auf Jagd auszugehen und für Fleisch zu sorgen. Mon Dieu, eine Büffelfährte, die vielleicht mehrere Monate alt war, war alles was ich von Wildspuren in vielen Tagen entdeckte! Der Hunger setzte uns gräßlich zu. Es kam eine Zeit, da wir in drei Tagen nichts zu essen hatten, als ein Stück Parfleche, welches die Rückseite von Au Restes Kugeltasche bildete: das weichten wir im Wasser des Creeks ein und verzehrten es gierig. Am vierten Tag kroch ich wieder zur Jagd aus aber ich konnte mich kaum schleppen, konnte kaum die Büchse heben, und aufrichtig, ich machte mich fort um draußen vor der Hütte zu verhungern und nicht vor den Augen meines Kameraden. -- Da rief mich Au Reste an. Er hatte meinen Zustand wohl gemerkt. Mit sterbender Stimme hieß er mich zu sich setzen und redete mich also an: Höre, Junge, sagte er, es ist diesem alten Gaul, als ob er untergehen müßte und zwar in Kurzem. Ihr aber seid mir in Kräften um eine Kopflänge noch voraus, und wenn Ihr Fleisch fändet, so würdet Ihr bald wieder herumkommen. Nun Junge, ich werde wie gesagt, ehe viele Stunden vergehen, fort sein, und wenn Ihr kein Fleisch findet, wird es Euch nicht besser werden. Ich selbst esse nie Aasfleisch und würde von Keinem verlangen, daß er's thun soll, aber gehörig ge¬ schlachtetes Fleisch ist immer eßbar. Stecht mir also Euer Messer in den Leib, so lang dieser Leichnam noch Puls macht. Ihr werdet mich freilich dürr und zäh genug finden, aber vielleicht sitzt um die Nieren noch etwas und -- ein Schelm gibt mehr als er hat! -- Langt zu. Oho, sagt' ich, Ihr seid ein guter Kamerad, aber ich bin noch kein Nigger. Und damit macht ich, daß ich aus der Hütte kam, denn ich fing an weich zu werden wie eine Squaw. Eh bien, was erblickt ich, als ich vor die Hütte trat? Ich dachte, es müßte eine Mirage sein! Ein Büffel lag mitten auf der Prairie im Schnee! das Thier war freilich unser eigenes Conterfei. Es lag in den letzten Zügen des Hungertodes. Es wiegte seinen schweren Kopf ohnmächtig von einer Seite auf die andere, während große mit Blut vermischte Schaumflocken aus seinem Maule auf den langen zottigen Bart herabhingen, und seine stieren, blut¬ unterlaufenen Augen wüthend auf zwei Wölfe schielten, welche auf ihren Hintervierteln in der Nähe saßen und mit lechzendem Rachen das Ausathmen des alten Patriarchen erwarteten. Bei diesem Anblick stand ich wie versteinert. Mein erster Gedanke war die Furcht, daß sich
auf Jagd auszugehen und für Fleiſch zu ſorgen. Mon Dieu, eine Büffelfährte, die vielleicht mehrere Monate alt war, war alles was ich von Wildſpuren in vielen Tagen entdeckte! Der Hunger ſetzte uns gräßlich zu. Es kam eine Zeit, da wir in drei Tagen nichts zu eſſen hatten, als ein Stück Parflêche, welches die Rückſeite von Au Reſtes Kugeltaſche bildete: das weichten wir im Waſſer des Creeks ein und verzehrten es gierig. Am vierten Tag kroch ich wieder zur Jagd aus aber ich konnte mich kaum ſchleppen, konnte kaum die Büchſe heben, und aufrichtig, ich machte mich fort um draußen vor der Hütte zu verhungern und nicht vor den Augen meines Kameraden. — Da rief mich Au Reſte an. Er hatte meinen Zuſtand wohl gemerkt. Mit ſterbender Stimme hieß er mich zu ſich ſetzen und redete mich alſo an: Höre, Junge, ſagte er, es iſt dieſem alten Gaul, als ob er untergehen müßte und zwar in Kurzem. Ihr aber ſeid mir in Kräften um eine Kopflänge noch voraus, und wenn Ihr Fleiſch fändet, ſo würdet Ihr bald wieder herumkommen. Nun Junge, ich werde wie geſagt, ehe viele Stunden vergehen, fort ſein, und wenn Ihr kein Fleiſch findet, wird es Euch nicht beſſer werden. Ich ſelbſt eſſe nie Aasfleiſch und würde von Keinem verlangen, daß er's thun ſoll, aber gehörig ge¬ ſchlachtetes Fleiſch iſt immer eßbar. Stecht mir alſo Euer Meſſer in den Leib, ſo lang dieſer Leichnam noch Puls macht. Ihr werdet mich freilich dürr und zäh genug finden, aber vielleicht ſitzt um die Nieren noch etwas und — ein Schelm gibt mehr als er hat! — Langt zu. Oho, ſagt' ich, Ihr ſeid ein guter Kamerad, aber ich bin noch kein Nigger. Und damit macht ich, daß ich aus der Hütte kam, denn ich fing an weich zu werden wie eine Squaw. Eh bien, was erblickt ich, als ich vor die Hütte trat? Ich dachte, es müßte eine Mirage ſein! Ein Büffel lag mitten auf der Prairie im Schnee! das Thier war freilich unſer eigenes Conterfei. Es lag in den letzten Zügen des Hungertodes. Es wiegte ſeinen ſchweren Kopf ohnmächtig von einer Seite auf die andere, während große mit Blut vermiſchte Schaumflocken aus ſeinem Maule auf den langen zottigen Bart herabhingen, und ſeine ſtieren, blut¬ unterlaufenen Augen wüthend auf zwei Wölfe ſchielten, welche auf ihren Hintervierteln in der Nähe ſaßen und mit lechzendem Rachen das Ausathmen des alten Patriarchen erwarteten. Bei dieſem Anblick ſtand ich wie verſteinert. Mein erſter Gedanke war die Furcht, daß ſich
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auf Jagd auszugehen und für Fleiſch zu ſorgen. Mon Dieu, eine
Büffelfährte, die vielleicht mehrere Monate alt war, war alles was
ich von Wildſpuren in vielen Tagen entdeckte! Der Hunger ſetzte uns
gräßlich zu. Es kam eine Zeit, da wir in drei Tagen nichts zu eſſen
hatten, als ein Stück Parflêche, welches die Rückſeite von Au Reſtes
Kugeltaſche bildete: das weichten wir im Waſſer des Creeks ein und
verzehrten es gierig. Am vierten Tag kroch ich wieder zur Jagd aus
aber ich konnte mich kaum ſchleppen, konnte kaum die Büchſe heben,
und aufrichtig, ich machte mich fort um draußen vor der Hütte zu
verhungern und nicht vor den Augen meines Kameraden. — Da rief
mich Au Reſte an. Er hatte meinen Zuſtand wohl gemerkt. Mit
ſterbender Stimme hieß er mich zu ſich ſetzen und redete mich alſo an:
Höre, Junge, ſagte er, es iſt dieſem alten Gaul, als ob er untergehen
müßte und zwar in Kurzem. Ihr aber ſeid mir in Kräften um eine
Kopflänge noch voraus, und wenn Ihr Fleiſch fändet, ſo würdet Ihr
bald wieder herumkommen. Nun Junge, ich werde wie geſagt, ehe
viele Stunden vergehen, fort ſein, und wenn Ihr kein Fleiſch findet,
wird es Euch nicht beſſer werden. Ich ſelbſt eſſe nie Aasfleiſch und
würde von Keinem verlangen, daß er's thun ſoll, aber gehörig ge¬
ſchlachtetes Fleiſch iſt immer eßbar. Stecht mir alſo Euer Meſſer in
den Leib, ſo lang dieſer Leichnam noch Puls macht. Ihr werdet mich
freilich dürr und zäh genug finden, aber vielleicht ſitzt um die Nieren
noch etwas und — ein Schelm gibt mehr als er hat! — Langt zu.
Oho, ſagt' ich, Ihr ſeid ein guter Kamerad, aber ich bin noch kein
Nigger. Und damit macht ich, daß ich aus der Hütte kam, denn ich fing
an weich zu werden wie eine Squaw. Eh bien, was erblickt ich, als ich vor
die Hütte trat? Ich dachte, es müßte eine Mirage ſein! Ein Büffel lag
mitten auf der Prairie im Schnee! das Thier war freilich unſer eigenes
Conterfei. Es lag in den letzten Zügen des Hungertodes. Es wiegte
ſeinen ſchweren Kopf ohnmächtig von einer Seite auf die andere,
während große mit Blut vermiſchte Schaumflocken aus ſeinem Maule
auf den langen zottigen Bart herabhingen, und ſeine ſtieren, blut¬
unterlaufenen Augen wüthend auf zwei Wölfe ſchielten, welche auf
ihren Hintervierteln in der Nähe ſaßen und mit lechzendem Rachen
das Ausathmen des alten Patriarchen erwarteten. Bei dieſem Anblick
ſtand ich wie verſteinert. Mein erſter Gedanke war die Furcht, daß ſich
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 419. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/437>, abgerufen am 24.11.2024.
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