Gegen Mittag verfinsterte sich der Horizont. Vom Norden brach ein heftiger Sturm ins Land, überflügelte den Himmel im Nu mit einer Beduinenarmee von kaltgrauen Haufwolken. Wildbrüllend wälzte der gigantische Schwarm sich übers Firmament und auf der Erde ver¬ rannte sich Schatten in Schatten. Die Temperatur sank empfindlich; schneller wechselt auf einer Schaubühne die Scene nicht, als an diesem Tage der Personenwechsel von Sommer und Herbst vorzugehen schien. Moor¬ feld suchte jetzt nothgedrungen den Schutz der Wälder, deren Einsamkeit und dunkleres Colorit er sonst nur gesucht. Sie standen streckenweise wieder so unwüchsig heute, daß unter ihren Gewölben, wie in Kasematten einer natür¬ lichen Festung, dem stärksten Bombardement eines Wetters zu trotzen.
Ein solches erwartete Moorfeld. Aber der Ausbruch war kein Sommer¬ gewitter mit Blitz und Donner und dem raschen Abprasseln eines Strom¬ regens. Moorfeld ritt manche Stunde zu, bis er erkannte, daß nicht die letzte Wuth des Sirius, sondern die erste der Aequinoktialstürme über ihn ausgebrochen. Der Regen begann zwar, aber in unruhigen, zerflatter¬ ten Zwischenpausen; das wüste Getriebe der Haufwolken ballte sich regellos in verschiedener Dichtigkeit, Temperatur und Lufthöhe, eine Wolke regnete in die andere, und die frostschauernden Windstoße rißen sie eben so oft auseinander, als sie im nächsten Nu, wie mit Keulen der Treibjagd, den nassen Pferch zusammenhetzten.
Die Nacht fiel an diesem Abend früher herein, als es Gesetz der Jahreszeit. Moorfeld erkannte an der Harzluft und an den verwor¬ renen Figuren der Bäume, daß es ein Wald von Nadelholz war, in welchem sie mit plötzlich verzehrendem Dunkel ihn überraschte. Er stieg vom Pferde, schlug Feuer, hieb sich einen Fichtenzweig ab, und leuchtete seinen unergründlichen Wegen. Sein Thier war vor Angst und Anstrengung gebadet in Schweiß, von seinen Weichen wirbelte Dampf auf. Moorfeld führte es am Zaume neben sich her. Aber seltsamer Weise zeigte es einen begierigen Trieb nach vorwärts, es warf den Kopf hoch an den Hals zurück, schnob mit weiten Nüstern sehnsüchtig in die Luft und setzte sich wiederholt in einen Trab, dem Moorfeld zu Fuße nicht folgen konnte. Er schloß, daß das Thier irgend eine Wasserstelle wittere. So bestieg er es wieder und überließ es seinem Instinkte. Das Pferd griff sogleich mit munterem Gewieher aus. Der Wald war so frei, wie rasirt, von Unterholz; das Thier
Gegen Mittag verfinſterte ſich der Horizont. Vom Norden brach ein heftiger Sturm ins Land, überflügelte den Himmel im Nu mit einer Beduinenarmee von kaltgrauen Haufwolken. Wildbrüllend wälzte der gigantiſche Schwarm ſich übers Firmament und auf der Erde ver¬ rannte ſich Schatten in Schatten. Die Temperatur ſank empfindlich; ſchneller wechſelt auf einer Schaubühne die Scene nicht, als an dieſem Tage der Perſonenwechſel von Sommer und Herbſt vorzugehen ſchien. Moor¬ feld ſuchte jetzt nothgedrungen den Schutz der Wälder, deren Einſamkeit und dunkleres Colorit er ſonſt nur geſucht. Sie ſtanden ſtreckenweiſe wieder ſo unwüchſig heute, daß unter ihren Gewölben, wie in Kaſematten einer natür¬ lichen Feſtung, dem ſtärkſten Bombardement eines Wetters zu trotzen.
Ein ſolches erwartete Moorfeld. Aber der Ausbruch war kein Sommer¬ gewitter mit Blitz und Donner und dem raſchen Abpraſſeln eines Strom¬ regens. Moorfeld ritt manche Stunde zu, bis er erkannte, daß nicht die letzte Wuth des Sirius, ſondern die erſte der Aequinoktialſtürme über ihn ausgebrochen. Der Regen begann zwar, aber in unruhigen, zerflatter¬ ten Zwiſchenpauſen; das wüſte Getriebe der Haufwolken ballte ſich regellos in verſchiedener Dichtigkeit, Temperatur und Lufthöhe, eine Wolke regnete in die andere, und die froſtſchauernden Windſtoße rißen ſie eben ſo oft auseinander, als ſie im nächſten Nu, wie mit Keulen der Treibjagd, den naſſen Pferch zuſammenhetzten.
Die Nacht fiel an dieſem Abend früher herein, als es Geſetz der Jahreszeit. Moorfeld erkannte an der Harzluft und an den verwor¬ renen Figuren der Bäume, daß es ein Wald von Nadelholz war, in welchem ſie mit plötzlich verzehrendem Dunkel ihn überraſchte. Er ſtieg vom Pferde, ſchlug Feuer, hieb ſich einen Fichtenzweig ab, und leuchtete ſeinen unergründlichen Wegen. Sein Thier war vor Angſt und Anſtrengung gebadet in Schweiß, von ſeinen Weichen wirbelte Dampf auf. Moorfeld führte es am Zaume neben ſich her. Aber ſeltſamer Weiſe zeigte es einen begierigen Trieb nach vorwärts, es warf den Kopf hoch an den Hals zurück, ſchnob mit weiten Nüſtern ſehnſüchtig in die Luft und ſetzte ſich wiederholt in einen Trab, dem Moorfeld zu Fuße nicht folgen konnte. Er ſchloß, daß das Thier irgend eine Waſſerſtelle wittere. So beſtieg er es wieder und überließ es ſeinem Inſtinkte. Das Pferd griff ſogleich mit munterem Gewieher aus. Der Wald war ſo frei, wie raſirt, von Unterholz; das Thier
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Gegen Mittag verfinſterte ſich der Horizont. Vom Norden brach
ein heftiger Sturm ins Land, überflügelte den Himmel im Nu mit
einer Beduinenarmee von kaltgrauen Haufwolken. Wildbrüllend wälzte
der gigantiſche Schwarm ſich übers Firmament und auf der Erde ver¬
rannte ſich Schatten in Schatten. Die Temperatur ſank empfindlich;
ſchneller wechſelt auf einer Schaubühne die Scene nicht, als an dieſem
Tage der Perſonenwechſel von Sommer und Herbſt vorzugehen ſchien. Moor¬
feld ſuchte jetzt nothgedrungen den Schutz der Wälder, deren Einſamkeit und
dunkleres Colorit er ſonſt nur geſucht. Sie ſtanden ſtreckenweiſe wieder ſo
unwüchſig heute, daß unter ihren Gewölben, wie in Kaſematten einer natür¬
lichen Feſtung, dem ſtärkſten Bombardement eines Wetters zu trotzen.
Ein ſolches erwartete Moorfeld. Aber der Ausbruch war kein Sommer¬
gewitter mit Blitz und Donner und dem raſchen Abpraſſeln eines Strom¬
regens. Moorfeld ritt manche Stunde zu, bis er erkannte, daß nicht die letzte
Wuth des Sirius, ſondern die erſte der Aequinoktialſtürme über ihn
ausgebrochen. Der Regen begann zwar, aber in unruhigen, zerflatter¬
ten Zwiſchenpauſen; das wüſte Getriebe der Haufwolken ballte ſich
regellos in verſchiedener Dichtigkeit, Temperatur und Lufthöhe, eine
Wolke regnete in die andere, und die froſtſchauernden Windſtoße rißen
ſie eben ſo oft auseinander, als ſie im nächſten Nu, wie mit Keulen
der Treibjagd, den naſſen Pferch zuſammenhetzten.
Die Nacht fiel an dieſem Abend früher herein, als es Geſetz der
Jahreszeit. Moorfeld erkannte an der Harzluft und an den verwor¬
renen Figuren der Bäume, daß es ein Wald von Nadelholz war, in
welchem ſie mit plötzlich verzehrendem Dunkel ihn überraſchte. Er
ſtieg vom Pferde, ſchlug Feuer, hieb ſich einen Fichtenzweig ab, und
leuchtete ſeinen unergründlichen Wegen. Sein Thier war vor Angſt
und Anſtrengung gebadet in Schweiß, von ſeinen Weichen wirbelte
Dampf auf. Moorfeld führte es am Zaume neben ſich her. Aber
ſeltſamer Weiſe zeigte es einen begierigen Trieb nach vorwärts, es
warf den Kopf hoch an den Hals zurück, ſchnob mit weiten Nüſtern
ſehnſüchtig in die Luft und ſetzte ſich wiederholt in einen Trab, dem
Moorfeld zu Fuße nicht folgen konnte. Er ſchloß, daß das Thier
irgend eine Waſſerſtelle wittere. So beſtieg er es wieder und überließ
es ſeinem Inſtinkte. Das Pferd griff ſogleich mit munterem Gewieher
aus. Der Wald war ſo frei, wie raſirt, von Unterholz; das Thier
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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 406. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/424>, abgerufen am 24.11.2024.
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