, wenn ich fragen darf?

Bei dieser Frage hätte Moorfeld gerne den Richter selbst für ver¬
rückt erklärt. Seine Stellung gemahnte ihn nachgerade an die Situa¬
tionen jener parodistischen Romane, in welchen der gesunde Menschen¬
verstand die negative Rolle spielt, und irgend ein allegorischer Narren¬
spuck von Pflanzen, Thieren oder gefabelten Wesen den Unsinn als
positive Weltordnung treibt. Er stand einen Augenblick und besann
sich, ob er mit solchen Menschen sich weiter befassen wolle. Im Ernste
gewiß nicht. Nur indem er der Vorstellung folgte, sie als "Clowns"
eines Schauspiels vor sich zu haben, nur indem er sich erinnerte, er
sei nach Amerika gekommen, um zu experimentiren, zu erfahren, ken¬
nen zu lernen, entschloß er sich, den Gang dieser Scene einzuhalten,
so lang bis sein Eckel größer als seine Wißbegier sein würde. Dieser
Ideengang ging voraus, als er auf Mr. Cartwright's Frage: unter
welchem Titel locomoviren Sie Mr. Wogan von seiner Feuerstelle?
endlich antwortete.

Er antwortete einfach durch Vorweisung seines Kaufbriefes.

Der Richter warf einen flüchtigen Blick auf das Papier, indem er
einen kleinen Blasbalg an sein Kohlenbecken setzte und sagte phlegma¬
tisch: Hm, ein beschriebenes Blatt! Ich rathe, Mr. Wogan hat deren
mehrere. Von was für einer Sorte, wenn ich bitten darf, ist diese
Schrift?

Es ist ein Kaufbrief!

Ein Kaufbrief, hm! das ist so übel nicht. Und wenn dieser Kauf¬
brief mit dem Grundbuche stimmt, -- allerdings; dann hätte eine
Klage auf Restitution vielleicht Aussicht.

Wirklich? fragte Moorfeld mit einer ironischen Heiterkeit.

Noch einen Augenblick, Mister, bat der Friedensrichter, dem der
Packwagen sehr am Herzen lag; -- noch einen Augenblick, dann gehen
wir hinüber auf die Cityhall und collationiren --

Daß ich nicht wüßte! unterbrach Moorfeld die Zumuthung, in
Gesellschaft Wogan's und des Schmieds über die Straße zu gehen.

Der Schmied hörte diese Weigerung offenbar mit Vergnügen und
hämmerte noch einmal so eifrig auf seinen Wagen ein. Gut er mag

einem Hauſe ſitzt und befinden ſich ſelber außer dem Hauſe. Wird ſo
leicht nicht gehen, Miſter. Unter welchem Titel locomoviren Sie Mr.
Wogan von ſeiner Feuerſtelle, wenn ich fragen darf?

Bei dieſer Frage hätte Moorfeld gerne den Richter ſelbſt für ver¬
rückt erklärt. Seine Stellung gemahnte ihn nachgerade an die Situa¬
tionen jener parodiſtiſchen Romane, in welchen der geſunde Menſchen¬
verſtand die negative Rolle ſpielt, und irgend ein allegoriſcher Narren¬
ſpuck von Pflanzen, Thieren oder gefabelten Weſen den Unſinn als
poſitive Weltordnung treibt. Er ſtand einen Augenblick und beſann
ſich, ob er mit ſolchen Menſchen ſich weiter befaſſen wolle. Im Ernſte
gewiß nicht. Nur indem er der Vorſtellung folgte, ſie als „Clowns“
eines Schauſpiels vor ſich zu haben, nur indem er ſich erinnerte, er
ſei nach Amerika gekommen, um zu experimentiren, zu erfahren, ken¬
nen zu lernen, entſchloß er ſich, den Gang dieſer Scene einzuhalten,
ſo lang bis ſein Eckel größer als ſeine Wißbegier ſein würde. Dieſer
Ideengang ging voraus, als er auf Mr. Cartwright's Frage: unter
welchem Titel locomoviren Sie Mr. Wogan von ſeiner Feuerſtelle?
endlich antwortete.

Er antwortete einfach durch Vorweiſung ſeines Kaufbriefes.

Der Richter warf einen flüchtigen Blick auf das Papier, indem er
einen kleinen Blasbalg an ſein Kohlenbecken ſetzte und ſagte phlegma¬
tiſch: Hm, ein beſchriebenes Blatt! Ich rathe, Mr. Wogan hat deren
mehrere. Von was für einer Sorte, wenn ich bitten darf, iſt dieſe
Schrift?

Es iſt ein Kaufbrief!

Ein Kaufbrief, hm! das iſt ſo übel nicht. Und wenn dieſer Kauf¬
brief mit dem Grundbuche ſtimmt, — allerdings; dann hätte eine
Klage auf Reſtitution vielleicht Ausſicht.

Wirklich? fragte Moorfeld mit einer ironiſchen Heiterkeit.

Noch einen Augenblick, Miſter, bat der Friedensrichter, dem der
Packwagen ſehr am Herzen lag; — noch einen Augenblick, dann gehen
wir hinüber auf die Cityhall und collationiren —

Daß ich nicht wüßte! unterbrach Moorfeld die Zumuthung, in
Geſellſchaft Wogan's und des Schmieds über die Straße zu gehen.

Der Schmied hörte dieſe Weigerung offenbar mit Vergnügen und
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[432/0450] einem Hauſe ſitzt und befinden ſich ſelber außer dem Hauſe. Wird ſo leicht nicht gehen, Miſter. Unter welchem Titel locomoviren Sie Mr. Wogan von ſeiner Feuerſtelle, wenn ich fragen darf? Bei dieſer Frage hätte Moorfeld gerne den Richter ſelbſt für ver¬ rückt erklärt. Seine Stellung gemahnte ihn nachgerade an die Situa¬ tionen jener parodiſtiſchen Romane, in welchen der geſunde Menſchen¬ verſtand die negative Rolle ſpielt, und irgend ein allegoriſcher Narren¬ ſpuck von Pflanzen, Thieren oder gefabelten Weſen den Unſinn als poſitive Weltordnung treibt. Er ſtand einen Augenblick und beſann ſich, ob er mit ſolchen Menſchen ſich weiter befaſſen wolle. Im Ernſte gewiß nicht. Nur indem er der Vorſtellung folgte, ſie als „Clowns“ eines Schauſpiels vor ſich zu haben, nur indem er ſich erinnerte, er ſei nach Amerika gekommen, um zu experimentiren, zu erfahren, ken¬ nen zu lernen, entſchloß er ſich, den Gang dieſer Scene einzuhalten, ſo lang bis ſein Eckel größer als ſeine Wißbegier ſein würde. Dieſer Ideengang ging voraus, als er auf Mr. Cartwright's Frage: unter welchem Titel locomoviren Sie Mr. Wogan von ſeiner Feuerſtelle? endlich antwortete. Er antwortete einfach durch Vorweiſung ſeines Kaufbriefes. Der Richter warf einen flüchtigen Blick auf das Papier, indem er einen kleinen Blasbalg an ſein Kohlenbecken ſetzte und ſagte phlegma¬ tiſch: Hm, ein beſchriebenes Blatt! Ich rathe, Mr. Wogan hat deren mehrere. Von was für einer Sorte, wenn ich bitten darf, iſt dieſe Schrift? Es iſt ein Kaufbrief! Ein Kaufbrief, hm! das iſt ſo übel nicht. Und wenn dieſer Kauf¬ brief mit dem Grundbuche ſtimmt, — allerdings; dann hätte eine Klage auf Reſtitution vielleicht Ausſicht. Wirklich? fragte Moorfeld mit einer ironiſchen Heiterkeit. Noch einen Augenblick, Miſter, bat der Friedensrichter, dem der Packwagen ſehr am Herzen lag; — noch einen Augenblick, dann gehen wir hinüber auf die Cityhall und collationiren — Daß ich nicht wüßte! unterbrach Moorfeld die Zumuthung, in Geſellſchaft Wogan's und des Schmieds über die Straße zu gehen. Der Schmied hörte dieſe Weigerung offenbar mit Vergnügen und hämmerte noch einmal ſo eifrig auf ſeinen Wagen ein. Gut er mag

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 432. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/450>, abgerufen am 22.11.2024.