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Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855.

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Tragik auf der entsetzlichen Kante ihrer stets geschärften Selbstqual
zurücklegen, bis dann der Tod, der endliche, persönliche Tod, irgend
einmal ein vergessenes, blödsinniges Greisesauge bricht, und die Welt
wieder erinnert wird, das war einer jener Kometen, dessen erstes Erscheinen
schon ihm und ihr den vernichtenden Zusammenstoß zu bedeuten schien! --

Nein! nicht hier und nicht heute endet die Bahn unsers Helden;
seine Uhr hatte noch länger zu laufen. --

Moorfeld ritt bis zur Erschöpfung. Wohl nannte er das Reiten
einst die schönste Ehe zwischen dem Menschen und der Naturkraft.
Pferd und Reiter wirken auf einander sympathetisch zurück. Moorfeld's
Raserei war mit Blitzesverständniß in das Thier gefahren, die Ohn¬
macht des Thieres gab ihm hierauf Ruhe und Sanftmuth. Sein ver¬
störtes Auge gewann wieder Blicke für die Außenwelt.

Die Gegend, die Moorfeld durchritt, zeigte größtentheils einen öden,
unbestimmten Charakter. In den früheren Grenzkriegen mit den In¬
dianern waren zwischen dem Erie und Ohio große Waldstrecken nieder¬
gebrannt worden, um den Eingebornen das Jagdgebiet zu verderben.
Der jüngere Waldanflug hatte nirgend noch die Kraft und Fülle des
alten, geschlossenen Urwalds erreicht; hätte die Sonne nicht so erstickend
heiß gebrannt, so konnte der Wanderer häufig glauben, durch die Re¬
gionen des Buschholzes im hohen Norden zu reisen. Die verwüsteten
Bodenblößen, einer langen Austrocknung preisgegeben, singen nur lang¬
sam an, unter dem Schutz des Nachwuchses Feuchtigkeit und Humus
wieder zu sammeln. Oft lagen sie als nackte Wüstenstriche da, nicht
Wald, nicht Prairie, ja und nicht einmal Haide mit dem ästhetischen
Charakter der Haide-Tinten und Linien. Hin und wieder stand eine
flache, formlos begrenzte Sumpflache auf diesen Steppen, wahrschein¬
lich die entartete Nachkommenschaft früherer Quellen und Bäche, welche
des Waldschattens, ihrer natürlichen Leiter, beraubt, das ursprüngliche
Rinnsal verloren. Jetzt irrten sie heimatlos über die veränderte Erde,
verschwanden auf sandigem Boden, standen auf fettem und thonigem
als Moräste. In diesen Einöden scheuchte Moorfeld's Ritt nur selten
ein wildes Truthuhn, oder ein verirrtes virginisches Repphuhn auf;
aber Schwärme von Raben befleckten den klarblauen Herbsthimmel, oder
ein Aasgeier kreischte hoch über Schußweite. In Busch und Gestripp
raschelte zuweilen eine Ratte -- Waidwild, überall seltener als man

Tragik auf der entſetzlichen Kante ihrer ſtets geſchärften Selbſtqual
zurücklegen, bis dann der Tod, der endliche, perſönliche Tod, irgend
einmal ein vergeſſenes, blödſinniges Greiſesauge bricht, und die Welt
wieder erinnert wird, das war einer jener Kometen, deſſen erſtes Erſcheinen
ſchon ihm und ihr den vernichtenden Zuſammenſtoß zu bedeuten ſchien! —

Nein! nicht hier und nicht heute endet die Bahn unſers Helden;
ſeine Uhr hatte noch länger zu laufen. —

Moorfeld ritt bis zur Erſchöpfung. Wohl nannte er das Reiten
einſt die ſchönſte Ehe zwiſchen dem Menſchen und der Naturkraft.
Pferd und Reiter wirken auf einander ſympathetiſch zurück. Moorfeld's
Raſerei war mit Blitzesverſtändniß in das Thier gefahren, die Ohn¬
macht des Thieres gab ihm hierauf Ruhe und Sanftmuth. Sein ver¬
ſtörtes Auge gewann wieder Blicke für die Außenwelt.

Die Gegend, die Moorfeld durchritt, zeigte größtentheils einen öden,
unbeſtimmten Charakter. In den früheren Grenzkriegen mit den In¬
dianern waren zwiſchen dem Erie und Ohio große Waldſtrecken nieder¬
gebrannt worden, um den Eingebornen das Jagdgebiet zu verderben.
Der jüngere Waldanflug hatte nirgend noch die Kraft und Fülle des
alten, geſchloſſenen Urwalds erreicht; hätte die Sonne nicht ſo erſtickend
heiß gebrannt, ſo konnte der Wanderer häufig glauben, durch die Re¬
gionen des Buſchholzes im hohen Norden zu reiſen. Die verwüſteten
Bodenblößen, einer langen Austrocknung preisgegeben, ſingen nur lang¬
ſam an, unter dem Schutz des Nachwuchſes Feuchtigkeit und Humus
wieder zu ſammeln. Oft lagen ſie als nackte Wüſtenſtriche da, nicht
Wald, nicht Prairie, ja und nicht einmal Haide mit dem äſthetiſchen
Charakter der Haide-Tinten und Linien. Hin und wieder ſtand eine
flache, formlos begrenzte Sumpflache auf dieſen Steppen, wahrſchein¬
lich die entartete Nachkommenſchaft früherer Quellen und Bäche, welche
des Waldſchattens, ihrer natürlichen Leiter, beraubt, das urſprüngliche
Rinnſal verloren. Jetzt irrten ſie heimatlos über die veränderte Erde,
verſchwanden auf ſandigem Boden, ſtanden auf fettem und thonigem
als Moräſte. In dieſen Einöden ſcheuchte Moorfeld's Ritt nur ſelten
ein wildes Truthuhn, oder ein verirrtes virginiſches Repphuhn auf;
aber Schwärme von Raben befleckten den klarblauen Herbſthimmel, oder
ein Aasgeier kreiſchte hoch über Schußweite. In Buſch und Geſtripp
raſchelte zuweilen eine Ratte — Waidwild, überall ſeltener als man

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[401/0419] Tragik auf der entſetzlichen Kante ihrer ſtets geſchärften Selbſtqual zurücklegen, bis dann der Tod, der endliche, perſönliche Tod, irgend einmal ein vergeſſenes, blödſinniges Greiſesauge bricht, und die Welt wieder erinnert wird, das war einer jener Kometen, deſſen erſtes Erſcheinen ſchon ihm und ihr den vernichtenden Zuſammenſtoß zu bedeuten ſchien! — Nein! nicht hier und nicht heute endet die Bahn unſers Helden; ſeine Uhr hatte noch länger zu laufen. — Moorfeld ritt bis zur Erſchöpfung. Wohl nannte er das Reiten einſt die ſchönſte Ehe zwiſchen dem Menſchen und der Naturkraft. Pferd und Reiter wirken auf einander ſympathetiſch zurück. Moorfeld's Raſerei war mit Blitzesverſtändniß in das Thier gefahren, die Ohn¬ macht des Thieres gab ihm hierauf Ruhe und Sanftmuth. Sein ver¬ ſtörtes Auge gewann wieder Blicke für die Außenwelt. Die Gegend, die Moorfeld durchritt, zeigte größtentheils einen öden, unbeſtimmten Charakter. In den früheren Grenzkriegen mit den In¬ dianern waren zwiſchen dem Erie und Ohio große Waldſtrecken nieder¬ gebrannt worden, um den Eingebornen das Jagdgebiet zu verderben. Der jüngere Waldanflug hatte nirgend noch die Kraft und Fülle des alten, geſchloſſenen Urwalds erreicht; hätte die Sonne nicht ſo erſtickend heiß gebrannt, ſo konnte der Wanderer häufig glauben, durch die Re¬ gionen des Buſchholzes im hohen Norden zu reiſen. Die verwüſteten Bodenblößen, einer langen Austrocknung preisgegeben, ſingen nur lang¬ ſam an, unter dem Schutz des Nachwuchſes Feuchtigkeit und Humus wieder zu ſammeln. Oft lagen ſie als nackte Wüſtenſtriche da, nicht Wald, nicht Prairie, ja und nicht einmal Haide mit dem äſthetiſchen Charakter der Haide-Tinten und Linien. Hin und wieder ſtand eine flache, formlos begrenzte Sumpflache auf dieſen Steppen, wahrſchein¬ lich die entartete Nachkommenſchaft früherer Quellen und Bäche, welche des Waldſchattens, ihrer natürlichen Leiter, beraubt, das urſprüngliche Rinnſal verloren. Jetzt irrten ſie heimatlos über die veränderte Erde, verſchwanden auf ſandigem Boden, ſtanden auf fettem und thonigem als Moräſte. In dieſen Einöden ſcheuchte Moorfeld's Ritt nur ſelten ein wildes Truthuhn, oder ein verirrtes virginiſches Repphuhn auf; aber Schwärme von Raben befleckten den klarblauen Herbſthimmel, oder ein Aasgeier kreiſchte hoch über Schußweite. In Buſch und Geſtripp raſchelte zuweilen eine Ratte — Waidwild, überall ſeltener als man

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Zitationshilfe: Kürnberger, Ferdinand: Der Amerika-Müde. Frankfurt (Main), 1855, S. 401. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kuernberger_amerikamuede_1855/419>, abgerufen am 24.11.2024.